Musik | Nummer 281 - November 1997

“Schließlich ist es immer noch meine Musik”

Interview mit Umberto R., der seinen Lebensunterhalt mit andiner Straßenmusik verdient

Umberto R. stammt aus einen kleinen Dorf in der Nähe der Stadt Huancayo im peruanischen Departement Junin. Seit einiger Zeit macht er zusammen mit anderen Peruanern, Ecuadorianern und Bolivianern auf Plätzen und in Fußgängerzonen Berlins sogenannte Musica andina, die sich neben einem starken Grundrhythmus von unterschiedlichen Trommeln und anderen Schlaginstrumenten sowie verschiedenen Gitarren vor allem durch den charakteristischen Panflötenklang auszeichnet. Umberto selbst spielt mehrere andine Blasinstrumente: Zampona, Quena, Quenachos, Quenillas, Pitos. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit Umberto über andine Musik und sein Leben

Claudia Gottmann, Elisabeth Schurnann

Ihr seid zwölf Musiker in Eurer Gruppe. Seid Ihr zusammen nach Deutschland gekommen? Wie organisiert Ihr Eure Auftritte?
Die meisten sind alleine hergekommen. Man lernt sich kennen und fängt an, zusammen Musik zu machen. Früher waren wir eine richtig große Gruppe, 26 oder 27 -wir haben sogar eine CD aufgenommen. Aber dann haben wir uns aufgeteilt, jetzt sind wir meistens zu zwölft. Fast nur Peruaner, außerdem ein Bolivianer, und drei Ecuadorianer bei den anderen. Jeden Dienstag besprechen wir unsere nächsten Aktionen, also wo und wann wir spielen. Aber mit den anderen arbeiten wir noch viel zusammen, tauschen CDs und so. Und spielen Fußball.
Habt Ihr bestimmte Stammplätze in Berlin?
Früher haben wir meistens auf dem Alexander- platz gespielt, aber das geht jetzt nicht mehr so gut. Eine Frau von einem der Bierstände hat sich wohl beschwert, tja, und jetzt ist meistens die Polizei in der Nähe: das bedeutet viel Ärger. Obwohl auch andere Musikgruppen dort spielen. Man muß eine Lizenz beantragen. Aber da die meisten aus unserer Gruppe illegal in Deutschland sind, bekommen wir keine.

Bist Du mit der Absicht Musik zu machen nach Berlin gekommen?
Eigentlich bin ich ja nach Berlin gekommen, um zu studieren, einen Abschluß zu machen oder etwas anderes. Aber wenn man erst mal hier ist, sieht die Realität ganz anders aus. Die Sprache, Unterkunft und natürlich das Geld -das kann man sich vorher gar nicht vorstellen. Die Zeit verfliegt, und von den ursprünglichen Träumen ist bald nicht mehr die Rede. Ziemlich tragisch!
Hattest Du Kontakte nach Berlin? Wie bist Du auf die ldee gekommen, nach Deutschland zu gehen?
Kontakte hatte ich keine, und eigentlich auch gar nicht vor, nach Europa zu gehen. Ich hatte angefangen, Philosophie und Psychologie zu studieren. Ein Kommilitone von mir hatte einen Bruder, der in Deutschland war. Der hatte in Cuzco Turismus studiert, als Touristenführer gearbeitet und konnte auch Englisch. Und der ist seit zehn Jahren in Deutschland, hat geheiratet, und lud dann irgenwann seinen Bruder ein. Der widerum hat mich eingeladen, nachdem er in Deutschland war. Er hat mir sehr geholfen, mir das Geld für die Reise geliehen. Erst damals bin ich überhaupt auf die ldee gekommen, da kam einiges zusammen. Das Geld habe ich ihm inzwischen zurückbezahlt, mit Zinsen und allem. So ist das eben: Auf einmal war ich hier.
Wie bist Du zu der Gruppe gestoßen?
Am Anfang war es schon sehr hart für mich hier. Ich habe mir Vorwürfe gemacht, weil ich hergekommen bin, eigentlich ging es mir soweit ganz gut inPeru, jedenfalls einigermaßen. Die Realität hier ist eben eine andere. Auf einmal mußte ich mich um die Miete kümmern, jeden Monat das Geld irgendwie zusammenkriegen. Nach drei Monaten mit diesem Freund sind wir beide unsere eigenen Wege gegangen -und ich konnte noch nicht einmal Deutsch. Dann habe ich Landsleute kennengelernt, die haben mir geholfen. Auch Musiker, wir haben uns zusammen-getan und angefangen, in Restaurants zu spielen. Ich habe damals in Kellern geschlafen. Als ich die anderen kennenlernte, wurde vieles leichter. Wir sind erst-mal nach Polen gefahren, natürlich um ein neues Visum zu bekommen. Alle drei Monate: Raus aus dem Land und wieder einreisen.
Wenn Euch die Polizei auf dem Alex anspricht, fragen sie nur nach der Lizenz oder auch nach den Pässen?
Nach dem Visum, den Pässen. Da stehst du darin mit den anderen Illegalen, und plötzlich fragen sie dich nach dem Paß. Zum Abhauen zu spät. Ich hab’ keinen Paß, sagte ich ihm, also mußte ich mitkommen, und er hat meine Daten aufgenommen. Das ist ein echtes Problem, viele sind auch schon ausgewiesen worden, sogar einer aus meiner Gruppe. Und drei von den anderen. Letzte Woche haben wir eine Aktion gemacht, um das Geld für das Ticket zusammenzukriegen, für seine deutsche Freundin, die fährt jetzt nämlich hin, und sie werden dort heiraten. Dann hat er die Unterlagen und das Visum und alles. Die meisten Illegalen sind hier in Berlin, da in anderen Städten häufiger kontrolliert wird. Hier kann man sich immer irgendwie durchwurschteln, heißt es.
Wie ist das Verhältnis der verschiedenen Gruppen, die andine Musik machen, untereinander? Gibt es da manchmal Reibereien?
Ja, schon, aber nicht ernsthaft Zum Beispiel wenn eine Gruppe sehr früh kommt und sich einen Platz aussucht, und dann eine andere kommt, gibt es natürlich Diskussionen, aber keine richtigen Streitereien. In Berlin kennen wir uns. Darüber hinaus haben wir nur Kontakt zu denen, die CDs und Kasetten verkaufen, da wir unsere Produkte austauschen. Das ist wichtig, wir lernen die Leute kennen und ihre Musik. Und die Kunden wollen auswählen können.

Verkauft Ihr viele Kasetten und CDs?
Der Verkauf läuft nicht mehr so gut wie noch vor fünf oder sechs Jahren. Die Leute interessiert die Musik nicht mehr so. Es sind ja oft ähnliche Rhythmen, und die Leute können die Lieder nicht auseinanderhalten. Und dann sagen sie sich: so eine Kassette habe ich schon. Huaynos, San Juanitos, Sicuri. Die Leute hier denken, es sei alles dasselbe.
Warum, glaubst Du, gefällt vielen Europäern andine Musik so gut? Was erwarten sie von ihr?
Ich glaube, daß sie ihnen vor allem gefällt, weil sie so natürlich ist: Du schnappst Dir einen Bambuszweig, und daraus entsteht eine Zampona. Hier ist alles so mechanisiert. Wir spielen ohne elektronische Geräte. ohne Verstärker.
Was spielt ihr, Folklore oder autochthone Musik?
Meistens Folklore. Wir müssen ja auch gucken, was sich verkaufen Iäßt. Nur bei manchen Auftrit-ten spielen wir auch autochthone Musik: Tarqueadas, solche Sachen, Pinquillo, Sicuris. Aber ansonsten halt so das Übliche. Spielt Ihr auch “EI Condor pasa”? Ja klar, das kennen die Leute, das kommt gut an.
Was bedeutet Dir andine Musik? Hörst Du sie auch in Deiner Freizeit?
Natürlich, sie gefällt mir sehr. Schließlich ist es ist immer noch meine Musik. Aber die Rythmen, die früher so bekannt waren, geraten in Vergessenheit, genau wie unsere Sprache, das Quechua. Die Leute haben andere Sachen im Kopf, alle gehen weg. Die jungen Leute wollen lieber Englisch sprechen und gutes Spanisch. Aber hier in Deutschland bekommen die eigenen Sachen auf einmal einen ganz neuen Wert, eine ganz andere Bedeutung. Man. kommt her, und sieht die Dinge auf einmal mit anderen Augen.
Hast Du in Deiner Familie gelernt, die Instrumente ZU spielen?
Mein Großvater spielte noch wirklich diese Musik, und zwar auf traditionellen Instrumenten: Quena, Pitopito, Zamporia, Charango. Mich hat das als Kind nicht besonders interessiert, ich habe mich darüber lustig gemacht oder die Flöten sogar zerbrochen. Aber auf den Dörfern hat Musik nach wie vor sehr große Bedeutung. Es gibt Dorffeste, Feste für die Heiligen, die die Spanier mitgebracht haben. Aber das ist eher autochthone Musik. Die Gitarre ist erst mit den Spaniern gekommen, und die spielt in den Dörfern keine große Rolle, eher in der Stadt, in Cuzco.
Gibt es in Peru viele Folklore-Gruppen?
ja, vor allem in den Städten, weil sie dort mit ihrer Musik Geld verdienen können. Auf dem Dorf nur Zamporias, Pitos, Tamborcitos, sonst nichts. Wenn ein junger Mann in ein Mädchen verliebt ist, dann geht man dahin, mit Musik und allem. Und mit der Musik bindet er sie dann an sich, so als ob er sie stehlen würde mit der Musik. Wir dagegen, naja, wir machen halt stilisierte Musik, das ist einfach was anderes. Die autochthone Musik ist immer noch das reine Gefühl, die pure Wirklichkeit, wenn man das so sagen kann. Viele von den anderen aus meiner Gruppe kommen aus der Stadt, zum Teil auch aus ärmeren Schichten, aber darüber reden wir eigentlich nie. Außer mir spricht nur noch ein anderer Quechua.
Was zieht Ihr an, wenn Ihr Musik macht?
Naja, schon die folkloristischen Sachen: Hosen, Hemden, Westen, im Winter auch Ponchos. Das gehört eben zu der Musik dazu, das ist ein Teil davon. Und es gefällt mir auch.
Was verdient Ihr so?
Alle Einkünfte werden durch 12 geteilt. An einem Tag auf dem Alex verdienen wir jeder so um die 30-50 DM. Von der Musik und vor allem vom Verkauf der CDs und Kasetten. Als ich angefangen habe, waren es meistens um die 70 DM. An Wochenenden ist es besser, bei Festen oder zu Weihnachten verdienen wir manchmal 200 DM am Tag. Aber dann kommen auch die wirklich harten Monate bis zum Sommer.
Was ist Deine Lieblingsgruppe?
Die lllapus finde ich gut, die haben richtiggekämpft. Und sie spielen ihre Musik so pur, das gefällt mir: mit Gefühl, aber vor allem sehr kritisch. Bei uns handelt immer alles von der Liebe, von der Liebsten, die einen nicht will, und von der Erde, die uns nie genug gibt zum Überleben.

Interview/ Übersetzung: Claudia Gottmann, Elisabeth Schurnann

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