El Salvador | Nummer 589/590 - Juli/August 2023

Und wenn sie noch so viele Gefängnisse bauen

Interview mit Vidalina Morales von der Vereinigung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (ADES) zur Repression gegen Umweltaktivist*innen

Seit Ende März 2022 gilt in El Salvador der Ausnahmezustand. Der autoritär regierende Präsident Nayib Bukele begründet diesen damit, die Bandenkriminalität im Land bekämpfen zu wollen. Fast 70.000 Menschen wurden in den vergangenen Monaten festgenommen und sitzen zumeist ohne Anklage in Haft. Längst richtet sich die Repression nicht mehr nur gegen mutmaßliche Bandenmitglieder, auch Umweltschützer*innen sind betroffen. Im Departamento Cabañas beschuldigt die Staatsanwaltschaft fünf Aktivist*innen einer der wichtigsten Umweltschutzgruppen eines 33 Jahre zurückliegenden angeblichen Verbrechens während des Bürgerkriegs, wobei sich die Anklage auf die zweifelhafte Aussage eines anonymen Hauptbelastungszeugen stützt. Die Verhafteten hatten 2017 mit dazu beigetragen, dass der Bergbau im ganzen Land verboten wurde. Umweltschützer*innen befürchten, dass Präsident Bukele den Bergbau im Land wiederbeleben will. Zu den Verhafteten gehört auch der ehemalige Vorsitzende der Organisation ADES (Asociación de Desarrollo Social y Económico Santa Marta), Antonio Pacheco. Über die Hintergründe und aktuelle Situation der Inhaftierten sprachen die LN mit der Aktivistin Vidalina Morales.

Von Antonia Rodriguez Sanchez
Foto: ADES

Es hat in den letzten Wochen viele besorgniserregende Berichte aus Santa Marta gegeben. Zuletzt wurde ihr Sohn Manuel verhaftet. Wie kam es dazu?
Ja, mein Sohn wurde am 17. Mai festgenommen. Er war mit seinen Freunden auf einem Fußballplatz, als die Polizei eintraf und ihn festnahm. Auf dem Polizeirevier in Santa Marta wurde mein Sohn von den Polizisten verprügelt. Von dort aus setzten sie ihn in ein Fahrzeug und brachten ihn nach Sensuntepeque, die Hauptstadt des Departamentos. Auf dem Weg dorthin wollte er wissen, warum sie ihn gefangen genommen haben. Statt ihm zu antworten schlugen sie weiter auf ihn ein. Zum Glück wurde er innerhalb von 24 Stunden wieder entlassen. Er hat starke Schmerzen und nimmt Medikamente.

Später kam raus, dass Ihrem Sohn vorgeworfen wurde, eine kriminelle Vereinigung zu unterstützen.
Das ist die harte Realität, die vor allem junge Menschen erleiden, wenn sie unter diesem Ausnahmeregime festgenommen werden. Zunächst einmal gibt es keine Informationen darüber, warum sie gefangen genommen werden. Laut Polizeibericht soll mein Sohn mit den Banden zusammengearbeitet haben. Nach diesem Muster nimmt die Nationale Zivilpolizei immer wieder junge Leute fest. In Wirklichkeit ist das aber eine totale Farce, denn wir kennen die Gemeinden und ihre Mitglieder. Wir waren es, die hart dafür gekämpft haben, dieses Phänomen (der Bandenkriminalität, Anm. d. Red) zu stoppen, das sich hier in El Salvador seit vielen Jahren wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet hat. Denn die Politik des Staates war völlig unfähig dieser Situation entgegenzuwirken. Jetzt versucht diese Regierung dem Ganzen mit Massenverhaftungen ein Ende zu setzen. Seitdem wurden mehr als 65.000 Menschen gefangen genommen. Männer und Frauen.

Wie wirkt sich diese Willkür auf das Zusammenleben aus?
Seit heute Morgen hat sich hier rund um die Gemeinde und an den Haupteingängen das Militär positioniert. Letzte Woche hat eine Anhängerin des Bukelismo einen Tweet abgesetzt, in dem sie die Regierung aufforderte, unsere Gemeinde zu militarisieren, weil sie angeblich voller Bandenmitglieder sei. Wir vermuten, dass das der Grund für die starke Militärpräsenz ist. Für uns ist das alles erschreckend, denn die Älteren und auch ich haben erlebt, was es bedeutet, wenn das Militär da ist und dich kontrolliert, dich beobachtet. Das lässt die Wunden, die die Menschen in der Vergangenheit (während des Bürgerkriegs 1980 bis 1992, Anm. d. Red) erlitten haben, wieder aufreißen. Die Regierung hat klar auf Militarisierung zur Bekämpfung der Banden gesetzt und das ist die Ursache für all diese schweren Menschenrechtsverletzungen. Die Freiheit, die Meinungsfreiheit, die Organisationsfreiheit – so viele Rechte werden unter diesem Ausnahmezustand verletzt. Auch unsere Genossen wurden verhaftet, aus dem einfachen Grund, dass wir eine Gemeinschaft sind, die sich in schwierigen Momenten wie diesen irgendwie organisiert.

Die inhaftierten Aktivisten Miguel Ángel Gómez, Alejandro Laínez García, Pedro Antonio Rivas Laínez, Antonio Pacheco sowie Saúl Agustín Rivas Ortega sind durch ihren Einsatz gegen den Bergbau weltweit bekannt geworden. Internationale Menschenrechtsorganisationen fordern ihre Freilassung. Sogar die UNO meldete sich zu Wort und verlangte von der salvadorianischen Regierung detaillierte Informationen zu den erhobenen Anschuldigungen sowie zur humanitären und rechtlichen Situation der Inhaftierten. Diese behauptete, die Gefangenen würden rechtmäßig behandelt und medizinisch betreut. Was wissen Sie über die Situation?
Unsere Kameraden wurden am 11. Januar inhaftiert. Seit der ersten Anhörung am 19. Januar hatten die Familienangehörigen keine Möglichkeit mehr, mit ihnen in Kontakt zu treten. Allerdings war die Verteidigung regelmäßig bei ihnen, bis die Angeklagten am 7. März an das Gericht in Soyapango überstellt und in das dortige ehemalige Frauengefängnis verlegt wurden. Seitdem haben auch die Anwälte sie nicht mehr gesehen. Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass wir nicht gegen die Fortführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens sind. Aber Sorgen bereiten uns die Bedingungen, in denen sich die Kameraden jetzt befinden, zum Beispiel, was ihren Gesundheitszustand angeht. Einige von ihnen sind schon älter. Es gibt zwei, die gesundheitliche Probleme und chronische Krankheiten wie Asthma und Diabetes haben. Der Anwalt reiste vor dem 7. März jeden Tag zu ihnen, um ihnen ihre Medikamente zu geben, weil er ihnen nicht die Dosis für den nächsten Tag geben durfte. Aber seit dem 7. März ist auch das nicht mehr möglich. Von zwei Genossen verschlechterte sich der Gesundheitszustand so sehr, dass sie in ein Gefängnis namens Quezaltepeque in San Salvador verlegt wurden. Einmal durfte das Rote Kreuz die übrigen Kameraden in Soyapango besuchen. Zu unserer Überraschung empfahlen sie den Gefängniswärtern dringend, sie medizinisch versorgen zu lassen. Das beunruhigte uns sehr, denn es scheint, dass ihr Gesundheitszustand nicht gut ist. Besonders große Sorgen machen wir uns aber um Saúl Agustín Rivas. Er ist Rechtsanwalt und hat in der Vergangenheit viel mit unserer Vereinigung zusammengearbeitet. Er wurde im April in das berüchtigte Izalco-Gefängnis verlegt. Er ist dringend auf Medikamente gegen seine Zuckerkrankheit angewiesen. Aber wir haben gehört, dass es dort keine medizinische Versorgung gibt. Außerdem wurden von dort die meisten Todesfälle registriert. Wir machen uns große Sorgen um die Sicherheit und den Gesundheitszustand von Saúl.

Die Gemeinde Santa Marta war vom Bürgerkrieg und den damals vom Militär begangenen Verbrechen schwer betroffen. Welchen Zusammenhang sehen Sie in Bezug auf den Aktivismus, der in Santa Marta seit den Jahren des Bürgerkrieges ungebrochen scheint?
Diese Gemeinde hat während des bewaffneten Konflikts in den 80er Jahren viel erlitten. Für unser salvadorianisches Volk war das sehr hart, es hat unter der Unterdrückung und Gewalt sehr gelitten, Santa Marta hat den Konflikt am eigenen Leib erfahren. Um sich zu retten, mussten die Menschen aus Santa Marta nach Honduras fliehen. Aber sie kehrten noch während des Konflikts zurück und begannen sich zu organisieren. Und auf diese Weise haben wir grundlegende Dienstleistungen in der Gemeinde erreicht, wir haben sogar Gemeinschaftsgrundstücke, eine Ausbildungsstätte, die bei einigen sogar mit einem Universitätsabschluss endet. All dies verdanken wir unserer organisatorischen Stärke.

Santa Marta hatte eine große Mobilisierungskraft und dadurch wurde es möglich, dass die Nationalversammlung das Gesetz gegen den Bergbau im Jahr 2017 verabschiedet hat. Aber seitdem diese Regierung im Amt ist, ist die Situation kompliziert geworden. Man merkt, dass sie Megaprojekte in diesem Land voranbringen will. Antonio Pacheco und die anderen wurden genau in dem Moment verhaftet, als sie ein großes nationales Forum zur Sensibilisierung der Bevölkerung über die Anwesenheit von Bergbau- unternehmen organisieren wollten.

Im Juli 2023 sind die Angeklagten noch immer in Haft. Wie schaffen Sie es als Organisation trotz der Repression weiterzumachen?
Wir haben sehr schwierige Zeiten durchgestanden. Im bewaffneten Konflikt, aber auch im Kampf für die Umwelt, als wir sehr wertvolle Kameraden verloren haben. Aber wir haben die harten Momente überwunden. Das ist nur mit starken Gemeinschaften möglich, mit dieser Hingabe und auch der internationalen Solidarität. Diese Regierung hat große Angst vor dem, was die Leute von außen sagen. Für uns ist es wichtig, diese Regierung zu entlarven, obwohl wir wissen, dass wir sogar das Risiko eingehen, dass sie uns verschwinden lassen. Ich weiß nicht, ob sie kommen werden – aber sie werden uns nicht vernichten können. Egal, wie viele Gefängnisse sie bauen, egal, wie groß sie sie bauen, sie werden es nicht schaffen, die sechseinhalb Millionen von uns, die in diesem Land leben, zum Schweigen zu bringen. Es wird Stimmen geben, die diesen Kampf fortsetzen werden. Und das ist die Kraft, die uns Hoffnung gibt.

Vidalina Morales ist seit der Verhaftung von Antonio Pacheco Vorsitzende der Umweltorganisation Asociación para el Desarrollo Social Económico de Santa Marta (ADES). Im Mai wurde ihr Sohn Manuel Gómez Morales unter dem Ausnahmezustand verhaftet. Kurz zuvor hatte Vidalina Morales in einer Radiosendung die Pläne der Regierung, das Bergbauverbot aufzuheben, angeprangert. Vidalina Morales glaubt, dass auch diese Festnahme der Einschüchterung dient.

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