Mexiko | Nummer 293 - November 1998

„Gewalt ist ihrer Definition gemäß ein krimineller Akt“

Ein neues Video beschreibt die Kriegsführung niedriger Intensität in Chiapas

„Acteal – Strategie des Todes“ heißt ein Video, das jetzt mit deutscher Untertitelung vorliegt und die Geschehnisse rund um das Massaker in Acteal, einem Dorf im Hochland von Chiapas, beschreibt. Am 22. Dezember letzten Jahres ermordeten dort Mitglieder einer paramilitärischen Gruppe 45 ZivilistInnen, hauptsächlich Frauen und Kinder. Der Überfall markierte einen Höhepunkt der Repressionswelle, mit der die Regierung oppositionelle Kleinbauern überzieht, die mit der aufständischen Guerilla der Zapatistas oder auch nur mit deren Forderungen nach einer Landreform, indianischen Autonomierechten und Demokratisierung sympathisieren. Die BewohnerInnen von Acteal verstanden sich beispielsweise nicht als Mitglieder der EZLN, sondern ausdrücklich als pazifistisch. Sie waren Mitglieder der katholischen Gruppe Las Abejas.

Boris Kanzleiter

Ausgehend von den Schilderungen eines Überlebenden versucht der Dokumentarfilm, der von der mexikanischen Videogruppe Canal 6 de Julio produziert wurde, ein Panorama der politischen Situation in Chiapas zu entwickeln. Über vier Jahre nach dem Beginn des Aufstandes der EZLN hat das Militär den Bundesstaat weitgehend militarisiert. Die Zapatistas verfügen noch immer über großen Rückhalt in der Bevölkerung, aber die selektive Repression zeigt Wirkung. Besonderes Gewicht legt der Film auf die Darstellung der Aktivitäten paramilitärischer Gruppen. Unmißverständlich wird aufgezeigt, wie lokale Politiker der Regierungspartei PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) im Verbund mit Militärs der Bundesarmee diese Todesschwadrone aufbauen. Ihre Funktion ist die Einschüchterung der Bevölkerung und Übernahme von Aufgaben, die Militär und Polizei nur schwerlich erfüllen können, ohne gleich die ganze Regierung in Rechtfertigungsprobleme zu bringen. Dazu zählte auch das Massaker von Acteal, bei dem mit unbeschreiblicher Brutalität vorgegangen wurde.
Interessant sind insbesondere Passagen des Film, die den Zusammenhang des Aufbaus paramilitärischer Gruppen mit der Strategie der Kriegführung niedriger Intensität aufzeigen. Diese von der US-Armee entwickelte Aufstandsbekämpfungsmethode wird in Chiapas von Offizieren umgesetzt, die in US-Militärcamps wie dem Trainingszentrum für Spezialeinheiten und psychologische Kriegführung in Fort Bragg ausgebildet wurden.
Der professionell gedrehte und geschnittene Film collagiert Interviews mit Betroffenen des Massakers, dem Sozialwissenschaftler und ehemaligen EZLN-Berater Julio Moguel und dem Historiker Andrés Aubry mit Passagen einer Rede von Präsident Zedillo, Aufnahmen von Militärs sowie zapatistischer Basisgruppen, die versuchen, Soldaten am Betreten ihres Dorfes zu hindern. Das Bildmaterial könnte stellenweise aussagekräftiger sein. Die zynische Rede von Präsident Zedillo, die den Film eröffnet, demaskiert die Heuchelei der Regierung aber nachdrücklich. Er verurteilt das Massaker – „Die Gewalt ist ihrer Definition gemäß ein krimineller Akt“ –, gleichzeitig wird deutlich, daß die Paramilitärs von der Regierung aufgebaute Kreaturen sind.
Ein Mangel des 45-minütigen Filmes ist, daß er für mexikanische ZuschauerInnen produziert wurde und deshalb nur für ein Publikum verständlich ist, das die politische Situation in Chiapas und Mexiko einschätzen kann und über Hintergrundwissen verfügt. Für Chiapas-Interessierte ist der Film aber auf jeden Fall ein Gewinn.

„Acteal – Strategie der Todes“ ist ausleihbar bei:
autofocus Videowerkstatt e.V.
Lausitzer Str. 10, Aufgang B
10999 Berlin
Tel: 030-618 80 02
Fax: 030-611 15 83
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