Fernsehen als Mittel der Kritik
der Canalseisdejulio berichtet über eine Vielzahl von Themen, die in der mexikanischen Presse sonst kaum Erwähnung finden
Am 6. Juli 1988 gewann in Mexiko angeblich der Kandidat der regierenden PRI, Carlos Salinas de Gortari, die Präsidentschaftswahl. Noch am Wahltag wurden Anschuldigungen der Wahlfälschung laut. Obwohl die mexikanische Öffentlichkeit massiv gegen die Wahl protestierte, wurde Salinas ohne weitere Untersuchungen zum Präsidenten erklärt. Die Massenmedien, insbesondere das Fernsehen, berichteten nur sehr eingeschränkt über die Anschuldigungen der Wahlfälschung und die Protestbewegung. In diesem politischen Klima gründete eine Gruppe von JournalistInnen und FilmemacherInnen den canalseisdejulio als unabhängige Produktionsgesellschaft.
Seitdem hat sich canalseis in etwa 60 Dokumentarfilmen vieler Themen angenommen, die andere Medien links liegen ließen oder erst später in ihrer Relevanz und Problematik erkannten. So produzierte canalseis eine der ersten kritischen Auseinandersetzungen mit NAFTA, mit La guerra de Chiapas eine erste visuelle Analyse des Zapatisten-Aufstands von 1994 und kurz nach der gewalttätigen Niederschlagung der sozialen Bewegungen in Atenco mit Romper el cerco einen der bekanntesten Dokumentarfilme zu dem Thema.
Neben der schnellen Reaktion auf politische Entwicklungen zeichnet sich die Arbeit des canalseis durch die akribische Recherche von historischen Ereignissen aus, die der Zensur zum Opfer fielen, zum Beispiel in Tlatelolco: Las claves de la masacre und Halcones: Terrorismo del estado. Beide Filme präsentieren Analysen von ZeugInnenaussagen und Bildmaterial über die Massaker, die 1968 und 1971 an der mexikanischen Studierendenbewegung verübt wurden.
Durch den Gebrauch von Satire und Farce werden Themen zur Sprache gebracht, deren Behandlung ohne diese Stilmittel nur mit großer Bitterkeit möglich wäre. Zum Beispiel entblößt Democracia para imbéciles („Demokratie für Dummköpfe”) den diskursiven Gebrauch des Wortes „Demokratie” unter der Fox-Regierung, der keine Verbindung zur politischen Praxis aufweist und so zu einer Entwertung des Demokratiebegriffs führt. Der Gebrauch von Satire in diesem und anderen Filmen von canalseis hat die jeweiligen Regierungen oft verärgert, und canalseis ist immer wieder Angriffen und Zensur ausgesetzt gewesen.
Oft wird die Behauptung erhoben, dass canal-seis der PRD nahe stehe und deshalb im täglichen Machtspiel Mexikos klar einzuordnen sei. Tatsächlich versteht sich canalseis in den Worten von Mario Viveros, einem der Angehörigen des Kollektivs, aber als „Aktivist seiner eigenen Unabhängigkeit”. „Innerhalb seiner sehr bescheidenen Möglichkeiten versucht canalseis zu sagen ‚Schau hin, denk nach, versuche zu verstehen, schau was wirklich passiert‘”, sagt Mitbegünder Carlos Mendoza.
Die Position des canalseis hat sich in den letzten 20 Jahren nicht maßgeblich verändert. 2008 wie schon 1988 bemüht sich das Kollektiv um die Unterstützung und Stärkung der Zivilgesellschaft durch zuverlässige Informationen, die ihr die Entwicklung von eigenen Standpunkten ermöglicht.
Der Vorsitzende der Filmschule der UNAM, Armando Casas, bezeichnete canalseisdejulio kürzlich als „praktisch das einzige vertrauenswürdige visuelle Medium, das ein Verständnis der Realität Mexikos der letzten 20 Jahre erlaubt”. Trotz ständiger Unterfinanzierung überlebt die Produtionsgesellschaft durch das Engagement seiner MitarbeiterInnen und die Unterstützung seines Publikums.