Editorial | Nummer 543/544 - September/Oktober 2019

// ES BRENNT

Überall in den Medien sind derzeit die brennenden Wälder des Amazonasgebietes zu sehen. Es ist nicht auszuhalten, dass hier ein ökologischer Schatz und eine wichtige Lebensgrundlage des Planeten vernichtet werden. Indessen hat Brasiliens rechtsradikaler Präsident Jair Bolsonaro den Regenwald von Anfang an nur als zu kommerzialisierende Ressource oder als Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung betrachtet. Seine Politik und sein Diskurs haben zur Brandrodung ermuntert.

Was ist der Bundesregierung bisher dazu eingefallen? Gemeinsam mit den G7-Staaten hat Deutschland 20 Millionen Euro Hilfe für Löschflugzeuge angeboten. Nur wenige Wochen vorher hatte die Bundesregierung wegen der vielen Rodungen noch 35 Millionen Euro Hilfsgelder für Brasilien gestrichen. Hilfsgelder hin – Hilfsgelder her. Eine durchdachte Strategie sieht anders aus.

Wir rufen uns in Erinnerung: 2007 schlug die Regierung von Ecuador den Industrieländern vor, das Erdölfeld ITT unter dem Regenwaldnationalpark Yasuní nicht anzurühren, die biologische Vielfalt also zu erhalten und die indigene Bevölkerung dort zu schützen. Im Gegenzug sollte der globale Norden eine Entschädigung für die so entgangenen Einnahmen zahlen – ganz nach Marktlogik. Doch nur ein Bruchteil der Kompensationszahlungen der Industrieländer wurde Ecuador zugesagt und auch die Bundesregierung zog am Ende ihre anfängliche Unterstützung zurück. 2013 wurde die Yasuní-ITT-Initiative vom ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa für gescheitert erklärt. Die Appelle der indigenen Bevölkerung zur Erhaltung ihres Lebensraums waren damals offenbar nicht so wirkungsvoll wie jetzt die Bilder des brennenden Urwalds.

Unter den Politiker*innen der deutschen Regierungsparteien versucht sich in den letzten Wochen an vorderster Front Markus Söder mit Vorschlägen zum Klimaschutz zu profilieren. Eine überraschende Entwicklung, denn zu seinen ersten Amtshandlungen als Ministerpräsident von Bayern gehörte es letztes Jahr, die Schaffung eines neuen Nationalparks zu stoppen, der ein Waldgebiet unter Schutz hätte stellen können. Aber wenn es um den Schutz der Wälder vor der eigenen Haustür geht, knicken deutsche Politiker*innen gerne selbst vor der Industrielobby ein – siehe Hambacher Forst. Sie machen damit genau das, was sie – zu Recht – Bolsonaro vorwerfen. Hierzulande wurde die Natur bereits praktisch vollständig der wirtschaftlichen Entwicklung geopfert. Nun exportiert Deutschland den Schutz der Urwälder bequem an den Äquator, während man von dort Fleisch und Soja von den bereits brandgerodeten Flächen importiert.

Diese Scheinheiligkeit, dieser Opportunismus, tun weh. Das gilt auch für andere Länder des globalen Nordens. Frankreich und Irland haben immerhin angekündigt, das EU-Mercosur-Abkommen aus Protest vorerst nicht zu ratifizieren. Ein Druckmittel, das anscheinend wirkt: Die brasilianische Agrarlobby, eine der wichtigsten Stützen von Bolsonaro, sorgt sich nun lautstark um ihre Exporteinnahmen und übt Druck auf den Präsidenten aus. Bolsonaro hat umgehend mit kosmetischen Maßnahmen reagiert: er schickte Militär und Flugzeuge zum Löschen und verbot die Brandrodung für zwei Monate. Da Bolsonaro offenbar nur auf den Druck seiner eigenen Unterstützer*innengruppen eingeht, müsste auch die Bundesregierung genau hier ansetzen, anstatt auf ein zahnloses Nachhaltigkeitskapitel im EU-Mercosur-Abkommen zu setzen.

Statt Scheinheiligkeit braucht es Nachhaltigkeit. Das gilt für den Umweltschutz ebenso wie für das Eintreten für Menschenrechte. Beides darf den wirtschaftlichen Interessen nicht geopfert werden. Und um beides steht es in Brasilien im Moment schlecht.

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