Reportagen und Todesmeldungen
Repression und Gewalt prägen den Alltag von Journalist_innen im mexikanischen Bundesstaat Veracruz
Am 11. Februar wurde der Leichnam des Journalisten Gregorio Jiménez de la Cruz in einem Graben im Bezirk Las Choapas gefunden. Sechs Tage zuvor hatte eine Gruppe Bewaffneter den Reporter aus seinem eigenen Haus entführt. Der Vorfall ereignete sich im Bundesstaat Veracruz, der im Jahr 2011 von der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen als einer der zehn gefährlichsten Orte für Journalist_innen weltweit eingeordnet wurde.
Die Ereignisse an der mexikanischen Golfküste sind symptomatisch für die Situation von Journalist_innen in ganz Mexiko. In ihrem Alltag sehen sich die Mitglieder dieser Berufsgruppe mit Bedrohungen, Einschüchterungen, Überfällen, Entführungen und Ermordungen konfrontiert – die Straffreiheit ist für die Täter_innen dabei fast garantiert. Im vergangenen Jahrzehnt sind in Mexiko mehr als 80 Journalist_innen umgebracht worden; die Fälle von verschwundenen Reporter_innen sind in dieser Zahl nicht enthalten. Aus diesem Grund galt das Land 2012 als eines der fünf gefährlichsten für Journalist_innen weltweit.
Veracruz sticht im nationalen Panorama als trauriger Spitzenreiter hervor. Verschiedene Faktoren wie die Auseinandersetzungen zwischen dem Kartell der Zetas und anderen kriminellen Gruppierungen sowie die Infiltrierung breiter Sektoren des politischen und wirtschaftlichen Lebens durch Akteure der Organisierten Kriminalität laufen hier zusammen. Das erzeugt einen Gewaltkontext, unter dem die Bevölkerung leidet. Es wird außerdem angenommen, dass verschiedene kriminelle Vereinigungen Strippenzieher des Menschenhandels zum Zweck der Zwangsprostitution sind. Kinder und Frauen aus dem gesamten Land sowie zentralamerikanische Migrant_innen auf dem Weg zur Nordgrenze sind ihre Opfer. Sowohl in den größeren Städten als auch in den ländlichen Regionen sind Entführungen an der Tagesordnung. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter belegen das: Regelmäßig werden dort Fälle von Kindern und Jugendlichen publik gemacht, die auf dem Schulweg verschwinden. Die Ermittlungsbehörden missachten die Vorschriften, die eine sofortige Suche vorsehen und fordern die Angehörigen stattdessen auf, 48 Stunden mit der Suche zu warten; eine Suche, die selten positive Ergebnisse hervorbringt. Auch die Anzahl der Feminizide – Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts – steigt an: Nach Schätzung lokaler Nichtregierungsorganisationen wurden 2013 in Veracruz mehr als 90 dieser Verbrechen begangen. Auseinandersetzungen mit Schusswaffen, Überfälle und andere Formen der Gewalt haben dazu geführt, dass sich ein Großteil der veracruzanischen Gesellschaft in die Gleichgültigkeit flüchtet und eher über die Lösung persönlicher Probleme, die Arbeitslosigkeit und die andauernde Wirtschaftskrise nachdenkt.
In diesen Zusammenhang bettet sich die gefährliche Lage für Journalist_innen ein. Allein zwischen dem 1. Dezember 2010 und dem 11. Februar 2014 sind zehn Journalist_innen gewaltsam um ihr Leben gekommen. In der Folge sind einige Journalist_innen in andere Bundesstaaten oder sogar ins Ausland gezogen. Diejenigen, die in Veracruz bleiben und dort weiterhin journalistisch arbeiten, wissen, dass sie mit jeder neuen Nachricht ihre eigene Sicherheit und die ihrer Familien gefährden.
„Es gab viele Morde, aber derjenige an Regina Martínez hat dem ganzen eine neue Tragweite gegeben. Die anderen Kollegen, die umgebracht wurden, waren Polizeireporter. Der Mord an Regina ist paradigmatisch. Seitdem sind nicht mehr ausschließlich Polizeireporter betroffen, deren Ermordung ein Zusammenhang mit der Organisierten Kriminalität nachgesagt wurde. Stattdessen sind es nun alle Journalisten“, berichtet die Journalistin Norma Trujillo, die selbst mehrmals durch Anrufe und Drohbriefe eingeschüchtert wurde. Ihren Fall betreut nun eine Sondereinheit der Bundesstaatsanwaltschaft, die für Verbrechen gegen die Meinungsfreiheit zuständig ist. Die Behörden in Veracruz hatten ihrem Fall keine Beachtung geschenkt. Norma Trujillo schreibt für die regionale Ausgabe der Tagezeitung La Jornada unter anderem über die Tätigkeiten von Firmen, die in den Bergbausektor und die Wasserkrafterzeugung des Bundesstaates investieren. Sie kritisiert, dass diese der staatlichen Kontrolle entgleiten und Raubbau an der Umwelt betreiben. Über die 2013 vom Kongress verabschiedete umstrittene Bildungsreform und die Mobilisierung der Lehrer_innen hat sie ebenfalls berichtet.
Gemeinsam mit Kolleg_innen hat Norma Trujillo vor zwei Jahren begonnen, mit unterschiedlichen Aktionen auf die Ermordung von Regina Martínez, Korrespondentin der Wochenzeitschrift Proceso, aufmerksam zu machen. Am 28. April 2012 war deren Leichnam in der eigenen Wohnung gefunden worden. „Du verstehst jetzt nicht mehr, wo die Repression und Drohungen überall herkommen können. Bei Recherchen über Minen, Wasserkraftwerke und deren Umweltfolgen gibt es immer einen den man schädigt: Die Regierung selbst“, erklärt Trujillo. Die Ermittlungsbehörden des Bundesstaates konzentrieren sich jedoch auf das Privatleben der Ermordeten und konstruieren dabei Tathergänge, nach denen das Mordmotiv im persönlichen Umfeld der Journalist_innen liegt. Die beruflichen Tätigkeiten und Arbeitsschwerpunkte werden dagegen nicht in den Blick genommen. Stattdessen werden den Journalistinnen persönliche Probleme wie ein verschmähter Liebhaber oder ein gewaltbereiter Freund unterstellt. Wen haben ihre Recherchen und Publikationen gestört oder geschädigt? Wer fühlte sich durch sie überführt? Diese Fragen werden nicht gestellt. Im Falle männlicher Journalisten behaupten die Behörden, die Morde stünden in Verbindung mit kriminellen Gruppierungen, mit denen die Journalisten kooperiert oder von denen sie materielle Vorteile erhalten hätten.
Nach der Ermordung von Gregorio Jiménez de la Cruz vergingen keine 24 Stunden, bis der Staatsanwalt des Bundesstaates in einer Pressekonferenz verkündete, dass „Goyo“, wie Jiménez von Familienangehörigen und Freund_innen genannt wurde, Opfer seiner Nachbarin geworden sei. Sie soll den Mord aufgrund von persönlichen Konflikten in Auftrag gegeben haben. Sowohl der Staatsanwalt als auch die Regierungssprecherin versäumten es, zu erwähnen, dass der Leichnam „Goyos“ in einem Graben gemeinsam mit zwei anderen Leichen gefunden wurde. Bei einem der beiden anderen Toten handelte es sich um den Gewerkschafter Ernesto Ruiz Guillén, der Anfang Februar entführt worden war. „Goyo“ hatte über diesen Fall geschrieben – kurz bevor er ermordet wurde.