MORALES’ DOPPELMORAL
Waldbrände in Bolivien kratzen am Image des Präsidenten
Illustration: Joan Farías Luan
Eine Fläche etwa so groß wie Schleswig-Holstein ist den Flammen bereits zum Opfer gefallen. Besonders hart trifft es die Savannenregion Chiquitanía im östlichen Departament Santa Cruz. Das wichtige Ökosystem verbindet die beiden größten Biome Südamerikas, den Amazonas und den Gran Chaco. Von der Koordination der indigenen Organisationen des Amazonasbeckens (COICA) wurden Morales und Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro nun gleichermaßen zu unerwünschten Personen erklärt. „Die indigenen Völker machen die Regierungen der Präsidenten Jair Bolsonaro und Evo Morales verantwortlich für den physischen, ökologischen und kulturellen Genozid, der aktuell im Amazonas passiert”, heißt es in einer Erklärung.
Seit seinem Amtsantritt 2006 präsentiert sich Morales, national und international, als Verteidiger der Pachamama (Mutter Erde). „Meine Großeltern, meine Eltern und meine Gemeinschaft haben mich gelehrt, dass das Land unsere Mutter ist, es ist unser Zuhause, das respektiert und geschützt werden muss“, sagte Morales im April 2016 vor der UN-Versammlung. An solchen Worten wird er nun, da ein großer Teil Boliviens in Flammen steht, gemessen. Zu seinem Nachteil, denn seine Politik der vergangenen Jahre hat die aktuelle Katastrophe begünstigt.
Bereits 2015 erließ Morales Regierung das Gesetz 741, das die Rodung von bis zu 20 Hektar großen Grundstücken „zur Entwicklung von Land- und Viehwirtschaft im Einklang mit Mutter Erde“ erlaubt. Tatsächlich ist die Vorlage von nachhaltigen Bewirtschaftungsplänen für eine solche Genehmigung jedoch keine Praxis. Was der Entwaldung zumindest bisher stellenweise Einhalt gebot, war eine Verordnung von 2001, aus der Zeit vor Morales Präsidentschaft. Diese verlangte zumindest für die Entwaldung in Santa Cruz, wo die Brände momentan besonders verheerend sind, Sondergenehmigungen, und stellte Brandrodung in Forst- und Schutzgebieten unter Strafe.
Im Juli dieses Jahres jedoch änderte Morales diese Verordnung mit dem Dekret 3.973. Dieses erlaubt seitdem „kontrollierte“ Brandrodungen zur Gewinnung landwirtschaftlicher Flächen auch in Santa Cruz und dem angrenzenden Amazonas-Departement Beni. Die Regierung begründete dies mit Bevölkerungswachstum und einer erhöhten internen wie externen Nachfrage nach Nahrungsmitteln. Auf einer Pressekonferenz sagte Morales, Kontrollen seien wichtig, dass es sich aber um kleine Familien handele, die sonst nicht zu essen hätten. „Wovon sollen sie leben? Es geht um einen halben Hektar für Mais, um die Situation des Kleinerzeugers, um einen Hektar Reis zum Überleben. Es sind jetzt andere Zeiten, wir müssen die Normen anpassen“, so Morales.
Umweltorganisationen haben da jedoch ihre Zweifel. Für sie hängen die Brände mit der Entscheidung der Regierung zusammen, die Grenzen für die industrielle Landwirtschaft und Viehzucht zu erweitern. „Die ganze Verwüstung ist das Ergebnis einer irrationalen Wirtschaftspolitik, die auf den Ausbau von Monokulturen und die Ausweitung der Viehzucht abzielt“, heißt es in einer Stellungnahme der Nationalen Koordination für die Verteidigung Indigener und Bäuerlicher Territorien (Contiocap). Das Dekret galt vielen offenbar als grünes Licht für die chaqueos, dem Verbrennen von Wäldern, der billigsten Methode der Entwaldung. Mutmaßlich wurden die Feuer, wie auch in Brasilien, durch Brandstifter aus der Landwirtschaft ausgelöst, um Weideflächen für die exportorientierte Fleischproduktion zu schaffen.
Bisher war Bolivien nicht gerade als Exportland bekannt, aber das soll sich bald ändern. Ende August, als die Flammen in Santa Cruz am höchsten schlugen, feierte Evo Morales im selben Departmento offiziell den Export der ersten Tonnen bolivianischen Rindfleischs für den chinesischen Markt. Erst im April hatte China seinen Markt für bolivianische Fleischimporte geöffnet. Der Präsident des bolivianischen Fleischproduzentenverbands Congabol, Oscar Ciro Pereyra, sagte, das Ziel bestehe darin, bis 2030 eine Produktion von 200.000 Tonnen Fleisch zu erreichen, was einem Umsatz von 900 Millionen Dollar entspricht und Bolivien zu einem der 15 Länder mit den größten Fleischexporten machen würde.
Und auch das Ausmaß der Flächen, die durch Morales Gesetze zur Rodung freigegeben wurden, spricht eine deutliche Sprache. Der Gouverneur von Beni, Alex Ferrier, zeigte sich nach der Unterzeichnung des Dekrets 3.973 erfreut, da dadurch „bis zu neun Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche entstehen könnten“. Bei einem halben Hektar für Kleinproduzent*innen wäre das ausreichend für 18 Millionen solcher Kleinproduzent*innen – allein in Beni – bei einer Einwohner*innenzahl von elf Millionen in ganz Bolivien.
Mehr als 80 Umweltorganisationen werfen der Regierung nun „Ökozid“ vor und fordern die Abschaffung des Gesetzes 741 und des Dekrets 3.973. Die Regierung der Bewegung zum Sozialismus (MAS) weigert sich jedoch, diese Regelungen aufzuheben. Stattdessen schlug Evo Morales ein großes „Rückgewinnungsprogramm“ für die zerstörten Gebiete vor, das sich auf die Phase nach den Bränden konzentrieren werde. Er verkündete zudem eine „ökologische Pause“, während der der Verkauf von verbranntem Land bis zu dessen Regeneration verboten ist, sodass aus den illegalen Brandrodungen zumindest vorerst kein Profit zu schlagen ist.
Doch noch brennt es und vielerorts ist die Lage nicht unter Kontrolle. Tausende Soldat*innen und Freiwillige kämpfen seit Wochen gegen die Feuer. Nach massivem Druck aus der Zivilbevölkerung hat Morales internationale Hilfe angefordert, diese kommt unter anderem aus Argentinien, Peru und Chile. Und auch Russland, China und die EU schicken Geld und Expert*innen.
Eigentlich steckt Bolivien gerade mitten im Wahlkampf. Am 20. Oktober sind Präsidentschaftswahlen, bei denen auch Evo Morales für eine vierte Amtszeit kandidiert. Den Wahlkampf hat Morales derweil offiziell ausgesetzt. Videos im Netz zeigen ihn im blauen Overall der Brigadistas, wie er in Chiquitanía mit Spaten und Wasserschlauch gegen die Flammen kämpft – manchmal ist kein Wahlkampf eben auch Wahlkampf. Lange blieb er jedoch nicht, denn am nächsten Tag erwartete man ihn schon zu der offiziellen Feier anlässlich der ersten China-Fleischexporte.
Morales’ Anti-Umwelthaltung ist nicht neu. Sein Versuch, eine Straße durch den TIPNIS-Nationalpark zu bauen (siehe LN 519/520), markierte bereits vor Jahren das Ende der Unterstützung von Teilen seiner Basis. Obwohl erste Umfragen ein knappes Ergebnis voraussagen, ist es dennoch unwahrscheinlich, dass die aktuelle Kritik an Morales ihn bei den anstehen Wahlen den Sieg kosten könnte. Nichtsdestotrotz steht Evo Morales vor der Herausforderung, seine Fehler zu korrigieren, das heißt das Gesetz 731 und das Dekret 3.973 aufzuheben und eine Gesetzgebung anzuwenden, die Umweltkriminalität verfolgt und bestraft. Andernfalls bleibt unklar, was ihn in Sachen Umweltpolitik von Bolsonaro unterscheidet und seine Inszenierung als Verteidiger der Pachamama rechtfertigt.