Nummer 361/362 - Juli/August 2004 | Öffentliche Güter

Öffentliche Güter und das Dogma der Privatisierung

Marktmechanismen können nicht alles regeln

Der Begriff der öffentlichen Güter basiert auf der Vorstellung, dass die flächendeckende Bereitstellung bestimmter Güter für einzelne Marktakteure nicht profitabel ist, aber für die Gesellschaft dennoch sinnvoll sein kann. Folglich soll der Staat in der Regel deren Bereitstellung gewährleisten. Zunehmend jedoch wird die Öffentlichkeit zahlreicher Güter durch Privatisierungen in Frage gestellt.

Tobias Lambert

Private Güter haben einen ausschließenden Charakter. Einzelpersonen oder Firmen können durch Besitzansprüche an bestimmten Gütern andere Personen von deren Nutzung ausschließen bzw. die Zahlung eines entsprechenden Preises für die Inanspruchnahme des angebotenen Gutes verlangen. Es gibt jedoch Güter und Dienstleistungen, deren Bereitstellung aufgrund ihrer immensen gesellschaftlichen Bedeutung nicht allein den Kräften der Märkte überlassen werden sollte.
Zu diesen öffentlichen Gütern zählen so unterschiedliche Erscheinungen wie die Sicherung der natürlichen Lebensbedingungen (Luft, Wasser, Biodiversität etc.), das kulturelle Erbe (Kunst, Architektur, Bräuche etc.), die menschliche Daseinsvorsorge (Bildung, Gesundheit, Wissen etc.), die Bereitstellung einer materiellen Infrastruktur (Verkehrswege, Telekommunikation etc.) sowie ein immaterielles System von Regeln und Institutionen.
Öffentliche Güter werden durch zwei charakteristische Hauptmerkmale gekennzeichnet, die aber nicht notwendigerweise beide gleichzeitig gelten müssen: Erstens wird durch die Bereitstellung eines solchen Gutes die gesellschaftliche Gesamtnachfrage abgedeckt, so dass es „nicht-ausschließbar“, sondern möglichst für alle vorhanden ist. Das zweite Merkmal ist das Bestehen von „Nicht-Rivalität“ im Konsum. Das heißt, durch Inanspruchnahme eines Gutes hält man – bei angemessenem Verbrauch – niemand anderen davon ab, dieses genauso zu nutzen. Wenn beide der genannten Merkmale auf ein Gut zutreffen, spricht man von einem „reinen“ öffentlichen Gut.
Eine objektive Definition, welche Güter öffentlich und welche privat sein sollten, gibt es nicht. Der öffentliche Charakter eines Gutes ist in den wenigsten Fällen eine feststehende oder naturgegebene Eigenschaft (wie etwa bei Sauerstoff oder Sonnenlicht), sondern meist das Resultat gesellschaftlicher Übereinkünfte und politischer Entscheidungen. Die Öffentlichkeit eines Gutes kann somit je nach Kulturkreis, geschichtlicher Epoche oder ökonomischen Verhältnissen variieren. Derzeit befinden wir uns in einer Epoche der weitreichenden Privatisierung öffentlicher Güter und des damit einhergehenden Verlustes staatlicher Kontrolle über eine Vielzahl von Lebensbedingungen, die bis dato als gesellschaftliche Verantwortung galten.

Grenzenlose Privatisierung
Die Privatisierung bislang öffentlicher Güter ist unter anderem in internationalen Handelsabkommen wie dem 1995 in Kraft getretenen GATS (Allgemeines Handels- und Dienstleistungsabkommen) sowie den Strukturanpassungsprogrammen des IWF (Internationaler Währungsfonds) und der Weltbank als dominante Strategie verankert.
Nach den Anfängen in den 1980er Jahren nahm die Anzahl von Privatisierungen ehemals staatseigener Betriebe und öffentlicher Dienstleistungen in den 1990ern erheblich zu.
Ziel der im Rahmen des GATS laufenden Privatisierungsverhandlungen ist die weltweite Erschließung der Wasserversorgung, der Gesundheits- und Bildungssysteme sowie zahlreicher weiterer Dienstleistungsbereiche.
Es lassen sich keine allgemeingültigen Aussagen über die Folgen von Privatisierungen treffen. Privatisierungsbefürworter verweisen meist auf die möglichen Effizienzsteigerungen durch mehr Wettbewerb, wodurch vor allem die Konsumenten begünstigt würden. Den mittlerweile vorliegenden Erfahrungen nach gehen Privatisierungen jedoch in vielen Fällen mit Preissteigerungen, Arbeitsplatzabbau und teils uferloser Korruption einher. Nicht selten wird ein staatliches Monopol indes durch ein privates Monopol oder Oligopol ersetzt.
Vor allem in „Entwicklungsländern“ kann die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen soziale Ausgrenzung vergrößern und zu gesellschaftlichen Spannungen führen, da sich der ärmste Teil der Bevölkerung oft nicht die Zahlung von Marktpreisen leisten kann. Als in Bolivien im Rahmen eines Weltbank-Programms die Wasserversorgung teilprivatisiert wurde, erhöhten sich die Preise binnen kürzester Zeit derart, dass die BolivianerInnen mit Massenstreiks reagierten, und die Regierung den Deal mit dem US-Konzern Bechtel rückgängig machen musste.
Mittlerweile beschränken sich Privatisierungen nicht mehr nur auf wirtschaftliche Sektoren wie industrielle Betriebe und Versorgungseinrichtungen, sondern betreffen die Gesamtheit des Soziallebens und der Natur, also Bereiche, in denen sich die Frage des formellen Eigentums bisher gar nicht gestellt hat.

Patentlösungen
Um den Zustand der „Nicht-Ausschließbarkeit“ bestimmter Güter zu unterwandern und diesen private Eigentumsrechte zuteilen zu können, dienen technische Möglichkeiten und regulative Maßnahmen wie das ebenfalls 1995 abgeschlossene TRIPS-Abkommen (Handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum), das die weltweite Durchsetzung von Patentansprüchen fast jeglicher Art regelt. „Dank“ dieses Erfindungsreichtums ist es möglich, Eigentums- beziehungsweise Patentrechte an natürlichen Ressourcen wie Wasser, Wäldern und lebenden Organismen zu erwerben. Dies führt dazu, dass genetische Ressourcen und traditionelles Wissen südlicher Länder zur Vermarktung freigegeben und von Unternehmen als deren privates „intellektuelles Eigentum“ vereinnahmt werden.

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