// ARGENTINIENS DUNKLE ZEITEN
„Die dunkelste Etappe unserer Geschichte.“ Als Vertreter der Neuen Rechten fällt Argentiniens Präsident Mauricio Macri im Gegensatz zur Alten Rechten die verbale Distanzierung von der bis dato letzten argentinischen Militärdiktatur nicht schwer. Diese nahm vor 40 Jahren, am 24. März 1976 mit einem Militärputsch ihren Ausgang und forderte bis zu ihrem Ende 1983 rund 30.000 Opfer. Macri erdreistete sich am Jahrestag gar zu betonen, dass er mit seinem Gast Barack Obama übereinstimme: „Heute müssen wir unsere Verpflichtung bekräftigen, die Demokratie und die Menschenrechte zu verteidigen, die überall auf der Welt täglich auf dem Spiel stehen.“
Zum Beispiel in Argentinien: 6835 Fälle von Folter und Misshandlungen stellte eine Gruppe um Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel 2015 bei einer landesweiten Untersuchung von 50 Gefängnissen fest. Hierbei ist Macri noch aus dem Schneider, da er sein Präsidentenamt erst am 10. Dezember 2015 angetreten hatte – wie in Argentinien üblich just am Tag der Menschenrechte. An der Tendenz ändert das nichts.
Macris These von der dunkelsten Etappe unserer Geschichte würde Nora Cortiñas von den „Müttern der Plaza de Mayo“ nie widersprechen, seiner Politik jedoch schon: „Mit der Regierung Macri hat Argentinien einen Rückschritt um 30 Jahre gemacht, was die Menschenrechte angeht“, so die Aktivistin, deren Sohn Gustavo zu den „Verschwundenen“ gehört. In einem offenen Brief an den Präsidenten forderte sie das argentinische Volk auf, weiter um Gerechtigkeit zu kämpfen.
Macri kämpft derweil um anderes: um die Rückkehr an die internationalen Finanzmärkte, um ein schuldenfinanziertes Wachstum zu generieren, wie es einst die Militärdiktatur vorgemacht hatte: In nur sieben Jahren wurden damals die Auslandsschulden von 7,5 Milliarden auf über 40 Milliarden Dollar katapultiert und so der Grundstein für die Überschuldung gelegt. Diese mündete schließlich 2001/2002 im staatlichen Bankrott– und dem der politischen Klasse, für die die Argentinier*innen nur noch ein „que se vayan todos!“ (Haut alle ab!) übrig hatten.
Mit dem Beginn der Militärjunta hatte Argentinien dereguliert und liberalisiert, Staatsunternehmen privatisiert und Märkte geöffnet wie kaum ein anderes Land auf der Welt. Seit den 1980er Jahren hielt sich das Land streng an alle Auflagen aus Washington und entsprechend großzügig flossen die Kredite an den Musterschüler des Internationalen Währungsfonds (IWF). Eben dieser IWF applaudierte Macri nun in persona seiner Chefin Christine Lagarde. Sie hatte die Wirtschaftspolitik der neuen Regierung nach den ersten Maßnahmen als sehr „ermutigend“ bezeichnet und zeigte sich erleichtert über den Deal mit den „Geierfonds“, jenen Hedgefonds, die nach der Krise argentinische Staatsanleihen zum Schrottwert aufgekauft und danach in New York auf den vollen Nominalwert geklagt hatten.
Wozu der IWF Beifall spendet, ist die Wiederholung der argentinischen Wirtschaftstragödie als Farce: die Privatisierung von Gewinnen und die Sozialisierung von Verlusten in einer schlicht perversen Dimension. Der IWF erteilt Beifall für einen goldenen Handschlag, der den Geierfonds über 1000 Prozent Rendite beschert und der die 93 Prozent der Gläubiger*innen, die sich 2005 und 2010 zähneknirschend auf Umschuldungen mit hohen Verlusten einließen, wie Idiot*innen da stehen lässt, denn Verzicht lohnt sich nicht.
Um den milliardenschweren Deal mit den Geierfonds zu finanzieren, hat Macri bereits ein Bankenkonsortium beauftragt, neue Staatsanleihen für 12 Milliarden Dollar auf dem internationalen Finanzmarkt zu platzieren, von dem Argentinien seit 2001 abgeschnitten war. Die Investor*innen stehen Schlange. Sie wissen, dass eine Regierung, die bereits damit begonnen hat, 100.000 Staatsbedienstete auf die Straße zu setzen, willfährig ist, den Ansprüchen der Gläubiger*innen um jeden Preis nachzukommen. Macri hat das nächste Kapitel der Wachstum-per-Auslandsverschuldung-Geschichte Argentiniens begonnen. Alle mündeten in dunkle Zeiten für Argentiniens Bevölkerung – außer für die Elite.