Aktuell | Editorial | Nummer 587 - Mai 2023

// Widerständig in der Gefahr

Für echte Pressefreiheit braucht es nicht nur sichere Arbeitsbedingungen für Journalist*innen, sondern auch von Wirtschafts- und Regierungsinteressen unabhängige Medien! Unser Editorial aus der Maiausgabe

Die Redaktion

Journalist*innen werden im Rahmen ihrer Arbeit tagtäglich bespuckt, bedroht, angegriffen, eingesperrt und sogar getötet. Das gilt insbesondere für Lateinamerika. In El Salvador beispielsweise hat der rechte Präsident Nayib Bukele höchstpersönlich die unabhängige Presse zu seinem Feind erklärt. Viele Medien und Journalist*innen haben das Land inzwischen verlassen. Im April sah sich auch das Onlinemagazin El Faro dazu gezwungen, seinen Sitz nach Costa Rica zu verlegen. Seit Bukeles Amtsantritt 2019 habe dessen Regierung versucht, das Medium und seine Mitarbeiter*innen zu verunglimpfen. „Wir wurden physisch überwacht und bedroht, mit Pegasus-Spionageprogrammen angegriffen, von Anzeigenkunden belästigt und von Beamten und Abgeordneten der Regierungspartei diffamiert“, heißt es in einer Erklärung der Chefredaktion.

El Salvador ist kein Einzelfall. In Nicaragua gibt es mittlerweile gar keine unabhängige Presse mehr. Die Medien Confidencial, 100%Noticias und La Prensa mussten nach 2018 nicht nur ihr Erscheinen einstellen. Bei Razzien beschlagnahmten staatliche Stellen auch ihre Räumlichkeiten und Produktionsmittel. Journalist*innen wurden inhaftiert oder mussten ins Ausland fliehen. Die Regierung von Daniel Ortega entzog ihnen kürzlich gar die Staatsbürgerschaft und nennt sie „Feinde des Vaterlands“.

Es sind nicht allein die Regierungen, die unabhängige Pressearbeit bekämpfen. In Guatemala wird deutlich, wie sehr staatliche Stellen im Interesse mächtiger internationaler Wirtschaftseliten handeln. So im Fall des indigenen Journalisten Carlos Choc. Choc berichtete für das linke Onlinemedium Prensa Comunitaria unter anderem über die korrupten Machenschaften des Schweizer Bergbauunternehmens Solway Investment Group. In der zum Konzern gehörenden Mine Fénix in El Estor wird ohne Einverständnis der indigenen Gemeinden der Region Nickel abgebaut. Heftige Umweltzerstörungen in der Nähe der Mine sind die Folge. Wegen seiner Berichterstattung erlebte Choc massive Bedrohungen, Angriffe und staatliche Repressalien. Doch er wehrt sich: „Ich bin kein Krimineller, ich bin Journalist.“

Das Onlineportal Prensa Comunitaria, für das Choc arbeitet, ist eines der letzten Medien in Guatemala, die – gerade aus dem ländlichen Raum – unabhängig berichten. Wie in vielen Ländern Lateinamerikas befinden sich in Guatemala die meisten Medienhäuser in den Händen weniger Unternehmer. So gehören allein dem mexikanischen Medienmogul Ángel González drei bedeutende Fernsehsender, mehrere Radiofrequenzen und verschiedene Kinos. Indigene Journalist*innen versuchen, diesem Informationsmonopol mit eigenen Basismedien etwas entgegenzusetzen.

Das zeigt: Für echte Pressefreiheit braucht es nicht nur sichere Arbeitsbedingungen für Journalist*innen, sondern auch von Wirtschafts- und Regierungsinteressen unabhängige Medien. Das gilt auch für Deutschland, wo die Medienvielfalt stetig abnimmt – etwa, weil Printmedien den Sprung ins digitale Zeitalter nicht schaffen und ihre Arbeit einstellen müssen. Vor allem jedoch, weil Medienkonzerne wie Springer und Co. über viel Macht verfügen. Die jüngst öffentlich gewordenen Ausfälle des Vorstandsvorsitzenden des Axel Springer-Verlagsimperiums, Mathias Döpfner, lassen einmal mehr die Weltanschauung großer Konzernchefs erkennen. Ihr Einfluss zeigte sich zuletzt an der unisono diffamierenden Berichterstattung über Umweltaktivist*innen, Streikende oder an der menschenfeindlichen Scheindebatte über den Umgang mit Geflüchteten. Wie jedes Jahr bietet der Tag der Pressefreiheit am 3. Mai also auch 2023 Anlass zur Sorge. Der nötige Druck, der Regierungen und Konzerne davon abhält, die Pressefreiheit weiter einzuschränken, kann aber nur an der Basis erzeugt werden. Es braucht also auch in der Zukunft viele kleine unabhängige Medien – in Lateinamerika genauso wie in Deutschland.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren