Chile | Nummer 596 - Februar 2024

Neues Lithiumabkommen ignoriert Indigenenrechte

Der chilenische Staatskonzern Codelco soll in Zukunft gemeinsam mit dem umstrittenen Unternehmen SQM Lithium abbauen

Den Staat am Lithiumabbau zu beteiligen war eines der Wahlversprechen von Chiles linksgerichtetem Präsidenten Gabriel Boric. Nun hat er eine öffentlich-private Partnerschaft zwischen dem staatlichen Bergbaukonzern Codelco und dem Privatunternehmen SQM vereinbart, das bisher Lithium in der Atacamawüste abbaut. Die Partnerschaft soll ab dem 1. Januar 2025 in Kraft treten. Das Abkommen sei ein „beispielloser Meilenstein in der chilenischen Bergbauindustrie und ein konkreter Schritt auf dem Weg zu einer gerechten und nachhaltigen Entwicklung“, sagte Boric bei einer Ansprache Ende Dezember 2023. Dank des Abkommens sei die Beteiligung des Staats im Lithiumabbau garantiert. Kritik kommt von Indigenen und Umweltschutzorganisationen.

Von Sophia Boddenberg, Santiago de Chile
Mineral von nationalem Interesse In einem Salzsee in der Atacamawüste wird Lithium abgebaut (Foto: Sophia Boddenberg)

Unter der Erde des Salar de Atacama, einem Salzsee in der Atacamawüste, schlummern die größten Lithiumreserven der Welt. Chile ist nach Australien der wichtigste Lithiumexporteur auf dem Weltmarkt. Exportiert wird hauptsächlich nach China, aber auch nach Europa und in die USA. Die globale Nachfrage nach Lithium boomt, weil das Metall ein zentraler Bestandteil für die Herstellung von Batterien für Elektroautos ist. Bisher dominieren das chilenische Unternehmen SQM und der US-amerikanische Konzern Albermarle den Lithiumbergbau in Chile. SQM hat keinen guten Ruf. Pinochets Schwiegersohn, Julio Ponce Lerou, war lange Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender. Außerdem läuft ein Gerichtsverfahren gegen Politiker*innen und ehemalige Manager*innen von SQM, denen Bestechung, illegale Politikfinanzierung und Steuerhinterziehung vorgeworfen wird.

Lithium ist in Chile gesetzlich als ein Mineral von nationalem Interesse definiert und nicht konzessionsfähig. Unternehmen müssen deshalb Verträge mit dem Staat abschließen, um das Metall abbauen zu dürfen. Der Vertrag, der SQM den Lithiumabbau in der Atacama-Salzwüste genehmigt, läuft 2030 aus, der von Albermarle 2043. Die von Boric angekündigte Absichtserklärung sieht vor, dass Anfang 2025 aus dem Staatskonzern Codelco und SQM ein Gemeinschaftsunternehmen hervorgehen soll. Codelco soll mit 50 Prozent plus einer Aktie Mehrheitseigentümer sein und von 2031 bis 2060 einen Vertrag zum Abbau erhalten. Das bedeutet, dass der Staat die Kontrolle über das neue Unternehmen haben wird. SQM wird bis 2031 eine zusätzliche Produktions- und Verkaufsquote von 165.000 Tonnen gewährt. Das Abkommen ist Teil der Nationalen Lithiumstrategie, die Boric im April 2023 angekündigt hatte.

Die indigenen Gemeinden der Likan Antai, auch bekannt als Atacameños, die seit Tausenden von Jahren in der Atacamawüste leben, protestierten Anfang Januar tagelang gegen die Vereinbarung. Sie sperrten die Zufahrtsstraße zur Anlage von SQM in der Wüste, woraufhin das Unternehmen die Produktion einstellen musste. „Wir sind nicht bereit, weiterhin eine Opferzone zu sein“, heißt es in einer Erklärung des Rats der Völker der Atacameños, dem 18 Gemeinden angehören. Sie fordern Boric auf, die Salzwüste zu besuchen und „sich vor Ort ein Bild von den Schäden zu machen, die durch den Abbau in den umliegenden Gemeinden entstanden sind“, heißt es weiter. Die indigenen Gemeinden waren nicht an den Verhand­lungen zum Abkommen zwischen Codelco und SQM beteiligt, werden aber die sozialen und ökologischen Kosten tragen.

Die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, die Chile unterschrieben hat, sieht vor, dass die indigenen Völker konsultiert werden müssen, wenn gesetzgeberische Maßnahmen sie unmittelbar berühren. Die Vereinbarung zwischen Codelco und SQM sieht vor, die Lithiumabbaumengen bis 2030 um ein Drittel auf 300.000 Tonnen pro Jahr zu erhöhen. Derzeit wird Lithium aus Salzwasser gewonnen, das aus der Wüstenerde in riesige Becken gepumpt wird und dort unter der Sonne verdunstet. Zusätzlich wird auch Süßwasser verbraucht. Dieser Prozess wirkt sich auf das Ökosystem der Wüste aus und auf die ohnehin knappen Wasserressourcen. Eine erhöhte Abbauquote wird die indigenen Völker vor Ort also unmittelbar betreffen.

Auch chilenische Umweltorganisationen sehen das Abkommen kritisch. Lucio Cuenca, Direktor der Lateinamerikanischen Beobachtungsstelle für Umweltkonflikte OLCA, spricht von einer „Verantwortungslosigkeit gegenüber der Umwelt und den indigenen Völkern“. Er kritisiert, dass die Vereinbarung keine Studien über die Auswirkungen der erhöhten Abbauquoten auf die Umwelt beinhaltet. Die Regierung hat zwar angekündigt, dass neue Technologien und Verfahren angewandt werden sollen, darunter die sogenannte direkte Extraktion, bei der Lithium direkt aus der Flüssigkeit extrahiert und das Restwasser zurück in den Untergrund gepumpt wird, um die Wasserressourcen zu schonen. „Diese Technologie wird bisher nicht angewandt und wurde nicht für Projekte dieser Größenordnung entwickelt. Es handelt sich um einen Slogan, um den Lithiumabbau zu rechtfertigen, ohne die nötigen Umweltstudien durchzuführen“, sagt Cuenca.

Venus Reyes, Forscherin der gewerkschaftsnahen Stiftung Fundación Sol, kritisiert, dass die Vereinbarung zwischen Codelco und SQM eine neokoloniale Logik wiederholt. „Chile soll Lithium für den Globalen Norden bereitstellen und dafür eine ganze Region austrocknen. Und das wird als Weg der Entwicklung präsentiert“, sagt sie. Zwar würde der chilenische Staat durch das Abkommen höhere Einnahmen aus dem Lithiumabbau erzielen. „Aber zu welchem Preis?“ Die Vereinbarung vertiefe das exktraktivistische Wirtschaftsmodell, das auf den Abbau und Export unverarbeiteter Rohstoffe basiert und das für einen langen Zeitraum, nämlich bis 2060. „Dieses Abkommen schafft einen Präzedenzfall“.

Boric hat damit zwar sein Ziel erreicht, dem Staat eine stärkere Rolle im Lithiumbergbau einzuräumen. Aber die Garantien für soziale und ökologische Gerechtigkeit, die Indigene und Umwel­tschützer*innen erwarten, hat er nicht geschaffen.

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