Trügerische Hoffnung auf den Greenback
Dollarisierung ist keine Strategie, sondern Ausdruck von Unterentwicklung
Ecuadors Präsident Noboa setzt fort, was seinem Vorgänger Mahuad mit den Job gekostet hat. Indígenas waren im Verbund mit Militärs gegen Mahuads Wirtschaftsprogramm Sturm gelaufen und hatten ihn aus dem Amt gefegt. Ihr Hauptkritikpunkt: Mahuads Dollarisierungsstrategie. Mit Strategie hatten Mahuads Pläne jedoch genauso wenig zu tun, wie das, was sein Nachfolger Noboa jetzt umsetzt. Noboa ersetzt den Sucre und greift damit zur Radikalkur: Eine Währung die es nicht mehr gibt, kann auch nicht mehr an Wert verlieren, so das simple Kalkül. So weit, so richtig, nur wo ist die Strategie? Ecuador vollzieht nur formal und radikal das, was in Lateinamerika ohnehin schon gang und gäbe ist: die Dollarisierung der Wirtschaft. Dollarisierung ist dabei der Ausdruck mangelnder Akzeptanz der heimischen Währungen. Die Folge: Der Dollar übernimmt in Lateinamerika schon seit Jahrzehnten sukzessive die Geldfunktionen der heimischen Währungen, weil kaum jemand Vertrauen in deren Stabilität setzt. Kein langfristiger Kredit wird auf der Basis heimischer Währung abgeschlossen, schließlich lässt sich die Wertentwicklung der Währung langfristig nicht annähernd kalkulieren. Selbst in Argentinien, in dem der Peso per Gesetz seit 1991 an den Dollar gebunden ist, lauten immer noch weit über die Hälfte aller Kredit- und Mietverträge auf den US-Dollar, das Vertrauen in den Peso ist immer noch fragil. Zu sehr ist die Hyperinflation den ArgentinierInnen im Gedächtnis, die in dem nur für Insider zu verstehenden Witz gipfelte: Warum ist Taxi fahren in Argentinien billiger als Busfahren? Ganz einfach, weil beim Taxifahren am Ende der Fahrt gezahlt wird, beim Busfahren dagegen vor Fahrtantritt.
Flucht in den Dollar
Dass Privatleute in Lateinamerika in den Dollar flüchten, um sich gegen Vermögensverluste zu wappnen, wird seit Jahrzehnten als das Phänomen der Kapitalflucht beschrieben. Ecuador macht nun auf staatlicher Ebene letztlich dasselbe. Das Land flüchtet in den Dollar. Seit dem 1. April gelten für sechs Monate der Sucre und der US-Dollar parallel: Der Wechselkurs wird auf 25.000 zu eins festgelegt. Danach gilt nur noch der Dollar und die totale Dollarisierung ist komplett. Genauer gesagt: fast komplett. Denn Ecuador behält sich weiter die Münzprägung für den Bargeldumlauf vor. Damit hat das Land wenigstens noch einen Vorteil, den eine eigenständige Geldpolitik zu gewähren vermag: den Münzgewinn, der die Differenz zwischen Nominal- und Materialwert der Münzen markiert. Ansonsten verzichtet das Land auf eine nationale Geldpolitik. In früheren Zeiten wäre das undenkbar gewesen. In einer so genannten autonomen Geldpolitik wurde ein ganz entscheidendes Mittel gesehen, um den nationalen Entwicklungsbedürfnissen Rechnung zu tragen. Niedrige Zinsen, um Investitionen zu stimulieren, zum Beispiel. Oder Abwertungen, um die Exporte billiger und damit wettbewerbsfähiger zu machen. Das galt als Strategie, war aber letztlich nur einem Missverständnis über das Rätsel Geld geschuldet. Die Entwicklungsökonomen in der UN-Kommission für Lateinamerika und Karibik CEPAL um Raul Prebisch übersahen ebenso wie die IWF/Weltbank-Ökonomen schlicht und einfach, dass Geld mehr als ein Tauschmittel ist und einen Vermögenswert besitzt.
Kreditfunktion des Geldes
Die zentrale Geldfunktion liegt in seiner Funktion als Kredit. Kredit bedeutet nun aber, dass derjenige, der Vermögen zeitweise anderen überlässt, natürlich ein Interesse daran hat, dass er sein Vermögen nach Ablauf des Kreditvertrages nicht entwertet zurückbekommt. Dafür bedarf es einer Währungsstabilität, die gerade durch Abwertungen unterlaufen wird. Weiter wird mit niedrigen Realzinsen niemand motiviert, Geld in dieser Währung anzulegen. Und selbst wenn über Kapitalverkehrskontrollen die Flucht in höher verzinste Währungen erschwert und verteuert wird, bleibt immer noch die Möglichkeit der Flucht in Immobilien, dem so genannten Betongold. Auch das ein Phänomen, dass in Lateinamerika besonders in den Inflationszeiten gang und gäbe war. Übrigens mit dem aus geldpolitischer Sicht unerwünschten Nebeneffekt einer weiter angeheizten Inflation über steigende Immobilienpreise. Die Folge waren zerrüttete Geldwirtschaften und ein gescheitertes Entwicklungsmodell der Importsubstituierenden Industrialisierung (ISI).
Globalisierte Geldpolitik
Inzwischen gilt als unumstritten, dass ohne Stabilisierung des Geldwertes ökonomisch gar nichts geht. Nur für Entwicklungsländer geht auch mit der Stabilisierung meist nicht viel. Ecuador gibt nun die theoretische Option auf eine autonome Geldpolitik auf, die praktisch ohnehin nicht existiert. Selbst die Europäische Zentralbank (EZB) reagiert nachgerade panisch auf jede Zinserhöhung von US-Zentralbankchef Greenspan. Und dass, obwohl in Europa ein anderer Konjunkturverlauf herrscht als in den USA, und deswegen theoretisch auch eine andere Zinspolitik angezeigt wäre. Praktisch fällt der Euro gegenüber dem US-Dollar und darauf reagiert die EZB zunehmend nervöser, obwohl Inflationsgefahren in Europa zur Zeit nur ein Visionär wie Wim Duisenberg zu erkennen vermag. Wenn schon ein so hoch integrierter Wirtschaftsraum wie die EU, die mehr als 60 Prozent ihres Handels innerhalb der Gemeinschaft abwickelt, keinen Spielraum für eine europäische Zinspolitik mehr sieht, wie sollte sich dann ein Entwicklungsland noch erdreisten, eine an nationalen Bedürfnissen ausgerichtete Zinspolitik zu betreiben.
Ecuador macht aus der Not schlicht eine Tugend, nur entwickeln wird es sich dadurch genauso wenig wie zuvor. Denn die US-amerikanische Zentralbank FED wird bei ihrer Zinspolitik sicher keine Rücksicht auf etwaige ecuadorianische Wünsche nehmen, warum auch. Ecuadorianische Banken werden keine direkte Refinanzierungsmöglichkeit bei der FED bekommen und müssen sich ihre Dollars, wie auch jetzt, zu höheren Zinsen auf dem internationalen Kapitalmarkt besorgen. Höhere Zinsen erschweren tendenziell immer Investitionen und damit Entwicklung. Bisher war das Zinsniveau in Ecuador erheblich höher als in den USA, weil bei einer schwächeren Währung nur höhere Zinsen Vermögensbesitzer überhaupt dazu bewegen können, in diese Währung zu investieren – bis zum ersten Anzeichen von Schwäche. Dann wird das Kapital abgezogen, wofür die von Mexiko ausgehende Tequila-Krise 94/95 und der sich von Brasilien ausbreitende Caipirinha-Effekt 1999 nur die prominentesten Beispiele sind. Auch nach der Aufgabe des Sucre wird das Zinsniveau in Ecuador höher als in den USA liegen, was die Entwicklungsmöglichkeiten einschränkt. Theoretisch. Praktische Entwicklungsmöglichkeiten erforderten ohnehin die Bereitschaft der Industrieländer, den Entwicklungsländern entsprechenden Spielraum einzuräumen. Das ist theoretisch sehr wohl möglich und es gibt sogar ein historisches Vorbild: Das Londoner Schuldenabkommen von 1953 für die Bundesrepublik Deutschland. Obwohl Deutschland trotz dem verlorenem Krieg beileibe kein Entwicklungsland war, erhielt es geradezu traumhafte Entwicklungsbedingungen eingeräumt: Der Schuldendienst wurde auf maximal 5 Prozent der Exporterlöse begrenzt und war an die Bedingung von Handelsbilanzüberschüssen geknüpft, also zahlbar aus Außenhandelsgewinnen. Die meisten Entwicklungsländer fahren aus dem Außenhandel fortwährend Verluste ein – nicht zuletzt wegen der Protektion der Industrieländer –, die sie mit steigender Verschuldung bezahlen. Trotzdem werden 25 Prozent der Exporterlöse als Schuldendienst von der Weltbank als nachhaltig angesehen. Die Privilegien für Deutschland forderte damals John Maynard Keynes mit dem Verweis auf den Versailler Vertrag ein: Wenn man Deutschland keine Chance gibt, dann gibt es wieder Krieg. Dieses Drohpotential haben Entwicklungsländer wie Ecuador nicht zu bieten – da bleibt nur die Unterwerfung, um wenigstens Spekulationsattacken gegen die eigene Währung zu entgehen.