Guatemala | Nummer 276 - Juni 1997

Es gibt kein Zurück

Rassismus als Grundpfeiler nationaler Identität wankt

“Was ich zum Thema nationale Identität in Guatemala denke? Das ist wie eine alte, ver­staubte Kiste, die oben auf dem Schrank liegt und die man am besten dort läßt und nicht öffnet, weil sie voller Cucarachas ist.” Mit diesem Kommentar verdeutlicht Al­fonso Monroy aus den Widerstandsdörfern im Petén, welche Berührungsängste das Thema nationale Identität in Guatemala unter den Ladino/as auslöst. Wie viele an­dere sieht er hierin zwar ein zentrales Thema in den anstehenden gesellschaftli­chen Diskus­sio­nen, hält es aber für zu konfliktiv, um heute eine öffentliche Ausein­an­dersetzung zu führen.

Frank Garbers, Meike Heckt

Das Ende des Krieges hat den An­stoß zu einer Dis­kussion ge­ge­ben, die von den Maya-Organisa­tio­nen vehement ein­ge­for­dert wird. Erstmalig in der gua­temaltekischen Ge­schichte wird in dem im März 1995 von URNG und Regierung un­ter­zeich­neten “Ab­kommen über Rechte und Identität der in­di­ge­nen Bevölkerung” (Indígena-Abkommen) die rassisti­sche Dis­kri­minierung der indianischen Be­völkerung aner­kannt und für die Zu­kunft die Vision einer mul­tiethnischen, plurikulturel­len und vielsprachi­gen Na­tion Gua­te­mala gezeich­net. Die in den ver­gangenen ein­hundert Jahren do­minie­rende ge­sellschaftliche Grup­pe der La­dino/as scheint dabei zusehens in die Defensive zu geraten. Dies kann kaum ver­wun­dern, denn ein Blick in die Ge­schichte zeigt, daß die Ent­wick­lung des gua­temaltekischen Na­tional­staates und die pro­pa­gier­te nationale Identität in en­gem Zusammen­hang mit den Herr­schaftsinteres­sen der La­dino/as stand und steht.

Die Geschichte ethnischer Machtkonstellationen

Waren es in der Koloni­alzeit Spa­nier und deren Nachfahren, die sogenann­ten Criollos, die die ge­sell­schaftliche Vormacht inne­hat­ten, so begann sich dies mit der Unabhängigkeit Guatemalas 1821 zu verän­dern. Zunächst dran­gen vor allem europäische Ein­wan­derInnen in die traditio­nelle Machtstruktur ein, mit Be­ginn der liberalen Herr­schafts­periode und dem Auf­schwung der Kaffee­wirtschaft ab 1870 er­kämpf­ten sich die “Misch­lings­be­völkerung” und IndianerInnen, die den Bezug zu ihrer Kultur ver­loren hatten – die soge­nannten Ladinos oder Mestizos – ihren Platz im gua­temaltekischen Macht­gefüge. Zwar waren die bei­den Gruppen in der Ko­lo­nial­zeit und in der Pe­riode der frü­hen Unabhän­gigkeit genauso dis­kri­mi­niert und aus­gegrenzt wor­den wie die indiani­sche Be­völ­ke­rung, sie konnten sich aber im Verlauf des vergan­genen Jahr­hun­derts in den länd­lichen Gebieten, in denen sich die “Weißen” kaum blicken lie­ßen, eine Vormachtstellung erarbei­ten. Mit der sich ausbrei­tenden Plan­tagenwirtschaft über­nahmen sie eine wich­tige Brüc­ken­funk­tion. Sie wurden zu An­werbern von billigen Arbeits­kräften in den indianischen Gemein­schaf­ten, zu Landverwal­tern oder manchmal auch zu Land­be­sit­zern und damit zum wichtigsten Element des Zwangs­ar­beits­sy­stems sowie der Inte­res­sen­ver­tre­tung des Staates und der Kaffeeoligarchie in den indiani­schen Gebieten.
Während in den anderen mit­tel­amerikanischen Län­dern der Begriff “Ladino” zum Ende des letz­ten Jahr­hunderts durch “Mestizo” ersetzt wurde, bekam er – so die US-amerikanische An­thropologin Carol Smith – in Guatemala eine neue Bedeutung: Un­terdrücker in den indianischen Gebie­ten des westlichen Hoch­lan­des oder heimatloser Wander­ar­beiter in den Städten oder an der Südkü­ste. Es formte sich jene eth­nische Grenzziehung heraus, die in Guatemala bis heute Be­stand hat. Auf der einen Seite eine extrem heterogene ge­sell­schaft­li­che Gruppe aus Nach­fah­ren spanischer Eroberer, Ein­wan­derInnen und Ladi­nas/os, auf der anderen die indianische Be­völ­ke­rungs­mehrheit. Der Be­griff “Ladino” entwickelte sich dabei im 20. Jahrhundert zu ei­nem Synonym für die ge­samte gesell­schaft­lich do­minierende Gruppe. Auch wenn sich viele europäi­sche Nachfahren bis heute da­ge­gen wehren, als La­dino/as bezeichnet zu wer­den – sie betrachten sich als “Weiße” – hat sich der Be­griff im allgemei­nen Sprachgebrauch durchge­setzt. Zusammengehalten werden sie von einer ge­meinsamen Defi­ni­tion als “nicht-indianisch”, dem Glauben an die guatemal­tekische Nation und an die Auf­recht­er­hal­tung ihrer ge­sellschaftlichen Macht­po­sition. Es entstand damit jene unglück­selige Glei­chung Ladino + Macht + Unter­drückung = Staat + Nation, der sich die india­nische Bevölkerung seit langer Zeit gegenüber sieht.

Indígenas und Nation

Der Staat propagierte seine Politik nach dem Motto: Wer in unser natio­nales Boot will, muß sich anpassen. Dieser Homoge­ni­sierungs- und Assimilie­rungs­an­spruch stand jedoch im offenen Widerspruch zu einer Pra­xis, in der die in­dianische Bevölkerung als billige, ausbeut­bare Masse eingeplant war. Daß sich diese mit einem solchen Staatsgebilde nicht identi­fizieren konnte, liegt auf der Hand: Der gua­temalte­kische Nationalstaat hatte ihnen nie etwas anderes zu bieten als Unterdrückung, Aus­beu­tung und Raub. An­fang des 20. Jahrhunderts hatten die in­dia­ni­schen Ge­mein­schaften et­wa die Hälfte des Landes ver­loren, das noch während der Ko­lo­nial­zeit in ih­rem Besitz war. Da­her hatte die india­nische Be­völ­ke­rung auch nie ir­gend­welche Er­war­tung­en oder An­sprü­che an den Na­tio­nalstaat – aus­ser, daß er sie in Ruhe läßt.
Dies änderte sich erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrhun­derts. Die kurze demokratische Phase zwi­schen 1944 und 1954 und vor allem die folgenden “Modernisierungsbestrebungen” ge­genüber der ländli­chen Bevöl­ke­rung verän­derten die Bezie­hun­gen zwischen Staat und indiani­scher Bevölkerung. Ironie der Geschichte: Gerade die auch als “vorbeugende Aufstandsbe­kämpfung” ge­planten ländlichen Ent­wicklungsmaßnahmen wie Ko­ope­rativenprojekte oder kirch­li­che Bewußtseinsar­beit ver­än­der­ten bei einem Teil der indianischen Be­völkerung ihre Ein­stellung zum Nationalstaat. Sie be­gann soziale und ökonomi­sche Forderungen an den Staat zu stellen. Dieser Prozeß mün­dete Ende der 70er Jahre schließlich in eine offene Unter­stüt­zung der revolutionären Be­we­gung durch große Teile der in­dianischen Bevölkerung. Die re­volutionäre Bewe­gung war zwar nicht aus der indianischen Be­völke­rung heraus erwachsen, viele Mayas sahen darin aber eine Chance zur grundlegenden Ver­besse­rung ihrer Lebensum­stände. Zum ersten Mal in der Ge­schichte Guatemalas hatte sich damit ein größe­rer Teil der in­dianischen Bevölkerung einer natio­nalen Bewegung ange­schlos­sen, die sich eine grundle­gen­de Veränderung des Staates auf die Fahnen geschrieben hatte. Sie wa­ren zu Akteuren auf natio­naler Ebene geworden. Ge­rade diese Allianz über die ethni­sche Grenze hinweg mit anderen gesellschaftli­chen Gruppen wie ökono­misch ausgebeuteten Ladi­nas/os, StudentInnen, städ­tischen Ge­werkschafts- und Volks­or­ga­ni­sationen war es, die die herr­schenden Machtverhält­nisse ernst­haft in Frage stellte. Die in­dia­nische Bevölkerung wurde al­ler­dings zum Hauptziel der Auf­standsbekämp­fungs­maß­nah­men.
Mit der Beendigung des be­waff­neten Konfliktes im Dezem­ber 1996 beginnt sich Guatemala lang­sam aus der politischen Er­star­rung zu lösen, die das Land fast 20 Jahre lang be­herrschte. Heute geht es um die Frage: Wie muß die Nation aussehen, mit der sich alle in Guatemala le­ben­den Bevölkerungsgrup­pen iden­ti­fi­zieren können? Dazu gibt es sehr verschie­dene Meinungen und Szenarien. Es ist zu beob­ach­ten, daß Mayas in dieser Dis­kus­sion mit durchaus unter­schied­lichen Stand­punkten kräf­tig mitmi­schen. Die Initialzün­dung lieferte das Indígena-Ab­kommen. Während die meisten Maya-Organisatio­nen sich dieses Ab­kommen zu eigen machen, es studie­ren, verbreiten, damit ar­bei­ten, ihre Forderungen und politischen Perspekti­ven daraus ableiten, scheint die Mehrheit der Ladinos der Auffassung zu sein, daß dieses Abkommen sie nicht betreffe. Die Soziologin Marta Casaus stellt dazu fest, daß die guatemalteki­sche Gesell­schaft eine “überaus rassistische ist, die sich in einer langsamen Metamorphose von einer biolo­gi­stischen Sichtweise zu einem Selbstverständnis unter kul­tu­rel­len Gesichts­punkten” befin­det. Weiter meint sie: “Im Indí­gena-Abkommen ist erstmalig die Exi­stenz dieses rassisti­schen Staates anerkannt worden”, und fordert die Ladinas/os dazu auf, “unsere Position als Ladi­nos neu zu bewerten und danach mit an­deren darüber (zu) diskutieren, mit wem und wie wir ein multikul­turelles, pluriethnisches Land aufbauen. Wir haben gar keine Basis, um ein einheitliches Land aufzu­bauen, das wäre künst­lich.” Allerdings sind sol­che Meinungen bis heute die Aus­nahme unter der ladini­schen Be­völkerung.

Verkrustungen und Abwehrkämpfe

Die traditionell herr­schenden Sektoren unter den Ladinos – dazu gehören große Teile der Regierung und viele Militärs – lehnen solche Po­si­tio­nen rundweg ab und torpe­dieren das Indígena-Abkommen. Sie wol­len dessen Umsetzung ver­hin­dern, da sie ihre bislang pri­vi­le­gierte Position ge­fährdet sehen.
Das Argument, auf das sich die herrschenden La­dinos zur Ver­teidung ihrer Position bezie­hen, ist para­doxerweise das Recht auf Gleichheit für alle. Kürz­lich brachte ein konservati­ver Abgeordneter im Par­lament einen Entwurf für ein Anti-diskri­minierungs­gesetz ein, nach dem “niemand als Person oder als ethnische Gruppe vor dem Ge­setz diskriminiert, bevorzugt oder besonders behandelt werden darf”. Solche Initiativen werden von vielen Mayas als An­griff be­trach­tet. Juan León von der Defensoria Maya meint dazu: “Wenn wir von unseren Rechten reden, sa­gen sie: ‘Das geht nicht, vor dem Gesetz sind wir alle gleich.’ Sie verdrehen die Argu­men­tation und recht­fertigen da­mit ihr diskrimi­nierendes Ver­hal­ten. Sie meinen, daß die Anerken­nung von Indígena-Rechten gleichzeitig eine Dis­kri­mi­nierung von anderen Völ­kern bedeute. Sie fühlen sich unterlegen, weil deut­lich wird, daß sie selbst nur sehr wenige eigene Werte haben. Aber das ist nicht unser Problem.” Den Vor­wurf von ladinischer Seite, die Mayas wollten jetzt den Spieß umdrehen und sich für die erlit­tenen Unge­rechtigkeiten rächen, weist er zurück: “Unsere Prinzi­pien sind nicht ausgren­zend. Diese Ängste müssen sie über­winden”.
Trotzdem sehen sich viele Ladinos/as durch die For­de­rungen der Maya-Organisatio­nen in ih­ren “Rechten” bedroht und beharren umso stärker auf der Gleichheit aller vor dem Ge­setz. Weit verbrei­tet ist unter ih­nen auch die Meinung, die Ma­yas seien diejenigen, die ihre Identi­tät und ihre Position zum Nationalstaat klären müß­ten, die Positon der Ladi­nas/os sei klar und bedürfe keiner Diskussion. Dahin­ter steht die Überzeugung, die Ladinas/os seien die “wahren GuatemaltekIn­nen”. Indirekt ist damit die alte ladinische Forde­rung an die Mayas verbunden, sich zu assimilieren. Gustavo Palma erklärt diese Situation damit, daß die guatemaltekische Ge­sellschaft weiterhin hoch­gra­dig autoritär und rassi­stisch geprägt sei. Solange viele Ladi­nos für sich die Bezeichnung “Mestize” zu­rückwiesen, weil die­se für sie ein Eingeständnis der Tatsache sei, daß sie in ih­rer Herkunft auch indiani­sche An­teile haben, sei auch die Aner­ken­nung der kulturellen und eth­ni­schen Vielfalt, von Indígena-Rechten extrem schwierig. Unter der Hand gelte das Thema der multikulturellen Gesellschaft als “gefährlich” und werde deshalb abgewehrt.

(K)Eine Bildungsreform

Die derzeitige Regierung ver­folge, erläutert Palma, eine dop­pel­bödige Strate­gie. Einerseits habe sie mit dem Friedensschluß den neuen Diskurs von der “Viel­falt in der Einheit” über­nom­men. Gleichzeitig benutze sie aber weiterhin den mehr als ein­hundert­jährigen Diskurs vom ho­mogenen Nationalstaat Gua­te­ma­la: “Guatemala den Gua­te­mal­te­ken” und “Wir sind alle Guatemalte­ken”. Dieser zweite Dis­kurs ist offensichtlich der weitaus stabilere, er ist fest im Denken verwurzelt und wird sich wahrscheinlich noch lange hal­ten. So wi­dersprechen nach Palma beispielsweise die der­zei­ti­gen Maßnahmen im Bil­dungs­be­reich im Grunde den In­halten des Indígena-Abkom­mens. Hier sei ab­zulesen, daß die Regierung die alte, homogenisie­rende Linie wei­ter verfolge und nicht ernst­haft an Refor­men im Sinne einer neuen nationalen Vi­sion der “Viel­falt in der Einheit” in­te­res­siert sei. Als Basis der jetzt betriebenen Maß­nahmen be­schreibt er das Bildungspro­gramm Educación para la Paz (“Erziehung für den Frie­den”). Dieses berücksich­tige aber die Themen Zu­sammenleben, Re­spekt vor den anderen, Toleranz, eth­nische Vielfalt überhaupt nicht. “Im Indígena-Ab­kommen steht, Rassismus und Diskrimi­nie­rung müs­sen bekämpft wer­den. Aber diese eliminiert man nicht einfach so per Dekret. Das wäre absurd. Es ist ja schön, es als großes, allge­meines Ziel für das ganze Land zu formulieren – aber wie das erreichen? Im Bil­dungs­bereich könnten Wege auf­ge­zeigt werden, aber wenn wir sehen, was die Regierung hier macht, wird die Diskrepanz zwi­schen Diskurs und Praxis deut­lich. Bis heute versucht die Regierung einzig und allein, die homogenisie­rende Vision auf­recht zu erhalten.”
Er berichtet von dem von der Präsidentengattin per­sönlich ge­förderten Projekt Libres y Tri­unfadores (wörtlich: “Freie und Sieg­reiche”), das kürzlich in den staat­lichen Schulen zur Förde­rung der Moralerzie­hung von Ju­gend­lichen eingeführt wurde: “Das Programm geht davon aus, daß alle von Gott geschaf­fen wur­den und deshalb gleich sind. Ein schreckli­ches, autoritäres Prinzip, das den Anschein er­weckt, alles andere zähle nicht. Er­reichen wollen sie zweier­lei: in der Primarstufe Ge­horsam, in der Sekundar­stufe Keuschheit. Damit wollen sie Schafe erzie­hen, ohne Fähigkeit zur Kritik – in allen staatlichen Sekun­dar­stufen arbeiten sie be­reits damit.”
Obwohl im Indígena-Ab­kom­men die Bildung ei­ner Ko­mis­sion zur Erar­beitung von Bil­dungs­re­formen im Sinne einer multikulturellen, plurieth­nischen und vielsprachigen Nation Gua­te­mala verein­bart wurde, die ihre Arbeit allerdings noch gar nicht begonnen hat, verkündet die Vize-Bildungsministe­rin, die Bil­dungsreform in Guatemala sei zu 80 Pro­zent abgeschlossen. Gegen diese Politik der schönen Worte und der gleichzeitig voll­en­deten Tatsachen müssen sich die Maya-Or­ganisationen be­haup­ten, die ihr Recht auf Unterschied­lichkeit einfordern. 120 Maya-Organisationen ha­ben ihr Interesse an einer Mitarbeit zur Formulierung der Bildungs­reform bekun­det, von Seiten der Regie­rung liegen dagegen noch keine Vorschläge über die Beset­zung eines entspre­chenden Gre­miums vor. Gustavo Palma dazu: “Das zeigt das enorme Interesse der Mayas, diesen Gestal­tungs­raum auszufüllen. Die Re­gie­rung, die Ladinas/os hingegen ignorieren diesen, weil nur die homogenisie­rende Sicht repro­duziert werden soll. Das wird sehr bald zu Problemen führen, weil die Mayas dabei sind, kon­krete Vorschläge aus­zuarbeiten, die Regierung hingegen darauf überhaupt nicht vorbereitet ist. Man kann daraus schließen, daß es von Seiten der Regie­rung über­haupt keine Be­reitschaft gibt, das Indí­gena-Abkommen um­zuset­zen. Die Regierung hat die­ses Abkommen aufgrund in­ter­nationalen Drucks un­ter­zeich­net, nicht aus in­haltlicher Über­zeu­gung.”

“Vielfalt in der Einheit” vs. “Wir sind alle Guatemalte­ken”

Obwohl die Strategien des Kampfes, die themati­schen Schwer­punkte und ideologischen Aus­gangs­punkte der in der Koordi­nation COPMAGUA (Co­or­dinación de Organi­sa­cio­nes del Pueblo Maya de Gua­te­mala) zu­sammen­geschlossenen Maya-Or­ga­nisationen sehr unter­schied­lich sind, ver­bindet sie die hi­sto­ri­sche Erfahrung der Aus­gren­zung, Diskriminierung, Re­pres­sion und des Wider­standes. All­er­dings inter­pretieren die in COP­MA­GUA zu­sam­men­ge­schlos­senen Grup­pen die jüngere Ge­schichte Guatemalas auf sehr ver­schie­dene Art und Weise. Zwei Hauptströ­mungen lassen sich unter­scheiden, die beide, bei al­ler Differenz, als wichtigste For­derung das Recht der Mayas auf Unterschied­lichkeit for­mu­lie­ren und diese auch gemeinsam tra­gen.
Die eine Fraktion bilden die Mayas innerhalb der Volksorga­nisationen und der Guerilla na­he­ste­hende Indígenas. Diese geht da­von aus, daß der bewaff­nete Kampf zwar keine wirklichen Lösungen für die Probleme der Indígenas in puncto Ausgren­zung, Diskriminierung und öko­no­mischer Ungleichheit gebracht habe, jedoch eine wichtige Phase im Kampf gewesen sei. Ihr Hauptar­gument: Wenn auch das ur­sprüngliche Ziel einer grund­legenden sozialen Umgestaltung der gua­temaltekischen Gesell­schaft nicht erreicht werden konnte, so ist dennoch festzu­halten, daß es ohne den bewaff­neten Kampf auch kein Indígena-Ab­kommen gäbe, mit dem jetzt alle Maya-Organisa­tionen poli­tisch arbeiten können. Trotz aller Kritik an der ladinisch dominier­ten Guerilla-Führung und daran, daß der Kampf der URNG auf die Änderung der ökonomischen Situa­tion ausgerichtet war und die der kulturellen Verhält­nisse auf einen späteren Zeitpunkt ver­schoben wurde, sieht dieser Flü­gel die Erfahrungen aus dem bewaffneten Kampf als wertvoll an. Viele derer, die diese Posi­tion vertreten, beteiligten sich – zumindest zeitweise – direkt oder indi­rekt als UnterstützerInnen an diesem Kampf und blic­ken auf diesen als einen wichtigen Lern­prozeß zu­rück, auf dem sie ihre heu­tige Arbeit fundieren.
Ein Vertreter dieser Fraktion innerhalb des Maya-Spektrums ist Juan León von der Defensoria Maya: “Es lag vielleicht am hi­sto­rischen Zeitpunkt, daß die In­dígena-Frage nicht konsequent ver­folgt wurde. Aber wir haben an der Formulierung der Abkom­men mitgearbeitet und sowohl Regierung als auch URNG haben Flexibilität gezeigt, indem sie gdas Pro­blem des Rassismus und die Forderung nach Mul­ti­eth­ni­zi­tät anerkannt ha­ben. Das war ein großer Fortschritt, da gibt es kein Zurück mehr. Jetzt müssen wir uns überlegen, wie wir den plurikulturellen Staat wollen, als Zukunftsvision. Das ist für mich zwar ein Traum, der noch weit ent­fernt ist, aber wir müssen jetzt damit anfangen, un­sere kol­lek­ti­ven Erfahrun­gen aufzugreifen, denn Identität ist kollektiv. Un­ser Vorschlag ist, die Viel­falt zur Grundlage der neuen Nation zu machen. Erst einmal soll jede Grup­pe ihre Po­sition fin­den. Dann können wir in einen Dialog tre­ten und ge­meinsam sehen, was wir daraus machen. Die Iden­tität zu stärken, ist be­reichernd für beide Seiten, denn auch viele Ladinos wurden durch die Repres­sion und Milita­ri­sie­rung in ihren Prozessen be­hin­dert. Ein Widerspruch zwi­schen ethnischer und nationaler Iden­ti­tät besteht doch nur für die Mächtigen. Sie be­harren auf der Idee, alle GuatemaltekInnen seien gleich, um die Vielfalt nicht anerkennen zu müs­sen.”
Die andere Strömung in­ner­halb von COPMAGUA lehnt den be­waffneten Kampf voll­ständig ab und vertritt die Mei­nung, daß der Krieg nie die Sa­che der Mayas gewesen sei. Viel­mehr seien die Mayas im Bürgerkrieg von beiden Seiten in gleicher Weise mißbraucht wor­den. Ihre For­derungen begründen sie in erster Linie ethnisch-kul­turell. Einer der re­nommiertesten Ver­tre­ter dieser Gruppe ist De­metrio Cojtí. Auch er macht das Recht auf Unterschiedlich­keit zum Aus­gangspunkt seiner For­de­run­gen: “Danach können wir nach den Gemeinsamkeiten schauen. So wie momentan die Mode des In­terkul­turellen be­trieben wird, ist es für mich nur eine Fort­führung des Ethnozids: Nur das Gemeinsame wird be­tont und das ist in der Re­gel das Ladinische. Da ha­ben wir dann wieder die Dominanz. Die Anforde­rungen an Veränderun­gen werden nur an uns Mayas gestellt. Da gibt es kein Gleich­gewicht.”
Anhand dieser Aussagen wer­den die unterschiedli­chen Grund­po­sitionen deutlich. Wäh­rend Juan León die visionäre Zielvor­stel­lung einer plurikul­turellen Nation formuliert, ist für Cojtí Interkulturalität zur Zeit kein Thema. Pro­vozierend fügt letz­te­rer noch hinzu: “Es ist ja auch noch nicht geklärt, ob wir über­haupt mit den Ladinos in ei­nem ge­meinsamen Staat zusam­men­le­ben wollen.” Gerade diese Aus­sage ist Wasser auf die Mühlen jener Ladino/as, die, in die De­fen­sive ge­drängt, das Ende ihrer Vormachtstellung be­fürchten und den Teufel ei­nes Aus­ein­an­der­brechens des gua­te­mal­te­ki­schen Staates an die Wand malen. Zuweilen geisterte schon das Wort von “jugoslawischen Verhält­nissen” durch die Kom­men­tarspalten der Presse.

Ladinas/os sind gefordert

Sicherlich liegt in dem Thema großer Zündstoff, allerdings ver­laufen die Hauptkonfliktli­nien weiter­hin zwischen der indiani­schen Bevölkerung und der la­di­ni­schen Machtelite. Die näch­sten Monate werden zeigen, ob es ge­lingt, aus der bewaffne­ten Aus­ein­an­dersetzung in eine Phase überzuleiten, in der eine breite und Vertrauen schaf­fende, ge­sell­schaftliche Diskussion über die Zu­kunft der guatemalteki­schen Nation mög­lich ist. Eines jedoch dürfte klar sein: Ohne eine Anerken­nung des Rechtes auf Ei­genständigkeit und Unter­schied­lichkeit der Mayabe­völ­ke­rung geht nichts. Die Ladino/as sind hier gefor­dert.

KASTEN

Zu den im Artikel er­wähnten Personen:

Marta Casaus ist gua­te­maltekische Soziologin, Pro­fes­sorin an der Univer­sidad Au­tónoma in Madrid und Au­to­rin verschiedener Pub­li­ka­tionen über ladini­sche und nationale Identität in Guate­mala.
Demetrio Cojtí gilt als einer der Vordenker der Intel­lek­tuellen innerhalb des Teiles der Maya-Be­wegung, die ih­ren Kampf in erster Linie eth­nisch-kulturell begründet.
Juan León ist Mitbe­gründer von der Campesina/o-Orga­ni­sa­tion CUC und der Or­ga­ni­sa­tion zur Verteidigung der In­dí­genarechte Defensoria Ma­ya. León blickt auf eine lan­ge Ge­schichte des Kam­pfes von Mayas inner­halb der Volks­organisatio­nen zurück. Bei den Wah­len 1995 war er Vizeprä­sident­schafts­kan­didat der Oppo­sitionspartei FDNG.
Alfonso Monroy ist als Ver­treter der Widerstands­dörfer im Petén und der “Bera­ten­den Ver­sammlung der Ent­wur­zelten Bevölke­rung” Mit­glied der Komis­sion für Er­zie­hungsrefor­men in COP­MA­GUA und dort einer der we­nigen La­dinos.
Gu­sta­vo Palma ist Histo­ri­ker und forscht im Rah­men sei­ner Tätigkeit am Sozial­for­schungs­institut AVANC­SO seit einigen Jahren zu Fra­gen nationaler Identität in Gu­a­te­mala.

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