Editorial Ausgabe 357 – März 2004
Gerhard Schröder hat von Lateinamerika keine Ahnung. Das ist nicht neu und im Zeitalter der ausdifferenzierten Arbeitsteilung nicht weiter schlimm. Vorausgesetzt, die Arbeitsteilung funktioniert. Der Berlin-Besuch des kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe Vélez Mitte Februar spricht für das Gegenteil. Denn Sinn und Zweck von Arbeitsteilung ist gemeinhin, der komplexen Realität gerecht zu werden. Die dem Kanzler von seinen Lateinamerika-Souffleusen in den Mund gelegten Lobhudeleien auf die Politik seines kolumbianischen Counterparts haben mit der Realität indes nichts zu tun. Schröder würdigte Uribes so genannten Kampf gegen den Terrorismus in vollen Zügen. Dabei schmeckt Uribes Politik nicht nach Cohiba, sondern nach Blut.
3500 Menschen fallen dem Bürgerkrieg jährlich zum Opfer. Staatlicher und parastaatlicher Terror liegt dabei weit vor den Verbrechen der Guerilla. Uribe mag auf seine Regierungsstatistiken verweisen, die für seine ersten 18 Monate Amtszeit eine sinkende Zahl der Morde und Entführungen vermelden. Die Berichte nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen sprechen hingegen von einer weiteren Zunahme an zivilen Opfern in den Konfliktgebieten.
Statistik hin oder her. Uribe wird mit seiner aggressiven militärischen Aufstandsbekämpfungspolitik den seit über 40 Jahre andauernden Bürgerkrieg sicher nicht beenden können. Denn die sozialen Ursachen des Konflikts werden von Uribe schlicht geleugnet: Kein Wort über die ungerechte Verteilung an Boden und Einkommen. Heute kontrollieren 0,4 Prozent der LandbesitzerInnen mehr als 60 Prozent der Böden, fast doppelt soviel wie 1984. Doch für Uribe hat der Konflikt nur eine Dimension: Terrorismus. Der Terrorismus schaffe die Ungerechtigkeit, der Terrorismus lasse die Privatwirtschaft nicht wachsen. Uribes Lösung: eine Politik der harten Hand.
Vielleicht hat das den Mann der ruhigen Hand im Kanzleramt beeindruckt, sieht er doch immer beunruhigter seine Felle davonschwimmen. Das scheint dem erklärten Realpolitiker Schröder den Blick für die Realität zu vernebeln. Der ehemalige SPD-Vorsitzende lobte Uribe für dessen Politik der Integration. In der Tat gelingt es Uribe besser, Paramilitärs straffrei in die Gesellschaft zu integrieren, als Schröder Arbeitslose in den Arbeitsmarkt.
Integriert wird in Kolumbien aber vor allem die Zivilbevölkerung in den Bürgerkrieg. Uribe baut ein Informantennetzwerk mit 1,5 Millionen ZivilistInnen auf. Spitzel sollen gegen Geld Informationen liefern. Auch vor Kindern wird dabei kein Halt gemacht. Und dass die Regierung nach wie vor von einem langen Kampf gegen die Guerillas ausgeht, zeigt das Programm „Soldat für einen Tag“. Freizeitangebote und Besuche in militärischen Einrichtungen sollen das Interesse der Kinder an der Armee wecken. Uribe setzt auf den nebenberuflichen Einsatz von ZivilistInnen als SoldatInnen. Ein glatter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. Dieses schreibt die Unterscheidung zwischen ZivilistInnen und KombattantInnen vor. Die Befriedung einer Gesellschaft ist etwas anderes.
Dass die Bundesregierung einen solchen Kurs kritiklos unterstützt, ist ein Armutszeugnis. Noch vergibt Rot-grün keine Militärhilfe an Kolumbien wie Großbritannien oder Spanien – von der USA und ihrem Plan Colombia mal ganz abgesehen. Doch das ist nur ein geringer Trost. Das Entwicklungsministerium mag sinnvolle Projekte zur Stärkung der Menschenrechte und der Zivilgesellschaft unterstützen. Doch selbst die auch von Berlin mitgetragenen und hochgelobten so genannten EU-Friedenslabors sind mit Vorsicht zu genießen. Sie sind Teile eines staatlichen Befriedungsplanes. Oft genug heißt das Befriedung, nachdem Militärs und Paramilitärs vorher „aufgeräumt“ haben.
Seit 1998 betont die rot-grüne Regierung Menschenrechte als zentrales Kriterium für die Vergabe von Entwicklungshilfe. Alvaro Uribe hat gerade mal eine von 27 Empfehlungen der UNO-Menschenrechtskommission erfüllt. Für Berlin kein Grund, auch nur die Zusammenarbeit mit ihm zu überdenken. Kuba wird dagegen wegen der inakzeptablen Exekution dreier Entführer mit einem umfassenden Boykott belegt – Kultur inklusive. Realpolitik eben – mit dem Geschmack von Blut und nicht von Cohiba.