Editorial Ausgabe 281 – November 1997
Isaac Velazco, Sprecher der peruanischen Guerillaorganisation MRTA in Europa, ist ein gefährlicher Mann. Er hat die Interessen Deutschlands „erheblich gefährdet“. Also wurde er zum Schweigen verurteilt. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafe oder Gefängnis bestraft. Die Bundesrepublik ist schließlich eine wehrhafte Demokratie.
Was war geschehen? Zahlreichen Medien hat Isaac Velazco seit Beginn der Besetzung der japanischen Botschaft in Lima Interviews gegeben, so auch uns. Er hat zu erklären versucht, warum die Aktion der MRTA legitim sei. Dabei hat er die alltäglichen Menschenrechtsverletzungen des Fujimori-Regimes angeklagt und auf Folter und katastrophale Haftbedingungen in den peruanischen Knästen hingewiesen. Haftbedingungen, die schon seit Jahren vergeblich von Menschenrechtsorganisationen und dem Internationalen Roten Kreuz verurteilt werden. Ohne die Mittel zu akzeptieren, zeigten auch bürgerliche Medien Verständnis für das Ziel der Botschaftsbesetzung: Die Freilassung der über 400 politischen Gefangenen der MRTA.
Das blutige Ende der Aktion ist bekannt. Über die Ermordung mehrerer BotschaftsbesetzerInnen, die sich bereits ergeben hatten, wurde ausführlich berichtet. Auch Velazco hat darüber gesprochen. Verständlich, daß dies Fujimori nicht paßt. Seine Regierung stellte einen Auslieferungsantrag. Als anerkannter politischer Flüchtling genießt Velazco aber in der Bundesrepublik einen gewissen Schutz.
Um den Mörder Fujimori zu besänftigen, wies Innenminister Kanther die Hamburger Innenbehörde an, den seit Jahren in der Hansestadt lebenden Peruaner zum Schweigen zu bringen. Velazco und sein Verteidiger Hartmut Jacobi sind gegen den Maulkorberlaß in Berufung gegangen.
Es ist das zweite Mal, daß sich die deutsche Regierung zum Büttel des peruanischen Regimes macht. Im Juni hatte die deutsche Botschaft in Lima zwei Angehörigen der bei der Botschaftserstürmung getöteten Guerillera Rolly Rojas ein Visum verweigert. Sie wollten zusammen mit „Müttern der Plaza de Mayo“ aus Argentinien für ein Angehörigenkomitee von Opfern der militärischen Repression in Peru werben. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärte damals lapidar, die Reise würde die deutsch-peruanischen Beziehungen „belasten“ (LN 277/278). Zwei andere Angehörige und die Mütter der Plaza de Mayo wurden kurzfristig vom Bundestagsausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe wieder ausgeladen.
Exporte sind Außenhandelsminister Kinkel wichtiger als Menschenrechte. Ein Skandal, der altbekannt ist. Das Problem liegt woanders. Die politischen Freiräume werden enger, der Obrigkeitsstaat ist auf dem Vormarsch, abweichende Meinungen werden immer häufiger zensiert. Auch der Maulkorb für Velazco wäre vor zehn Jahren so nicht möglich gewesen. Zur Erinnerung: In El Salvador kämpfte die Befreiungsbewegung FMLN gegen das Regime von Napoleón Duarte, einem Schützling der Konrad-Adenauer-Stiftung. Das christdemokratische „Modell El Salvador“ sollte auf andere Länder Lateinamerikas ausstrahlen. Die Bundesregierung hatte also mehr Interessen in El Salvador als heute in Peru, das nur ein mittelmäßiger Handelspartner ist. Trotzdem hatte die FMLN bis Ende des Krieges mehrere offizielle Vertreter und Büros in Deutschland. Weitgehend unbehelligt warben sie für die Ziele der salvadorianischen Guerilla.
Dies war auch deshalb möglich, weil es eine breite Solidaritätsbewegung gab, die den Kampf der FMLN politisch und materiell unterstützte. Öffentlichkeit über die Verbrechen der CDU-Verbündeten in El Salvador wäre auch ohne die Anwesenheit der Guerilla-VertreterInnen hergestellt worden. Zugleich war die Bewegung aber ein Schutz für die FMLN-Vertreter in Europa.
Eine Unterstützung, mit der die MRTA, aber auch nicht-bewaffnete Organisationen in Peru, heute kaum rechnen können. Die Schwäche der Linken ist immer die Stärke des Staates.