Es gibt kein Zurück
Rassismus als Grundpfeiler nationaler Identität wankt
Das Ende des Krieges hat den Anstoß zu einer Diskussion gegeben, die von den Maya-Organisationen vehement eingefordert wird. Erstmalig in der guatemaltekischen Geschichte wird in dem im März 1995 von URNG und Regierung unterzeichneten „Abkommen über Rechte und Identität der indigenen Bevölkerung“ (Indígena-Abkommen) die rassistische Diskriminierung der indianischen Bevölkerung anerkannt und für die Zukunft die Vision einer multiethnischen, plurikulturellen und vielsprachigen Nation Guatemala gezeichnet. Die in den vergangenen einhundert Jahren dominierende gesellschaftliche Gruppe der Ladino/as scheint dabei zusehens in die Defensive zu geraten. Dies kann kaum verwundern, denn ein Blick in die Geschichte zeigt, daß die Entwicklung des guatemaltekischen Nationalstaates und die propagierte nationale Identität in engem Zusammenhang mit den Herrschaftsinteressen der Ladino/as stand und steht.
Die Geschichte ethnischer Machtkonstellationen
Waren es in der Kolonialzeit Spanier und deren Nachfahren, die sogenannten Criollos, die die gesellschaftliche Vormacht innehatten, so begann sich dies mit der Unabhängigkeit Guatemalas 1821 zu verändern. Zunächst drangen vor allem europäische EinwanderInnen in die traditionelle Machtstruktur ein, mit Beginn der liberalen Herrschaftsperiode und dem Aufschwung der Kaffeewirtschaft ab 1870 erkämpften sich die „Mischlingsbevölkerung“ und IndianerInnen, die den Bezug zu ihrer Kultur verloren hatten – die sogenannten Ladinos oder Mestizos – ihren Platz im guatemaltekischen Machtgefüge. Zwar waren die beiden Gruppen in der Kolonialzeit und in der Periode der frühen Unabhängigkeit genauso diskriminiert und ausgegrenzt worden wie die indianische Bevölkerung, sie konnten sich aber im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts in den ländlichen Gebieten, in denen sich die „Weißen“ kaum blicken ließen, eine Vormachtstellung erarbeiten. Mit der sich ausbreitenden Plantagenwirtschaft übernahmen sie eine wichtige Brückenfunktion. Sie wurden zu Anwerbern von billigen Arbeitskräften in den indianischen Gemeinschaften, zu Landverwaltern oder manchmal auch zu Landbesitzern und damit zum wichtigsten Element des Zwangsarbeitssystems sowie der Interessenvertretung des Staates und der Kaffeeoligarchie in den indianischen Gebieten.
Während in den anderen mittelamerikanischen Ländern der Begriff „Ladino“ zum Ende des letzten Jahrhunderts durch „Mestizo“ ersetzt wurde, bekam er – so die US-amerikanische Anthropologin Carol Smith – in Guatemala eine neue Bedeutung: Unterdrücker in den indianischen Gebieten des westlichen Hochlandes oder heimatloser Wanderarbeiter in den Städten oder an der Südküste. Es formte sich jene ethnische Grenzziehung heraus, die in Guatemala bis heute Bestand hat. Auf der einen Seite eine extrem heterogene gesellschaftliche Gruppe aus Nachfahren spanischer Eroberer, EinwanderInnen und Ladinas/os, auf der anderen die indianische Bevölkerungsmehrheit. Der Begriff „Ladino“ entwickelte sich dabei im 20. Jahrhundert zu einem Synonym für die gesamte gesellschaftlich dominierende Gruppe. Auch wenn sich viele europäische Nachfahren bis heute dagegen wehren, als Ladino/as bezeichnet zu werden – sie betrachten sich als „Weiße“ – hat sich der Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt. Zusammengehalten werden sie von einer gemeinsamen Definition als „nicht-indianisch“, dem Glauben an die guatemaltekische Nation und an die Aufrechterhaltung ihrer gesellschaftlichen Machtposition. Es entstand damit jene unglückselige Gleichung Ladino + Macht + Unterdrückung = Staat + Nation, der sich die indianische Bevölkerung seit langer Zeit gegenüber sieht.
Indígenas und Nation
Der Staat propagierte seine Politik nach dem Motto: Wer in unser nationales Boot will, muß sich anpassen. Dieser Homogenisierungs- und Assimilierungsanspruch stand jedoch im offenen Widerspruch zu einer Praxis, in der die indianische Bevölkerung als billige, ausbeutbare Masse eingeplant war. Daß sich diese mit einem solchen Staatsgebilde nicht identifizieren konnte, liegt auf der Hand: Der guatemaltekische Nationalstaat hatte ihnen nie etwas anderes zu bieten als Unterdrückung, Ausbeutung und Raub. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die indianischen Gemeinschaften etwa die Hälfte des Landes verloren, das noch während der Kolonialzeit in ihrem Besitz war. Daher hatte die indianische Bevölkerung auch nie irgendwelche Erwartungen oder Ansprüche an den Nationalstaat – ausser, daß er sie in Ruhe läßt.
Dies änderte sich erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Die kurze demokratische Phase zwischen 1944 und 1954 und vor allem die folgenden „Modernisierungsbestrebungen“ gegenüber der ländlichen Bevölkerung veränderten die Beziehungen zwischen Staat und indianischer Bevölkerung. Ironie der Geschichte: Gerade die auch als „vorbeugende Aufstandsbekämpfung“ geplanten ländlichen Entwicklungsmaßnahmen wie Kooperativenprojekte oder kirchliche Bewußtseinsarbeit veränderten bei einem Teil der indianischen Bevölkerung ihre Einstellung zum Nationalstaat. Sie begann soziale und ökonomische Forderungen an den Staat zu stellen. Dieser Prozeß mündete Ende der 70er Jahre schließlich in eine offene Unterstützung der revolutionären Bewegung durch große Teile der indianischen Bevölkerung. Die revolutionäre Bewegung war zwar nicht aus der indianischen Bevölkerung heraus erwachsen, viele Mayas sahen darin aber eine Chance zur grundlegenden Verbesserung ihrer Lebensumstände. Zum ersten Mal in der Geschichte Guatemalas hatte sich damit ein größerer Teil der indianischen Bevölkerung einer nationalen Bewegung angeschlossen, die sich eine grundlegende Veränderung des Staates auf die Fahnen geschrieben hatte. Sie waren zu Akteuren auf nationaler Ebene geworden. Gerade diese Allianz über die ethnische Grenze hinweg mit anderen gesellschaftlichen Gruppen wie ökonomisch ausgebeuteten Ladinas/os, StudentInnen, städtischen Gewerkschafts- und Volksorganisationen war es, die die herrschenden Machtverhältnisse ernsthaft in Frage stellte. Die indianische Bevölkerung wurde allerdings zum Hauptziel der Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen.
Mit der Beendigung des bewaffneten Konfliktes im Dezember 1996 beginnt sich Guatemala langsam aus der politischen Erstarrung zu lösen, die das Land fast 20 Jahre lang beherrschte. Heute geht es um die Frage: Wie muß die Nation aussehen, mit der sich alle in Guatemala lebenden Bevölkerungsgruppen identifizieren können? Dazu gibt es sehr verschiedene Meinungen und Szenarien. Es ist zu beobachten, daß Mayas in dieser Diskussion mit durchaus unterschiedlichen Standpunkten kräftig mitmischen. Die Initialzündung lieferte das Indígena-Abkommen. Während die meisten Maya-Organisationen sich dieses Abkommen zu eigen machen, es studieren, verbreiten, damit arbeiten, ihre Forderungen und politischen Perspektiven daraus ableiten, scheint die Mehrheit der Ladinos der Auffassung zu sein, daß dieses Abkommen sie nicht betreffe. Die Soziologin Marta Casaus stellt dazu fest, daß die guatemaltekische Gesellschaft eine „überaus rassistische ist, die sich in einer langsamen Metamorphose von einer biologistischen Sichtweise zu einem Selbstverständnis unter kulturellen Gesichtspunkten“ befindet. Weiter meint sie: „Im Indígena-Abkommen ist erstmalig die Existenz dieses rassistischen Staates anerkannt worden“, und fordert die Ladinas/os dazu auf, „unsere Position als Ladinos neu zu bewerten und danach mit anderen darüber (zu) diskutieren, mit wem und wie wir ein multikulturelles, pluriethnisches Land aufbauen. Wir haben gar keine Basis, um ein einheitliches Land aufzubauen, das wäre künstlich.“ Allerdings sind solche Meinungen bis heute die Ausnahme unter der ladinischen Bevölkerung.
Verkrustungen und Abwehrkämpfe
Die traditionell herrschenden Sektoren unter den Ladinos – dazu gehören große Teile der Regierung und viele Militärs – lehnen solche Positionen rundweg ab und torpedieren das Indígena-Abkommen. Sie wollen dessen Umsetzung verhindern, da sie ihre bislang privilegierte Position gefährdet sehen.
Das Argument, auf das sich die herrschenden Ladinos zur Verteidung ihrer Position beziehen, ist paradoxerweise das Recht auf Gleichheit für alle. Kürzlich brachte ein konservativer Abgeordneter im Parlament einen Entwurf für ein Anti-diskriminierungsgesetz ein, nach dem „niemand als Person oder als ethnische Gruppe vor dem Gesetz diskriminiert, bevorzugt oder besonders behandelt werden darf“. Solche Initiativen werden von vielen Mayas als Angriff betrachtet. Juan León von der Defensoria Maya meint dazu: „Wenn wir von unseren Rechten reden, sagen sie: ‚Das geht nicht, vor dem Gesetz sind wir alle gleich.‘ Sie verdrehen die Argumentation und rechtfertigen damit ihr diskriminierendes Verhalten. Sie meinen, daß die Anerkennung von Indígena-Rechten gleichzeitig eine Diskriminierung von anderen Völkern bedeute. Sie fühlen sich unterlegen, weil deutlich wird, daß sie selbst nur sehr wenige eigene Werte haben. Aber das ist nicht unser Problem.“ Den Vorwurf von ladinischer Seite, die Mayas wollten jetzt den Spieß umdrehen und sich für die erlittenen Ungerechtigkeiten rächen, weist er zurück: „Unsere Prinzipien sind nicht ausgrenzend. Diese Ängste müssen sie überwinden“.
Trotzdem sehen sich viele Ladinos/as durch die Forderungen der Maya-Organisationen in ihren „Rechten“ bedroht und beharren umso stärker auf der Gleichheit aller vor dem Gesetz. Weit verbreitet ist unter ihnen auch die Meinung, die Mayas seien diejenigen, die ihre Identität und ihre Position zum Nationalstaat klären müßten, die Positon der Ladinas/os sei klar und bedürfe keiner Diskussion. Dahinter steht die Überzeugung, die Ladinas/os seien die „wahren GuatemaltekInnen“. Indirekt ist damit die alte ladinische Forderung an die Mayas verbunden, sich zu assimilieren. Gustavo Palma erklärt diese Situation damit, daß die guatemaltekische Gesellschaft weiterhin hochgradig autoritär und rassistisch geprägt sei. Solange viele Ladinos für sich die Bezeichnung „Mestize“ zurückwiesen, weil diese für sie ein Eingeständnis der Tatsache sei, daß sie in ihrer Herkunft auch indianische Anteile haben, sei auch die Anerkennung der kulturellen und ethnischen Vielfalt, von Indígena-Rechten extrem schwierig. Unter der Hand gelte das Thema der multikulturellen Gesellschaft als „gefährlich“ und werde deshalb abgewehrt.
(K)Eine Bildungsreform
Die derzeitige Regierung verfolge, erläutert Palma, eine doppelbödige Strategie. Einerseits habe sie mit dem Friedensschluß den neuen Diskurs von der „Vielfalt in der Einheit“ übernommen. Gleichzeitig benutze sie aber weiterhin den mehr als einhundertjährigen Diskurs vom homogenen Nationalstaat Guatemala: „Guatemala den Guatemalteken“ und „Wir sind alle Guatemalteken“. Dieser zweite Diskurs ist offensichtlich der weitaus stabilere, er ist fest im Denken verwurzelt und wird sich wahrscheinlich noch lange halten. So widersprechen nach Palma beispielsweise die derzeitigen Maßnahmen im Bildungsbereich im Grunde den Inhalten des Indígena-Abkommens. Hier sei abzulesen, daß die Regierung die alte, homogenisierende Linie weiter verfolge und nicht ernsthaft an Reformen im Sinne einer neuen nationalen Vision der „Vielfalt in der Einheit“ interessiert sei. Als Basis der jetzt betriebenen Maßnahmen beschreibt er das Bildungsprogramm Educación para la Paz („Erziehung für den Frieden“). Dieses berücksichtige aber die Themen Zusammenleben, Respekt vor den anderen, Toleranz, ethnische Vielfalt überhaupt nicht. „Im Indígena-Abkommen steht, Rassismus und Diskriminierung müssen bekämpft werden. Aber diese eliminiert man nicht einfach so per Dekret. Das wäre absurd. Es ist ja schön, es als großes, allgemeines Ziel für das ganze Land zu formulieren – aber wie das erreichen? Im Bildungsbereich könnten Wege aufgezeigt werden, aber wenn wir sehen, was die Regierung hier macht, wird die Diskrepanz zwischen Diskurs und Praxis deutlich. Bis heute versucht die Regierung einzig und allein, die homogenisierende Vision aufrecht zu erhalten.“
Er berichtet von dem von der Präsidentengattin persönlich geförderten Projekt Libres y Triunfadores (wörtlich: „Freie und Siegreiche“), das kürzlich in den staatlichen Schulen zur Förderung der Moralerziehung von Jugendlichen eingeführt wurde: „Das Programm geht davon aus, daß alle von Gott geschaffen wurden und deshalb gleich sind. Ein schreckliches, autoritäres Prinzip, das den Anschein erweckt, alles andere zähle nicht. Erreichen wollen sie zweierlei: in der Primarstufe Gehorsam, in der Sekundarstufe Keuschheit. Damit wollen sie Schafe erziehen, ohne Fähigkeit zur Kritik – in allen staatlichen Sekundarstufen arbeiten sie bereits damit.“
Obwohl im Indígena-Abkommen die Bildung einer Komission zur Erarbeitung von Bildungsreformen im Sinne einer multikulturellen, pluriethnischen und vielsprachigen Nation Guatemala vereinbart wurde, die ihre Arbeit allerdings noch gar nicht begonnen hat, verkündet die Vize-Bildungsministerin, die Bildungsreform in Guatemala sei zu 80 Prozent abgeschlossen. Gegen diese Politik der schönen Worte und der gleichzeitig vollendeten Tatsachen müssen sich die Maya-Organisationen behaupten, die ihr Recht auf Unterschiedlichkeit einfordern. 120 Maya-Organisationen haben ihr Interesse an einer Mitarbeit zur Formulierung der Bildungsreform bekundet, von Seiten der Regierung liegen dagegen noch keine Vorschläge über die Besetzung eines entsprechenden Gremiums vor. Gustavo Palma dazu: „Das zeigt das enorme Interesse der Mayas, diesen Gestaltungsraum auszufüllen. Die Regierung, die Ladinas/os hingegen ignorieren diesen, weil nur die homogenisierende Sicht reproduziert werden soll. Das wird sehr bald zu Problemen führen, weil die Mayas dabei sind, konkrete Vorschläge auszuarbeiten, die Regierung hingegen darauf überhaupt nicht vorbereitet ist. Man kann daraus schließen, daß es von Seiten der Regierung überhaupt keine Bereitschaft gibt, das Indígena-Abkommen umzusetzen. Die Regierung hat dieses Abkommen aufgrund internationalen Drucks unterzeichnet, nicht aus inhaltlicher Überzeugung.“
„Vielfalt in der Einheit“ vs. „Wir sind alle Guatemalteken“
Obwohl die Strategien des Kampfes, die thematischen Schwerpunkte und ideologischen Ausgangspunkte der in der Koordination COPMAGUA (Coordinación de Organisaciones del Pueblo Maya de Guatemala) zusammengeschlossenen Maya-Organisationen sehr unterschiedlich sind, verbindet sie die historische Erfahrung der Ausgrenzung, Diskriminierung, Repression und des Widerstandes. Allerdings interpretieren die in COPMAGUA zusammengeschlossenen Gruppen die jüngere Geschichte Guatemalas auf sehr verschiedene Art und Weise. Zwei Hauptströmungen lassen sich unterscheiden, die beide, bei aller Differenz, als wichtigste Forderung das Recht der Mayas auf Unterschiedlichkeit formulieren und diese auch gemeinsam tragen.
Die eine Fraktion bilden die Mayas innerhalb der Volksorganisationen und der Guerilla nahestehende Indígenas. Diese geht davon aus, daß der bewaffnete Kampf zwar keine wirklichen Lösungen für die Probleme der Indígenas in puncto Ausgrenzung, Diskriminierung und ökonomischer Ungleichheit gebracht habe, jedoch eine wichtige Phase im Kampf gewesen sei. Ihr Hauptargument: Wenn auch das ursprüngliche Ziel einer grundlegenden sozialen Umgestaltung der guatemaltekischen Gesellschaft nicht erreicht werden konnte, so ist dennoch festzuhalten, daß es ohne den bewaffneten Kampf auch kein Indígena-Abkommen gäbe, mit dem jetzt alle Maya-Organisationen politisch arbeiten können. Trotz aller Kritik an der ladinisch dominierten Guerilla-Führung und daran, daß der Kampf der URNG auf die Änderung der ökonomischen Situation ausgerichtet war und die der kulturellen Verhältnisse auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wurde, sieht dieser Flügel die Erfahrungen aus dem bewaffneten Kampf als wertvoll an. Viele derer, die diese Position vertreten, beteiligten sich – zumindest zeitweise – direkt oder indirekt als UnterstützerInnen an diesem Kampf und blicken auf diesen als einen wichtigen Lernprozeß zurück, auf dem sie ihre heutige Arbeit fundieren.
Ein Vertreter dieser Fraktion innerhalb des Maya-Spektrums ist Juan León von der Defensoria Maya: „Es lag vielleicht am historischen Zeitpunkt, daß die Indígena-Frage nicht konsequent verfolgt wurde. Aber wir haben an der Formulierung der Abkommen mitgearbeitet und sowohl Regierung als auch URNG haben Flexibilität gezeigt, indem sie gdas Problem des Rassismus und die Forderung nach Multiethnizität anerkannt haben. Das war ein großer Fortschritt, da gibt es kein Zurück mehr. Jetzt müssen wir uns überlegen, wie wir den plurikulturellen Staat wollen, als Zukunftsvision. Das ist für mich zwar ein Traum, der noch weit entfernt ist, aber wir müssen jetzt damit anfangen, unsere kollektiven Erfahrungen aufzugreifen, denn Identität ist kollektiv. Unser Vorschlag ist, die Vielfalt zur Grundlage der neuen Nation zu machen. Erst einmal soll jede Gruppe ihre Position finden. Dann können wir in einen Dialog treten und gemeinsam sehen, was wir daraus machen. Die Identität zu stärken, ist bereichernd für beide Seiten, denn auch viele Ladinos wurden durch die Repression und Militarisierung in ihren Prozessen behindert. Ein Widerspruch zwischen ethnischer und nationaler Identität besteht doch nur für die Mächtigen. Sie beharren auf der Idee, alle GuatemaltekInnen seien gleich, um die Vielfalt nicht anerkennen zu müssen.“
Die andere Strömung innerhalb von COPMAGUA lehnt den bewaffneten Kampf vollständig ab und vertritt die Meinung, daß der Krieg nie die Sache der Mayas gewesen sei. Vielmehr seien die Mayas im Bürgerkrieg von beiden Seiten in gleicher Weise mißbraucht worden. Ihre Forderungen begründen sie in erster Linie ethnisch-kulturell. Einer der renommiertesten Vertreter dieser Gruppe ist Demetrio Cojtí. Auch er macht das Recht auf Unterschiedlichkeit zum Ausgangspunkt seiner Forderungen: „Danach können wir nach den Gemeinsamkeiten schauen. So wie momentan die Mode des Interkulturellen betrieben wird, ist es für mich nur eine Fortführung des Ethnozids: Nur das Gemeinsame wird betont und das ist in der Regel das Ladinische. Da haben wir dann wieder die Dominanz. Die Anforderungen an Veränderungen werden nur an uns Mayas gestellt. Da gibt es kein Gleichgewicht.“
Anhand dieser Aussagen werden die unterschiedlichen Grundpositionen deutlich. Während Juan León die visionäre Zielvorstellung einer plurikulturellen Nation formuliert, ist für Cojtí Interkulturalität zur Zeit kein Thema. Provozierend fügt letzterer noch hinzu: „Es ist ja auch noch nicht geklärt, ob wir überhaupt mit den Ladinos in einem gemeinsamen Staat zusammenleben wollen.“ Gerade diese Aussage ist Wasser auf die Mühlen jener Ladino/as, die, in die Defensive gedrängt, das Ende ihrer Vormachtstellung befürchten und den Teufel eines Auseinanderbrechens des guatemaltekischen Staates an die Wand malen. Zuweilen geisterte schon das Wort von „jugoslawischen Verhältnissen“ durch die Kommentarspalten der Presse.
Ladinas/os sind gefordert
Sicherlich liegt in dem Thema großer Zündstoff, allerdings verlaufen die Hauptkonfliktlinien weiterhin zwischen der indianischen Bevölkerung und der ladinischen Machtelite. Die nächsten Monate werden zeigen, ob es gelingt, aus der bewaffneten Auseinandersetzung in eine Phase überzuleiten, in der eine breite und Vertrauen schaffende, gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft der guatemaltekischen Nation möglich ist. Eines jedoch dürfte klar sein: Ohne eine Anerkennung des Rechtes auf Eigenständigkeit und Unterschiedlichkeit der Mayabevölkerung geht nichts. Die Ladino/as sind hier gefordert.
KASTEN
Zu den im Artikel erwähnten Personen:
Marta Casaus ist guatemaltekische Soziologin, Professorin an der Universidad Autónoma in Madrid und Autorin verschiedener Publikationen über ladinische und nationale Identität in Guatemala.
Demetrio Cojtí gilt als einer der Vordenker der Intellektuellen innerhalb des Teiles der Maya-Bewegung, die ihren Kampf in erster Linie ethnisch-kulturell begründet.
Juan León ist Mitbegründer von der Campesina/o-Organisation CUC und der Organisation zur Verteidigung der Indígenarechte Defensoria Maya. León blickt auf eine lange Geschichte des Kampfes von Mayas innerhalb der Volksorganisationen zurück. Bei den Wahlen 1995 war er Vizepräsidentschaftskandidat der Oppositionspartei FDNG.
Alfonso Monroy ist als Vertreter der Widerstandsdörfer im Petén und der „Beratenden Versammlung der Entwurzelten Bevölkerung“ Mitglied der Komission für Erziehungsreformen in COPMAGUA und dort einer der wenigen Ladinos.
Gustavo Palma ist Historiker und forscht im Rahmen seiner Tätigkeit am Sozialforschungsinstitut AVANCSO seit einigen Jahren zu Fragen nationaler Identität in Guatemala.