Guatemala | Korruption | Nummer 525 - März 2018

WIEDER EIN KORRUPTER DIEB

Auch dem aktuellen Präsidenten Guatemalas wird Korruption vorgeworfen

Der guatemaltekische Staatspräsident Jimmy Morales, der für seinen Wahlkampf im Jahr 2015 noch den Slogan „Ni corrupto, ni ladrón“ („Weder korrupt, noch ein Dieb“) wählte, steuerte Guatemala Ende August 2017 in eine Staatskrise. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft die Eröffnung eines Strafverfahrens wegen unzulässiger Wahlkampffinanzierung gegen ihn angekündigt. Ein Vergehen, für das dem Präsidenten eine Freiheitsstrafe droht. Was nun folgt, zeigt deutlich, wie stark der guatemaltekische Staat von korrupten Strukturen durchsetzt ist.

Von Nis Melbye

Protestcamp vor dem Verfassungsgericht Der Zivilgesellschaft ist Korruption ganz und gar nicht egal (Foto: Nis Melbye)

Angesichts des drohenden Strafverfahrens gegen Guatemalas Präsidenten Jimmy Morales, äußerte dieser in Bezug auf die Justiz: „Wenn jemand korrupte Taten begeht, sollen sie das Delikt verfolgen, nicht aber die Personen, denn die Justiz ist dazu da, Delikte zu verfolgen und nicht die Personen“. Kurz darauf reagierte er mit der Ausweisung des Leiters der internationalen Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG), Iván Vélasquez, welchen er zur unerwünschten Person erklärte. Die CICIG ist eine Institution der Vereinten Nationen, welche die Strafverfolgungsbehörden in Guatemala bei der Bekämpfung der Korruption und bei der Aufdeckung von Verstrickungen zwischen den politischen Eliten und der organisierten Kriminalität unterstützt.

Dem “Pakt der Korrupten” wurde vor dem Kongress Paroli geboten.

Diese Institution hatte den Anstoß zu dem aktuellen Verfahren gegen Morales gegeben. Die Ausweisung von Vélasquez wurde zwar noch durch das guatemaltekische Verfassungsgericht gestoppt, die anschließende Erneuerung seines Visums wurde jedoch mit einer Note übergeben, in welcher er aufgefordert wurde, sich nicht in interne Angelegenheiten des guatemaltekischen Staates einzumischen. Eine Aufforderung, welche klar im Widerspruch zum Mandat der CICIG steht. Vélasquez ist in Guatemala ein Symbol für die Bekämpfung der Korruption. Unter keinem ihrer bisherigen Leiter war die CICIG so erfolgreich in der Aufdeckung von kriminellen Strukturen und Verstrickungen zwischen der organisierten Kriminalität und den politischen Eliten, wie unter dem Kolumbianer. Vélasquez war mit der in Guatemala vorhandenen Verstrickung von Militärs, Oligarchie und organisierter Kriminalität bereits aus seinem Heimatland bestens vertraut, wo er als Staatsanwalt ein Netzwerk von Kongressabgeordneten und Paramilitärs, auch bekannt als „Parapolítica“, aufdeckte. In diesem Verfahren wurden bereits etwa 50 Abgeordnete verurteilt, während weitere Verfahren gegen Abgeordnete noch anhängig sind.

Eine Aufhebung der Immunität von Morales wurde mit den Stimmen von zwei Dritteln der Parlamentsabgeordneten abgewendet. Ein fraktionsübergreifendes Bündnis stimmte gegen die Aufhebung der Immunität des Staatspräsidenten. In den sozialen Netzwerken wird es als „Pakt der Korrupten“ bezeichnet.

Um dem Strafverfahren gegen Morales und weiteren Verfahren gegen Abgeordnete die rechtliche Grundlage zu entziehen, beschloss der Kongress im September 2017 mit 107 Stimmen der insgesamt 158 Kongressabgeordneten eine „Reform“ des guatemaltekischen Strafgesetzbuches, nach welcher die entsprechenden Straftatbestände gleich ganz entfallen oder die Strafen für die Delikte auf eine Geldbuße reduziert werden. Nach massiven Protesten der Zivilgesellschaft – so blockierten Demonstranten im September 2017 über sieben Stunden den Kongress und hinderten die Abgeordneten am Verlassen des Gebäudes – und auf Druck inter­nationaler Akteur*innen nahm die Mehrheit der Abgeordneten jedoch wieder Abstand von der geplanten „Strafrechtsreform“.

Gegen mindestens 61 Kandidat*innen der letzten Kongresswahlen wurden Strafverfahren eingeleitet.

Im guatemaltekischen Kongress befindet sich Morales, der vor seinem Eintritt in die Politik noch als TV-Komiker tätig war und der als der am besten verdienende Staatspräsident Lateinamerikas gilt, in guter Gesellschaft, denn gegen mindestens 61 der bei den letzten Kongresswahlen angetretenen Kandidat*innen wurden seit der Wahl Strafverfahren eingeleitet.

Auch Morales’ Amtsvorgänger Otto Pérez Molina verabschiedete sich vorzeitig aus seinem Amt und wird in zwei Fällen wegen Zollbetrugs, Korruption und Steuerhinterziehung angeklagt. Seit seinem Rückritt Ende 2015 befindet er sich in Untersuchungshaft. Den Anstoß zu den Verfahren hatte ebenfalls die CICIG gegeben. Bereits im guatemaltekischen Bürgerkrieg während der Herrschaft von Efraín Rios Montt, der sich zurzeit erneut in einem Verfahren wegen Genozids verantworten muss, war Molina als Armeekommandant in der Region Ixil tätig und könnte somit für einen Großteil der in dieser Zeit dort verübten Massaker mitverantwortlich sein.

Dessen Amtsvorgänger Álvaro Colom Caballeros wiederum muss sich wegen der Bereicherung an dem Aufbau des „Transurbano“, dem Personennahverkehr mit Bussen in der Hauptstadt, verantworten. In seiner ersten Anhörung äußerte Colom, „die Staatsanwaltschaft und die CICIG sollten lieber die Maras verfolgen, als sich mit administrativen Kleinigkeiten aufzuhalten“.

Indessen erhält Präsident Morales unter anderem Unterstützung von Álvaro Arzú, dem Bürgermeister von Guatemala Stadt, der der guatemaltekischen Oligarchie angehört. Gegen ihn wird wegen Korruption und Veruntreuung ermittelt. Er hatte in der Zeit von 1996 bis 2000 das Amt des Staatspräsidenten inne. In diesen Zeitraum fällt auch der Mord an dem Bischof Juan Gerardi am 26. April 1998, mit welchem der Bürgermeister aufgrund neuer Beweise nun als Hintermann in Verbindung gebracht wird. Der Haupttäter Byron Lima, der Mitglied der Präsidentengarde (Estado Mayor Presidencial) war, baute nach seiner Verurteilung im Gefängnis ein kriminelles Netzwerk auf und wurde im Juli 2016 selbst bei einem Gefängnisaufstand getötet.

Bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit Morales vor Reservisten der guatemaltekischen Armee am 31. Januar 2018 brachte Arzú seine Ablehnung gegenüber den kritisch über die Korruption im Land berichtenden Journalist*innen zum Ausdruck und sagte, „wir müssen über die Köpfe der negativen Medien hinweg gehen“.

Da wundert es kaum, dass zwei Tage später auf dem Gelände der Finca Santo Domingo in Suchitepéquez die Journalisten Laurent Ángel Castillo Cifuentes und Luis Alfredo de León Miranda tot aufgefunden wurden. „Hier gibt es eine doppelte Verletzung von Rechten. Das Recht auf Leben der Person und das Recht auf Information, der Gesellschaft“ äußerte Edison Lanza, Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, zu dem Vorfall. Angesichts der geringen Aufklärungsquote bei Tötungsdelikten in Guatemala von gerade einmal 1,6 % erscheint es wenig wahrscheinlich, dass der Tod der Journalisten aufgeklärt wird.

Auch die Justiz wird von der Korruption erfasst. In einem von der CICIG als „Manipulation der Justiz“ bezeichneten Fall wurde im Februar 2018 Rony López, der ehemalige Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft für organisierte Kriminalität, festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, während der Ermittlungen zu einem anderen Mord an dem General José Armando Melgar Moreno eine parallele Ermittlung gegen unschuldige Personen durchgeführt zu haben. Er soll im Auftrag des Sohnes des ermordeten José Armando Melgar Moreno Zeugen und Beweise manipuliert haben, um die tatsächlich Verant­wortlichen zu schützen und die Verurteilung Unschuldiger zu erwirken.

Die Baufirma Odebrecht soll 17,9 Millionen US-Dollar Schmiergelder an guatemaltekische Politiker*innen gezahlt haben.

Wie die Korruption in Guatemala auch die Entwicklung behindert, zeigt sich an dem Fall der brasilianischen Baufirma Odebrecht. Diese soll 17,9 Millionen US-Dollar an Schmiergeldern über verschiedene Offshore-Firmen an guatemaltekische Politiker*innen gezahlt haben, um den Zuschlag für den Bau von 140 Kilometern der Autobahn Centroamericana mit einem Auftragsvolumen von 384,3 Millionen US-Dollar zu erhalten. Die Autobahn, für die Odebrecht 249,8 Millionen US-Dollar an Vorschuss kassierte und welche die südliche Küste Guatemalas mit Tecún Umán, einer Stadt an der Grenze zu Mexiko, verbinden sollte, wurde jedoch nur zu 30% fertig gestellt.

Viele der Strafverfahren gegen korrupte Politiker*innen kommen seit Jahren kaum voran. Eine der wesentlichen Ursachen ist der umfang­reiche Gebrauch von Verfassungsbeschwerden und anderen juristischen Hilfsmitteln durch die Verteidigung, mit dem Ziel, die Verfahren zu verschleppen. Begünstigt wird dies dadurch, dass die guatemaltekischen Gerichte häufig nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen ihre Entscheidungen verkünden und bis zu 22 Monate in Verzug geraten. Mit den langen Verfahrensdauern der guatemaltekischen Justiz beschäftigte sich zuletzt auch der Bericht „Running out the Clock“ von Human Rights Watch.

Mehrere Berichte erwähnen, der auf Richter*innen und Staatsanwält*innen ausgeübte Druck, ihre Aufgaben parteiisch auszuführen, sei sehr hoch. So gaben bei einer Umfrage 35 Prozent der befragten Richter*innen an, sie hätten selbst unzulässige Beeinflussungen erfahren. Auch direkte Drohungen oder Gewalt werden als Mittel gegenüber Richter*innen eingesetzt. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission registrierte zwischen 2002 und 2012 insgesamt 640 Bedrohungen und Einschüchterungen, 24 Angriffe, 5 Entführungen und 11 Morde von Richter*innen in Guatemala.

Im Mai 2018 steht nun die Ernennung einer*s neuen Generalstaatsanwalts*anwältin an. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist muss zunächst die Bewerbungs-kommision aus den 39 Kandidat*innen eine Liste mit 6 Personen erstellen, aus welcher Präsident Morales im Mai den*die neue*n Generalstaatsanwalt*anwältin auswählt.

Die amtierende Generalstaatsanwältin Thelma Aldana steht nach Ablauf ihrer vierjährigen Amtszeit nicht erneut für das Amt zur Verfügung. Sie erklärte bezogen auf die Zusammenarbeit mit Morales: „Ich sehe in dem Präsidenten keinen Verbündeten gegen die Korruption“.
Mit der anstehenden Ernennung des*der Generalstaatsanwalts*anwältin entscheidet sich, ob es in Zukunft noch eine wirksame Bekämpfung der Korruption in Guatemala geben wird. Der Druck der noch recht schwachen Zivilgesellschaft und der großen guatemaltekischen Zeitungen auf Morales, einen integren Kandidaten auszuwählen, wächst zunehmend. Auch auf internationaler Ebene versuchen die Akteure die Auswahl zu beeinflussen. So äußerte der Botschafter der Vereinigten Staaten, Luis Arreaga, im Februar 2018 vor Student*innen der Universität Rafael Landívar in Guatemala Stadt „Wenn eine Gesellschaft die korrupten Praktiken als Normalität akzeptiert, wird es niemals möglich sein, eine Kultur des Rechtsstaats zu etablieren“. Der neue schwedische Botschafter Anders Kompass erklärte im Januar 2018 bezüglich der Korruption in Guatemala, „das Problem sind dysfunktionale öffentliche Institutionen, nicht die Menschen“, und wurde prompt vom guatemaltekischen Außenministerium einbestellt.

Mit der Wahl des neuen Kongresspräsidiums am 13. Januar 2018 unter dem Vorsitz von Álvaro Arzú Escobar, dem Sohn von Álvaro Arzú, stärkte unterdessen der sogenannte „Packt der Korrupten“ seine Position. Zwar musste die Wahl nach einem Urteil des Verfassungsgerichtes eine Woche später wiederholt werden, da die Wahl einiger Mitglieder des Präsidiums unzulässig war. Die Neuwahl brachte aber keine wesentlichen Änderungen mit sich.

Gegen die Wahl des neuen Präsidiums demonstrierten am darauffolgenden Sonntag einige hundert Menschen vor dem weiträumig abgesperrten Kongressgebäude, in dem Morales den Regierungsbericht seines zweiten Amtsjahres vorstellte. Bei einem Redebeitrag wurde der Regierung vorgeworfen: „Das einzige was Sie erreicht haben, ist sich zu bereichern und einen Pakt der Korrupten zu schließen!“ Bezüglich der öffentlichen Kritik an der Wahl des neuen Kongresspräsidenten äußerte Präsident Morales: „Die legitime republikanische Gewalt wird an den Urnen vom Volk gewählt, und diese Gewalt sollte von den Gewählten, nicht durch medialen oder faktischen Druck, ausgeübt werden“.
Die Demonstrant*innen setzten ihren Protest auch am folgenden Montag mit mehreren dezentralen Demonstrationszügen fort. Auch viele der sozialen Bewegungen, die gegen infrastrukturelle Megaprojekte oder um ihre Landrechte kämpfen, nehmen sich des Themas der Korruption an. Denn sie haben erkannt, dass sie eines der wesentlichen Hindernisse in der Durchsetzung ihrer Rechte ist. So erklärt eine Gruppe von campesinxs in Casillas, die sich gegen die Silbermine El Escobal in San Rafael Las Flores wehren:„Wir haben gute Gesetze in Guatemala. Diese Gesetze werden aber infolge der Korruption nicht gut angewendet“.

Der Kampf gegen die Korruption in Guatemala ist eine wesentliche Grundlage für die fehlende gerechte Entwicklung des Landes. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut und ein Viertel sogar in extremer Armut. Damit sich an dieser Tatsache langfristig etwas ändern kann, ist zunächst eine Eindämmung dieser Korruption erforderlich, denn sie behindert wichtige strukturelle Reformen, etwa im Bereich der Besteuerung und im Justizsystem.

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