Editorial Ausgabe 201 – März 1991
War’s das? Am Golf herrscht Waffenruhe. Wenn diese Ausgabe unsere LeserInnen erreicht, ist der “heiße Krieg” vielleicht schon längst vorbei. Und George Bush wird sicher sein, seiner “neuen Weltordnung” ein Stück nähergekommen zu sein.
Die Proteste gegen den Golfkrieg und gegen die dahinterstehende Logik sind schwächer geworden. Und das in einer Situation, in der mit der offensichtlichen Ausweitung der Kriegsziele auf den Sturz Saddam Husseins die Legitimationsgrundlage der Alliierten für diesen Krieg, die Befreiung Kuwaits und die Durchsetzung des internationalen Rechtes, zusammengebrochen ist. Eigentlich müßte das jetzt auch für bisher Gutgläubige einsichtig geworden sein. Und die Friedens- und Internationalismusbewegung müsste doch jetzt gestärkt, die KriegsbefürworterInnen von Enzensberger bis weit in die Grünen hinein in der Defensive sein. Aber weit gefehlt. Diejenigen, die die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Kriegsparteien benennen, die auf die mehr als problematische Rolle der israelischen Politik im Dauerkrisengebiet Naher Osten hinweisen, sind in einer so defensiven Position wie selten zuvor. Die Angst vor “biographischer Marginalisierung”, wie Claudia von Braunmühl es in der taz genannt hat, die Angst davor, historisch wieder einmal auf der Verliererseite zu stehen, hat viele linke Identifikationsfiguren, siehe Wolf Biermann, an die Seite der Kriegsherren getrieben. Ein völlig verqueres Geschichtsbewußtsein wird uns eingeredet, das gerade jetzt, da eine reflektierte Stellungnahme zu dieser Form von “Entwicklung” im Nahen Osten so nötig ist, keine andere Möglichkeit offen lassen soll, als diesen Krieg zur “Rettung Israels” vorbehaltlos zu unterstützen.
Liegt es nur an der mangelnden Einsatzbereitschaft der MitstreiterInnen, die nach eher Woche Aktionismus wieder zur Tagesordnung übergehen, wenn die Antikriegsdemos, Mahnwachen etc. sogar bei Beginn des Landkrieges auf Sparflamme liefen? Oder liegt es auch daran, daß jetzt nur wiederholt werden könnte, was in der ersten Kriegswoche so vielfach gesagt, geschrieben und skandiert wurde. Die Fassungslosigkeit darüber, daß der herrschende Diskurs, obwohl er inhaltlich so leicht anzugreifen ist, bis weit in die Linke hinein absolut dominiert, führt zunehmend zu Sprachlosigkeit, eine Sprachlosigkeit auch angesichts der drohenden Nachkriegsordnung. Begriffe der Linken werden in den Sprachgebrauch der Herrschenden integriert. Selten wurde so “international” argumentiert, gar von “Solidarität der Völker” ist die Rede. Grundbegriffe der Internationalismusbewegung wie “Selbstbestimmung”, “Solidarität”, “Emanzipation”, und “Demokratie” drohen im ideologischen Nebel der neuen Weltordnung beliebig zu werden. Sie geraten ins Fahrwasser des Diskurses von Völkerverständigung à la UNO, die im Verlauf des Golfkrieges mehr denn je zur Zustimmungsmaschinerie verkommen ist. Während Sprachlosigkeit um sich greift angesichts der Eskalation der militärischen Gewalt zur Durchsetzung der pax americana, etabliert sich ein ideologischer Weltkonsens. Und das in einer Situation, in der der rapide ökonomische Abstieg der “Dritten Welt” innerhalb der Herrschenden Logik weitergeht und die nächste Konfrontation nur eine Frage der Zeit zu sein scheint. Welches “Lösungsmodell” diese neue Weltordnung dafür anbietet, haben wir gesehen.