Aktuell | Kollektive | Nummer 594 - Dezember 2023 | Peru

Militärischer Pomp und Wirtschaftslobby

Zum Besuch der peruanischen Präsidentin Dina Boluarte in Deutschland

Nach den schweren Menschenrechtsverletzungen, die während der sozialen Unruhen im Süden Perus zwischen Dezember 2022 und März dieses Jahres begangen wurden, ist die peruanische Regierung verzweifelt bemüht, ihr Image im Ausland aufzupolieren. Mehr als 60 Tote – 49 von ihnen wurden mit Schusswaffen von Polizei und Armee getötet – sind immer noch ungesühnt, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass seitens der Justiz nach den Verantwortlichen für das Geschehene gesucht wird. Dank des internationalen Drucks, der diese Massaker anprangerte, sind die Geschehnisse jedoch international bekannt. Das macht es für die Regierung, die diese außergerichtlichen Hinrichtungen zu verantworten hat, schwierig, auf der internationalen politischen Bühne normal zu agieren. Nichtsdestotrotz gibt es einige Regierungen, die sich hierbei als entgegenkommend erwiesen haben.

Von Manuel Benza, Colectivo Fujimori Nunca Más - Berlin (Übersetzung: Ulrike Geier)
“Mörderin Dina” Protest gegen die peruanische Präsidentin Dina Boluarte, die in Berlin mit militärischen Ehren empfangen wurde (Foto: Fujimori Nunca Más – Berlin)

Dina Boluarte war am 12. und 13. Oktober in Deutschland, hauptsächlich um als Ehrengast am vom Wirtschaftsgremium Lateinamerika Verein e.V. (LAV) organisierten Lateinamerika-Tag teilzunehmen. Mit anderen Worten: Ein Teil der peruanischen Wirtschaft erwartete die Präsidentin einer Regierung, die Menschenrechte verletzt hat, als Ehrengast auf einer Veranstaltung in Deutschland, um für Investitionen in ihre Bereiche zu werben. Teil dieser Wirtschaftslobby waren peruanische Unternehmer*innen wie der Vorstandsvorsitzende von Minas Buenaventura, Roque Benavides, unter anderem bekannt für die Einschüchterungen gegen die Bäuerin Máxima Acuña, die sich gegen die Enteignung ihres Landes durch das Bergbauunternehmen Yanacocha in Cajamarca wehrte. Oder Ricardo Márquez von der Nationalen Industriegesellschaft und ehemaliger Vizepräsident des Diktators Alberto Fujimori. Weitere Teilnehmer*innen der Veranstaltung waren Ana Cecilia Gervasi, Außenministerin Perus (am 6.11.23 zurückgetreten, Anm. d. Red.), und andere peruanische Regierungsvertreter*innen, ebenso Norbert Onkelbach, CCO von Lima Airport Partners, dem Betreibers des Flughafens von Lima Jorge Chávez (dessen Anteile mehrheitlich bei der deutschen Fraport AG liegen), Vertreter*innen von Anwaltskanzleien, die mit deutschen Unternehmen in Peru zusammenarbeiten, wie „Beminzon & Benavides“, „Rodrigo, Elías & Medrano“, und andere.

Dieses Ereignis blieb in Peru sowohl in den großen Medien als auch in einem Großteil der nicht vom Marktmonopolisten El Comercio kontrollierten „unabhängigen Presse“ fast unbemerkt. Es scheint also kein Problem zu sein, wenn peruanische Wirtschaftsleute zusammen mit einer Präsidentin Investitionen mit dem Versprechen rechtlicher Stabilität und sozialen Friedens bewerben, nachdem weltweit quasi alle wichtigen staatlichen und nicht-staatlichen Menschenrechtsorganisationen die Geschehnisse in den südlichen Anden Perus als außergerichtliche Hinrichtungen angeprangert und ebenso das Vorgehen der peruanischen Regierung gegen die indigene Bevölkerung als rassistisch motiviert bezeichnet haben. Vielmehr bezog ein Großteil der peruanischen Presse sich darauf, dass Boluarte sich auch mit dem Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper getroffen hatte, dessen Position der von Boluarte untergeordnet ist und deshalb dem Anlass nicht angemessen gewesen sei. Wir vom Kollektiv Fujimori Nunca Más – Berlín möchten aber auf eine andere Tatsache hinweisen: Peruanische Geschäftsleute kommen nach Deutschland, um Investitionen einzuwerben und präsentieren eine Regierung, die Menschenrechte verletzt, als Garantin für „sozialen Frieden“ und „Stabilität“.

Am darauffolgenden Tag, dem 13. Oktober, ging es für Dina Boluarte nach Berlin, wo sie im Schloss Bellevue vom deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier mit militärischen Ehren empfangen wurde. Es ist verständlich, dass Deutschland aus diplomatischen Gründen die Person empfangen muss, die das peruanische Präsident*innenamt innehat. Nichtsdestotrotz war es für unsere Gemeinschaft schmerzlich zu sehen, wie Dina Boluarte in Deutschland mit militärischen Ehren empfangen wurde, nachdem in Peru 49 Menschen durch Waffen der Polizei und der Armee getötet worden waren. Menschenrechtsverletzer*innen, die auf Menschen schießen, haben keine Ehre. Es wird kein roter Teppich für diejenigen ausgerollt, die auf wehrlose Jugendliche schießen. Es gibt keinen Beifall für diejenigen, die Bauern, Bäuerinnen und Indigene erschießen, welche ein Land fordern, das ihnen mehr Gerechtigkeit gibt. Es gibt keinen Grund, das Ansehen der Regierung Boluarte reinzuwaschen. Wir fordern Gerechtigkeit, und wir fordern sie jetzt. Deswegen waren wir als Bündnis PEX-Alemania (peruanxs en Alemania, Deutsch: Peruaner*innen in Deutschland) bei den verschiedenen Aktivitäten Dina Boluartes sowohl in Stuttgart als auch in Berlin anwesend. Die militärischen Ehren im Schloss Bellevue wurden vom legitimen Protest der peruanischen Community – zu der auch das Kollektiv Fujimori Nunca Más gehört – überschattet. Während der Zeremonie konnte sie unsere Stimme des Protestes hören, die ebenso die Stimme der großen Mehrheit des peruanischen Volkes ist: “¡Dina Asesina! ¡El pueblo te repudia!” (Deutsch: „Dina du Mörderin, das Volk lehnt dich ab!“, Anm. d. Red.).

Hierbei sei auch erwähnt, dass verschiedene Kollektive von Peruaner*innen in Deutschland und Europa ein Schreiben unterzeichnet haben, das von einem bekannten Vertreter unserer Gemeinschaft persönlich an Bundespräsident Steinmeier übergeben und auch in unseren sozialen Netzwerken veröffentlicht wurde. In dem Schreiben weisen wir auf die Ereignisse in unserem Land hin und teilen unsere Ablehnung des Deutschlandbesuchs von Boluarte mit. Eine der Schlussfolgerungen des Dokuments ist, dass wir, die peruanische Gemeinschaft, die hier in Deutschland studiert, arbeitet und die Gesetze und Institutionen des Landes respektiert, der Meinung sind, dass die Anwesenheit von Boluarte dem Ansehen Deutschlands bei der Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten in der Welt schadet.

Nach dem Wirtschaftslobby-Treffen und militärischem Pomp führte die Reise Boluarte in den Vatikan, wo sie vom Papst empfangen wurde, der nur wenige Minuten mit ihr verbrachte und sich, den vom Vatikan veröffentlichten Fotos und der Kürze des Treffens nach zu urteilen, sehr unwohl bei diesem fühlte. Im Allgemeinen wurden in Peru die verschiedenen Reisen von Dina Boluarte in die Vereinigten Staaten und nach Europa sowohl als frivol im Hinblick auf die Höhe der ausgegebenen Gelder als auch als inkonsequent bezeichnet. Sie konnte weder mit Bundeskanzler Olaf Scholz zusammentreffen, noch wurde sie von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni empfangen, als sie Italien besuchte. Nach unserer Einschätzung wurde sie bei ihrem Besuch in Deutschland jedoch ihrer Rolle als Garantin des „sozialen Friedens“ für Investor*innen gerecht. Auch wenn noch keine großen Projekte angekündigt wurden, wird die Zeit zeigen, ob die „Ehrengästin“ der Stuttgarter Veranstaltung, die nur von 13 Prozent der Peruaner*innen anerkannt wird und der in allen Sprachen und überall, wo sie auftaucht, „Mörderin“ entgegen geschrien wird, die deutschen Unternehmer*innen überzeugt hat.

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