Nummer 284 - Februar 1998 | Religion

Gott ist viele

Zur Trikont-Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt

15 Altäre sind zu sehen, Zeugnisse von ursprünglich afrikanischen Religionen in Nord- und Südamerika. 15 Altäre, das ist schon alles. Das Begleitprogramm und die Begleittexte helfen beim Betrachten. Fragwürdig, und zwar im positiven Sinne: des Fragens würdig, bleibt dennoch vieles.

Valentin Schönherr

Warum gerade Altäre? Wir stehen mit den Zehen im Sand an der atlantischen Küste Brasiliens, sehen das Meer rauschen, es dunkelt. Auf dem Strand sind halbmetergroße Vertiefungen gemacht, Kerzen darin, weiße Blüten, Früchte. Es ist – alle Jahre wieder – Silvester an der Copacabana, und Tausende strömen zusammen, um Yemanjá ein kleines Opfer zu bringen. Yemanjá, der Göttin der Wasser und des Überflusses in der Yoruba-Religion. Manche verspritzen Champagner, schäumend wie die Gischt; es kommen immer mehr, bis der Strand um Mitternacht ein langes Band flackernder Lichter ist.
Oder aber: Es ist – zwei Monate lang – Ausstellung in Berlin. Der Raum mit dem Meer ist kaum erleuchtet, Wellen und Wolken sind gemalt, der Strand so breit, wie ein Arm lang ist, und die Kerzen flackern elektrisch. Das Ganze ist vielleicht zwanzig Meter lang, daneben weiße Wand, um uns herum spricht man deutsch und ist warm angezogen.
Szenenwechsel. Wir sehen einen Vorgarten, im Rechteck abgezäunt von bunten, wassergefüllten, von innen erleuchteten Plastikkanistern. Ein Drahtzäunchen, an dem der Schädel eines Tieres hängt, ein Wagenrad, zwei Baumstümpfe, auf denen rote Propellerschrauben liegen. Und dann das Haus – an die Wand gemalt –, daran hängen zwei Puppen, die eine sieht dem Betrachter starr entgegen und hat einen Revolver vor dem Bauch. Die eigentliche Szene: Black Austin, Texas. Die uneigentliche: Berlin.
Das Haus der Kulturen der Welt präsentiert eine Zusammenstellung höchst unterschiedlicher Altäre der Yoruba- und der Kongo-Religion. Die Yoruba stammen aus dem mittleren Westafrika, die Kongo aus Zentralafrika – es waren die europäischen Kolonialmächte, die Millionen von AfrikanerInnen aus ihrer Heimat rissen und als Sklaven nach Amerika brachten. Die afrikanischen Sprachen sind in Amerika über die Jahrhunderte weitgehend verloren gegangen, denn auf den Plantagen waren Englisch und Spanisch, Französisch und Portugiesisch vorgeschrieben. Die Religionen sollten gleichfalls getilgt und durch christliche Konfessionen ersetzt werden, allein das gelang nicht. Zwar haben sich die vielfältigen afrikanischen Religionen vermischt, sind viele verschwunden oder in anderen aufgegangen, einige vermochten aber zu überleben. Yoruba und Kongo sind die größten davon. Nur durch Klandestinität war dies möglich – oder aber durch die Maske christlicher Heiligenbilder, denen nun wirklich nichts Afrikanisches nachzuweisen war, hinter denen sich aber andere Gottheiten verbergen ließen – und nach wie vor lassen: Die „afro-atlantischen“ Religionen haben in Amerika, vor allem in Brasilien, auf den Antillen (Kuba, Haiti, Puerto Rico) und in den USA millionenweise Anhänger. Es ist also gut und sinnvoll und an der Zeit, diese Religionen zum Thema zu machen – das hat nicht allzu viel Tradition.
Aber noch einmal die Frage: Warum gerade Altäre?
Nach Meinung der AusstellungsmacherInnen stehen Altäre „im Mittelpunkt der afrikanischen Religionen“, sie sind in vielfacher Hinsicht räumlicher Bezugspunkt der Gläubigen. Auf Yoruba und Kongo wird das bereits aus den Entsprechungen des Wortes „Altar“ deutlich: Dort heißt es „Anlitz der Götter“ beziehungsweise „Wendemarke“ im Sinne von Schnittpunkt materieller und immaterieller Welt. Altäre werden also, da sie als sichtbare Momente von Religiosität gelten, für besonders aussagekräftig über diese Religionen gehalten. Das ist sicherlich richtig, und doch ist es sehr problematisch.
Man stelle sich vor: In Brasilia werden 15 gotische Altäre aus Norddeutschland gezeigt. Was würde der brasilianische Besucher daraus über die Religiosität der spätmittelalterlichen Hansestädte ablesen können?
Es hängt also davon ab, was wir von dieser Ausstellung erwarten. Sie ist nicht „ethnologisch“, sie zeigt nicht, was und wie die Yoruba- und Kongo-AnhängerInnen glauben. Die Begleittexte geben dazu zwar einige Hinweise, aber viel zu wenige, und vor allem die Exponate selbst leisten das nicht. Manchmal läßt sich ein Detail dessen erhaschen, beispielsweise durch das Foto auf dem Ausstellungsplakat: Man sieht eine Straße, weiter hinten Autos, ganz vorn aber erleuchten an einem Bordstein Kerzen den Asphalt. Wir können ahnen, daß die Religiosität inmitten ganz normalen großstädtischen Lebens stattfindet, daß sie alltäglich ist und ihre Manifestationen weniger auf geregelte, an Tempel oder Kirchen gebundene Rituale angewiesen sind. Aber selbst das wird nicht ganz klar.
Wohl geben manche der (zu klein gedruckten und zu schlecht beleuchteten) Wandtexte Erklärungen über den erstaunlich differenzierten Pantheon und seine Versinnbildlichungen ab. Wir lesen sie mit dem gleichen Interesse wie den historischen Teil in Reiseführern, versuchen, uns Namen zu merken und vergessen die meisten wieder. Über den gelebten Alltag wissen wir immer noch nichts. Warum keine Fotos von den Altären an ihrem Originalstandort (oder, wenn sie Nach- oder Neubildungen sind, von vergleichbaren Orten)? Warum nur Altäre und keine weiteren Kultgegenstände, keine Fotos oder Filme von Menschen?
Ein ganz anderer Blickwinkel wäre – und da ist der Ausstellung weitaus mehr abzugewinnen –, es einfach dabei zu belassen: Wir sehen Altäre. Zwar von Völkern, von denen wir als NichtspezialistInnen fast nichts wissen, aber geschenkt. Was macht eigentlich das Besondere, ja Heilige an diesen Altären aus? Warum „besitzt“ das Wäldchen aus blau-weiß gestreiften Tüchern oder der Flaschenbaum oder eben die Szene am Meer eine Ausstrahlung? Beruht ihre Kraft auf der künstlerischen Komposition, auf dem musealen Rahmen – oder ist noch etwas anderes berührt? Die Altäre wirken offen, undogmatisch, man kann in ihnen lesen, ohne initiiert zu sein – haben die afrikanischen Religionen in Amerika deshalb solchen Zulauf, gerade auch von Nicht-Schwarzen? Bieten sie wie andere Religionen oder mystische Richtungen der Welt Optionen für das wachsende Bedürfnis nach Spiritualität im „Westen“? Oder bedeutet der Zulauf vielmehr, daß nach einer langen Phase westlich-rationalistischer Dominanz nun auch verschüttete und unterdrückte Kulturformen zu ihrem Recht kommen?
Solchen Gedanken läßt sich bei Berlins trüber Gräue in der Ausstellung gut nachhängen. Manches ist zu bekritteln – so, daß in einem Haus dieses Namens alle Wandtexte nur auf Deutsch sind, daß der englischsprachige Katalog ein Fachbuch und unerschwinglich ist (118 Kröten) – statt dessen gibt es ein „Special“ im Zeitungsformat mit ganzen zwei Textseiten zur Ausstellung.
Dennoch lohnt sie sich. Denn vom Strand mit den Kerzen und von den vielen anderen Altären, die einem lange nicht aus dem Kopf gehen wollen, trennt man sich ungern.

Haus der Kulturen der Welt, Berlin, John-Foster-Dulles-Allee 10: „Face of the Gods“, bis 15.3., Di-So 11-18 Uhr.

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