Nummer 332 - Februar 2002 | Trinidad & Tobago

Freie Wahl der Krise

Kein Sieger und viele Verlierer bei den Parlamentswahlen

Knappe Wahlergebnisse sind in Trinidad & Tobago Standard. Ein Patt im Parlament gab es indes noch nie. Seit den vorgezogenen Wahlen am 10. Dezember 2001 ist das anders. 18 Sitze für den bis dato regierenden indisch-dominierten United National Congress (UNC) und 18 Sitze für die afrikanisch-dominierte People´s National Movement (PNM) bringen die Zwillingsinseln an den Rand der Unregierbarkeit.

Martin Ling

Im Prinzip wird in Trinidad & Tobago alle fünf Jahre das nationale Parlament gewählt. Doch mit diesem Prinzip ist es inzwischen nicht mehr weit her. Auf die Wahlen im Dezember 2000 folgten Krise, Parlamentsauflösung und die Wahlen am 10. Dezember 2001. Nun laufen die Wetten, wann wieder gewählt wird, denn statt wie geplant neue Mehrheiten brachten die Neuwahlen ein totales Patt – mit jeweils 18 Sitzen neutralisieren sich der United National Congress und die People´s National Movement (PNM). Ein Ergebnis, für das es in der Verfassung des Landes keine klare Handhabe gibt, außer dass die Berufung des Ministerpräsidenten grundsätzlich dem Präsidenten obliegt. So hatte Arthur Napoleon Jonathan Robinson die Qual der Wahl und entschied sich nach wochenlangem Zögern gegen den seit 1995 regierenden Amtsinhaber und gleichzeitig ersten indisch-stämmigen Ministerpräsidenten der Landeshistorie, Basdeo Panday, und für den Oppositionschef und Pandays Vorgänger, Patrick Manning, von der People´s National Movement (PNM).
Wie lange jener ohne Mehrheit mit Dekreten regieren wird, ist so offen wie der nächste Wahltermin. Denn Basdeo Panday zeigt sich als schlechter Verlierer, ging er doch davon aus, dass er selbst einer Regierung der Nationalen Einheit als Ministerpräsident vorstünde, schließlich sei er nicht abgewählt worden.
Bereits Makulatur ist das von dem UNC und der PNM nach den Wahlen noch vor der Präsidentenentscheidung verabredete Zehn-Punkte-Abkommen, das unter anderem eine parlamentarische Zusammenarbeit zwischen UNC und PNM vorsah, jedoch keine formale Koalitionsregierung. Aus dem Abkommen wird nun nichts und Panday erwägt sogar eine Verfassungsklage gegen die PNM-Regierung. Nichts Neues auf den Zwillingsinseln – vor Jahresfrist unternahm Patrick Manning erfolglos dasselbe gegen die UNC-Regierung (siehe LN 320). Der Anfang einer sich seither verschärfenden Verfassungs- und Politkrise. Denn der Anlass der vorgezogenen Neuwahlen war der Rücktritt dreier Minister im Oktober 2001 wegen Korruption und der damit einhergehende Verlust der knappen UNC-Mehrheit von zwei Sitzen. Das Kuriose an der Sache: Nicht den Ministern wurde Korruption vorgeworfen, sondern sie selbst traten aus Protest gegen die Regierungskorruption zurück und gründeten das Team Unity, das bei den Wahlen jedoch leer ausging. Eine Agenda gegen Korruption scheint als Wahlmotiv offensichtlich nicht ausreichend.

Wahlmüde Bevölkerung

Dass Neuwahlen bald anstehen, daran zweifelt trotz Wahlmüdigkeit kaum jemand der Tribogians. Ob sie die politische Paralyse beenden können, steht auf einem anderen Blatt, denn das Patt kam nicht ganz überraschend. Da die Mehrheit der 1,3 Millionen EinwohnerInnen Trinidads sich im Wahlverhalten an ihrer ethnischen Herkunft orientiert, steht in den meisten Wahlkreisen der Sieger von vornherein fest, auch wenn sich die Parteien formal multiethnisch geben. So rekrutieren sich die WählerInnen des UNC zu 70 Prozent aus Indo-TrinidaderInnen, zu 18 Prozent aus Mischlingen und zu zehn Prozent aus Afro-TrinidaderInnen.
Ein nahezu spiegelverkehrtes Muster ergibt sich beim Rivalen um die Macht, die PNM. 63 Prozent Afro-TrinidaderInnen, 30 Prozent Mischlinge und sechs Prozent Indo-TrinidaderInnen bilden deren Wählerbasis.
Entsprechend wird es regelmäßig nur in rund fünf der 34 Wahlkreise in Trinidad knapp – dort wo die Wählerschaft ethnisch am heterogensten ist. Hinzu kommt die Sonderrolle der kleinen Schwesterinsel Tobago, unter deren 50.000 BewohnerInnen kaum Indischstämmige leben, und deren zwei Sitze oft das Zünglein an der Waage sind. So auch diesmal.

Tobago gibt den Ausschlag

Noch im Dezember 2000 konnte die einstige Macht auf Tobago, die National Alliance for Reconstruction (NAR) wenigstens einen Sitz auf der kleinen Ferieninsel ergattern, nachdem sie seit 1986 dort unangefochten dominierte. Diesmal konnte die PNM beide Sitze einheimsen und damit auf der Gesamtebene zum UNC aufschließen, der trotz reichlicher Korruptionsskandale nur einen seiner vormals 19 Sitze in Trinidad einbüßte. Nicht einmal diejenigen, die sich auf den Straßen Port of Spains als UNC-SympathisantInnen zu erkennen gaben, zweifeln an derartigen Fällen. Doch entscheidend sei die Leistung des UNC, die Wirtschaft floriere wieder und die Arbeitslosigkeit ginge zurück, betonten sie gegenüber den LN. Panday selbst verwies gar auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) als Leumund für seinen wirtschaftlichen Erfolg. Nach einem IWF-Bericht von 2001 habe Trinidad & Tobago eine der besten wirtschaftlichen Entwicklungen in der Region hingelegt.
2000 wuchs die Wirtschaft um 6,4 Prozent bei einer Inflationsrate von nur 2,5 Prozent. Zumindest bis zum 11. September war wirtschaftlich alles in Butter. Doch die Auswirkungen der Terroranschläge sind auch in Trinidad & Tobago spürbar. Der Tourismus geht zurück und der Erdölpreis sinkt angesichts der weltweiten Konjunkturflaute. 24 Prozent des Bruttoinlandsprodukts stammen aus dem petrochemischen Sektor. Mit dem fallenden Ölpreis sinken die Steuereinnahmen und der zu einem höheren Preis kalkulierte Staatshaushalt ist ebenso hinfällig wie voraussichtlich die von UNC und PNM großzügig gemachten Wahlversprechen von Steuergeschenken über Bildungszuschüsse bis hin zu Rentenerhöhungen. Von denen ließen sich ohnehin auch nicht mehr allzu viele an die Wahlurnen locken.

Wahlenthaltung und wachsender Unmut

Nur noch knapp 60 Prozent der Bevölkerung gaben überhaupt ihre Stimme ab. Für den Rapso-Musikstar und Nichtwähler Brother Resistance (siehe auch LN 327/328) hat dies einen einfachen Grund: Das politische System böte der Bevölkerung keinen echten Raum sich zu artikulieren und die Regierung dazu zu bringen, in ihrem Sinne zu handeln, so Brother Resistance’ Wahlanalyse gegenüber LN. In der Realität wechselten die Parteien im Amt, die Grundprobleme von Arbeitslosigkeit und mangelnder Grundbedürfnisbefriedigung bleiben jedoch. Der Musiker kritisierte, dass die Parteien lediglich am Big Business und am Erhalt ihrer Pfründe interessiert seien. Trotz der verfahrenen politischen Situation fehle es im Moment weitgehend an einer Gegenbewegung, da es keinen Kristallisationspunkt für soziale Bewegungen gebe. Die Arbeiterbewegung und die Gewerkschaften, die das ehemals waren, hätten auf Grund der globalen Strukturveränderungen derzeit zu viel mit sich selbst zu tun und kämpften mehr gegen Mitgliederschwund als um eine neue Gesellschaft, so das Fazit von Brother Resistance.
Klar ist, dass der Kampf um die politischen Pfründe weitergeht, denn Panday ist nicht gewillt, klein beizugeben, und Mannings Machtbasis ist mehr als dünn. Aber bei allen Streitigkeiten verläuft der Kampf um die politsche Hegemonie in Trinidad & Tobago in gewaltfreien Bahnen. In anderen karibischen Staaten wären in einer ähnlichen Situation schon mindestens 600 Menschen ermordet worden, relativierte Panday die angespannte politische Situation. Eine etwas unpräzise These, denn solche Größenordnungen kennt man in der Karibik lediglich aus Jamaica. Dort wird für dieses Jahr allerdings der blutigste Wahlkampf seit 1980 befürchtet, als rund 800 Menschen ermordet wurden. Die Rekordzahl von 1100 ermordeten Menschen im Jahr 2001 gilt als böses Omen.

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