Gesundheit | Nummer 339/340 - Sept./Okt. 2002

Krankenhäuser zum krank werden

Personal und PatientInnen leiden unter dem maroden Gesundheitssystem in Guatemala

Immer weniger Personal für immer mehr PatientInnen, lange Wartezeiten und mangelhafte Hygiene: In den öffentlichen Krankenhäusern in Guatemala fehlt es an allen Ecken und Enden. Während die kranken Menschen nichts anderes tun können als auf ihre Behandlung zu warten, versuchen die ÄrztInnen, sich mit einem Streik gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu wehren.

Ines Hölter

María Luisa Mazariesgos aus Villa Nueva wartete vier Stunden vergeblich in der Notaufnahme, um ihren akuten Asthmaanfall behandeln zu lassen. Nachdem sie schließlich in einen der Behandlungsräume vorgelassen wurde, sagte man ihr, dass man sie nicht mehr behandeln könne. „Sie schickten mich in eine andere Klinik. Doch der Termin, den ich bekam, war erst für Ende November. Sie ziehen einem nur das Geld aus der Tasche”, erbost sie sich.
Guatemala-Stadt hat mit dem Roosevelt und dem San Juan de Dios zwei öffentliche Krankenhäuser sowie drei private, die jedoch nur der wohlhabenden Oberschicht zugänglich sind. Neben diesen Einrichtungen gibt es das Instituto Guatemalteco de Seguridad Social, (IGSS), welches speziell für Arbeit-nehmerInnen eingerichtet wurde und bei dem auch Maria versichert ist. Die monatlichen Beiträge werden teils von den Versicherten, teils von ihren ArbeitgeberInnen aufgebracht. Doch an der vorgesehenen ärztlichen und medizinischen Versorgung hapert es gewaltig. Neue Programme zur Verbesserung der Versorgung haben nicht viel daran geändert. Die Beschwerden der Versicherten werden deshalb immer lauter.

Verzweifelte PatientInnen…

Während einer Zusammenkunft mit KollegInnen in Guatemala-Stadt erzählt Boris García, Sprecher der Ärzteschaft, dass sie bereits seit vielen Jahren eine bessere Bezahlung und vor allem bessere Arbeitsbedingungen fordern, jedoch nie Gehör fanden. „Das IGSS befindet sich in einer Krise, weil es an Personal, Material und Ausrüstung fehlt. Jetzt haben wir allein in diesem Jahr bereits den fünften Direktor”, erzählt García. Alle Vorgänger mussten wegen Korruptionsvorwürfen nach kürzester Zeit zurücktreten.
Otilia de Jesús Patzán, die neue Direktorin des IGSS, berichtet derweil von den vorgesehenen Erneuerungen und Programmen im Institut. Eines davon ist eine Radiokampagne, die der Imageverbesserung dienen soll. Über die Kosten spricht sie jedoch nicht. Dies rief den Sprecher der Gewerkschaft der Angestellten des IGSS auf den Plan: „Es wird Geld für unsinnige Werbung ausgegeben, während die Behandlung der Patienten jeden Tag schlechter wird”, regt er sich auf.
Im Centro de Atención Médica Integral para Pensionados (CAMIP), das dem IGSS angeschlossen ist und in dem Pensionäre betreut werden, bestätigt sich dieser Eindruck. Obwohl sich alle im Beisein des Personals lobend äußern, fallen die Urteile der „unbeaufsichtigten” RentnerInnen schlechter aus. So etwa jenes von Jeremías Escobar. Der 77-jährige Diabetiker hat seit zwei Monaten keine Medikamente mehr erhalten. Auch María Nicolás Tobar klagt über die miserable Versorgung mit Arzneien. Über eineinhalb Stunden wartete sie vergeblich auf ihr Präparat. Auch der leukämiekranke Manuel Castellanos musste das Geld für sein Medikament zuletzt selber aufbringen, indem er es im Familienkreis sammelte. Auf Dauer würde das für ihn und seine Familie den finanziellen Ruin bedeuten.
Estela Lemus Barrera weiß um diese Problematik. Dennoch betont die Direktorin des CAMIP, dass das Personal keine Schuld treffe, da Medikamente schlicht von den Listen gestrichen würden. Stattdessen berichtet sie stolz, dass nun die PatientInnen wenigstens nicht mehr unter „unmenschlichen Umständen” warten müssten: Im April wurden Stühle und Fernseher aufgestellt, so dass die Wartenden sich nun bei einem Glas Wasser oder einer Tasse Kaffe die Zeit versüßen können. Das wird jedoch nicht das Problem der Personalknappheit lösen, der eine ständig wachsende PatientInnen-zahl gegenübersteht. Während zum Beispiel die Zahl der jährlichen Entbindungen vor fünf Jahren noch bei 12 Millionen lag, beläuft sie sich mittlerweile auf 17 Millionen. Guatemala hat im lateinamerikanischen Vergleich die zweithöchste Geburtenrate.

…und wütende Ärzte

Aber nicht nur die PatientInnen und das Krankenhauspersonal, auch die ÄrztInnen selbst sind den „unmenschlichen” Bedingungen ausgesetzt. Operationen bei 45°C und ausgefallener Klimaanlage sind keine Seltenheit. Im Krankenhaus von Tiquisate, einer kleinen Stadt 130 km von der Hauptstadt entfernt, sind auch die Wäscherei und Küche unbenutzbar, weil elementare Reparatur- und Wartungsarbeiten nicht ausgeführt werden. Krankenhausabfälle verbleiben über mehrere Tage in normalen Plastikeimern und ziehen Fliegen und anderes Ungeziefer an. Mittlerweile wurden im Gebäude Spuren von Bakterien, Pilzen und sonstigen Mikroorganismen entdeckt, die der Gesundheit nicht besonders zuträglich sein dürften. Luis Alfredo Carranza, zuständig für die Instandhaltung des Gebäudes, gibt zu, dass „einiges gemacht“ werden müsste. Ob die verantwortlichen Behörden sich nicht darum kümmern wollen, oder ob einfach kein Geld da sei, wisse er allerdings nicht.
Das interessiert die ÄrztInnen auch nicht mehr. Sie streikten im vergangenen Monat für über eine Woche, so dass sowohl das Roosevelt als auch das San Juan de Dios ihre Türen schließen mussten. Erst nach zahlreichen Verhandlungen mit dem guatemaltekischen Gesundheitsminister Mario Bolaños nahmen sie am 19. August ihre Arbeit wieder auf. Doch weder die Forderung nach besserer Bezahlung, noch die nach besseren Arbeitsbedingungen wurden bislang erfüllt. Nun machen es ihnen ihre KollegInnen des IGSS nach. Folgt nun noch die Forderung nach der Absetzung Bolaños? Ein Misstrauensvotum gegen ihn wurde von der Opposition bereits eingereicht.

Kaste: Generika: eine preisgünstige Alternative

Wegen der schlechten und dazu noch teuren medizinischen Versorgung greifen immer mehr GuatemaltekInnen zu Generika

Generika sind oft bis zu 80 Prozent billiger als die Originalprodukte der importierenden Pharmakonzerne. Laut der Grupo Pharma, die diese Ersatzprodukte herstellt, gibt es momentan 250 solcher Generika, die die gleiche Qualität aufweisen, wie die Originale, „und das zu einem weitaus günstigeren Preis“, so Rodolfo Luna, Sprecher des Konzerns.
Für viele GuatemaltekInnen sind diese „no-name”-Produkte eine echte Alternative. Bei einem monatlichen Einkommen zwischen 1500 und 5000 Quetzales (175-700 Euro) macht die Ersparnis durch Generika einen großen Unterschied. „Es gibt viele Laboratorien in Guatemala, die das gekündigte Personal der großen internationalen Pharmakonzerne übernommen haben, nachdem diese das Land verlassen haben. Von daher sind die Produkte hundertprozentig zuverlässig“, so Rodolfo Luna. Trotzdem weist die Ärztin Mayra Cifuentes darauf hin, dass einige Firmen illegal arbeiteten und die hergestellten Arzneien keinerlei Wirkung hätten. Wenn also das Billigprodukt nicht wirke, sei es ratsam, auf das Original umzusteigen.

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