Editorial | Nummer 291/292 - Sept./Okt. 1998

Editorial Ausgabe 291/292 – September/Oktober 1998

Entwicklungspolitik taucht in den Wahlprogrammen der Parteien erst an letzter Stelle auf, auf den hinteren Seiten werden ein paar Statements aneinandergereiht. So das provokative Statement der Sprecherin des Berliner entwicklungspolitischen Ratschlags (BER) nach Lektüre der einschlägigen Werke anläßlich einer entwicklungspolitischen Podiumsdiskussion mit Berliner BundestagskandidatInnen Ende August. Und auch live war manchem Parteienvertreter anzumerken, daß er inmitten des Wahlkampfzirkus’ recht wenig Zeit gefunden hatte, sich Grundkenntnisse im Bereich Entwicklungspolitik anzueignen. Konzeptionslos schwadronierte der PDS-Vertreter von der Notwendigkeit, über Entwicklungspolitik nachzudenken. Sein CDU-Kollege versuchte mit Kompetenzvorsprung zu brillieren und gab zynische Argumentationshilfen zum besten. Er versuchte, dem – größtenteils aus hauptamtlichen NGO-VertreterInnen bestehenden – Publikum darzulegen, worauf es ankomme: Um Entwicklungspolitik in den Zeiten leerer Haushaltskassen zu legitimieren, müsse man direkt an den Egoismus des Wahlvolkes appellieren. Nach dem Motto: Wenn wir nicht jetzt etwas gegen die Armut in der Dritten Welt tun, stehen die Hungrigen bald hier auf der Matte… Auch die Vertreterin von Bündnis 90/Die Grünen hatte nur eine Verlegenheitsreplik auf den Vorwurf der Marginalisierung von Entwicklungspolitik parat: Diese komme im grünen Wahlprogramm erst an letzter Stelle, weil sie so etwas wie die “Quintessenz“ der vorangehenden Positionen darstelle.
Nicht nur zu Wahlkampfzeiten stellt sich bei Diskussionen um staatliche Entwicklungspolitik folgende Frage: Debattiert man ressortübergreifende Forderungen an die Bundesregierung, oder konzentriert man sich auf die Aktivitäten des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ)?
Sechzehn Jahre Kohl & Co. haben auch auf dem Feld der Entwicklungspolitik einiges verdorren lassen. Ein “Alibiministerium“ sei das BMZ, schrieb kürzlich der Chefredakteur der Zeitschrift “Entwicklung und Zusammenarbeits“ in der taz. Ohne tatsächliche Kompetenzen dümpele es vor sich hin.
Ob nachhaltige Entwicklung und globale Umweltprobleme, Habitat und Stadtentwicklung oder Migration und Armutsproblematik: Ganz gleich, um welche auf UNO-Konferenzen oder anderswo geführten Süd-Nord-Debatten es sich handelt: Vom BMZ-Hausvorsteher Carl-Dieter Spranger fehlt zumeist jegliche Spur.
Steckt das Ministerium bloß in der Krise, oder ist es längst zum Anachronismus degeneriert? Diese Frage werfen nicht nur neoliberale PolitikerInnen auf, für die Entwicklungszusammenarbeit höchstens als indirekte Form der Exportförderung fungieren darf. Auch in der entwicklungspolitisch engagierten Szene wird das Thema heftig diskutiert, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Da Entwicklungspolitik ein Projekt des Kalten Krieges gewesen sei, habe sie in Zeiten neoliberaler Globalisierung für die ohnehin keine Bedeutung mehr.
Tatsächlich erscheint vor diesem Hintergrund die “Projektitis“ nicht nur des BMZ, sondern auch so mancher Nichtregierungsorganisation (NRO) wie ein hilfloser Kampf gegen Windmühlen. So erfreulich es ist, daß die NRO in den letzten Jahren an Einfluß gewonnen haben, so falsch wäre es, ihr Machtpotential zu überschätzen oder zuzulassen, daß sie als Lückenbüßer für fehlendes staatliches Engagement instrumentalisiert werden.
Reicht eine deutliche Aufstockung des BMZ-
Etats aus, wie sie einige Grünen- und SPD-PolitikerInnen für den Fall eines Regierungswechsels in Aussicht stellen? Sollten die Kompetenzen des Ministeriums erweitert werden, oder wäre es besser, das BMZ aufzulösen und Entwicklungspolitik als Querschnittsaufgabe ressortübergreifend zu verankern? Immerhin ist die aktuelle entwicklungspolitische Debatte in den vergangenen Jahren wieder über die Projektfixierung hinausgewachsen. Allerdings werden Stichworte wie “Entwicklungspolitik für den Norden“, “weltweite Strukturpolitik“ und “global governance“ meist noch recht nebulös diskutiert (so auch die Kritik der Berliner Initiative BLUE 21 am entwicklungspolitischen “Memorandum ’98″). Der Nebel könnte ein wenig gelichtet werden, wenn die Profiteure der neoliberalen Weltordnung deutlicher benannt würden.

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