Musik | Nummer 439 - Januar 2011

„Aber sie haben uns nicht brechen können“

Interview mit dem uruguayischen Liedermacher Daniel Viglietti Über Träume von früher und realitäten von heute

Daniel Viglietti sang im letzten Herbst zum ersten Mal nach über 20 Jahren zu Ehren der chilenischen Sängerin Violeta Parra in Berlin. Zwischen seinen Liedern sprach er über die Aufarbeitung der Verbrechen der Militärdiktatur und erinnerte an ermordete AktivistInnen. Er zeigte seine Solidarität mit jüngeren Bewegungen und Kämpfen in Lateinamerika wie zum Beispiel den ZapatistInnen in Mexiko.

Interview: Luís Drews, Françoise Greve und Antje Vieth

Es ist lange her, dass Sie hier gesungen haben. Wie ist es für Sie, wieder hier zu sein?
Nach vielen Jahren bin ich wieder in Deutschland. Ich kam oft hierher und hatte enge Kontakte zu Solidaritätsbewegungen mit Lateinamerika. Diese kämpften damals gegen die Militärdiktaturen in Uruguay, Argentinien und Chile. In Deutschland war die Unterstützung groß. Deshalb freue ich mich sehr wieder hier zu sein. Auf diesem langen Weg haben wir viele Verluste erlebt, aber sie haben uns nicht brechen können. Ich freue mich über die vielen Wiedersehen auf der Tournee von Freiburg über Köln nach Berlin. Hoffentlich wird diese Reise der Neubeginn für künftige Besuche in Deutschland sein.

Sie haben 1983 nach dem Sieg der Sandinisten in Nicaragua auf dem Friedenskonzert in Managua gesungen. Vor Ihrem Lied „A desalambrar“ sagten Sie damals, „wenn Nicaragua gesiegt hat, so wird auch Uruguay siegen“. Wie sehen Sie die Situation heute in beiden Ländern?
Das sind komplizierte Prozesse, weil sich Wünsche nicht in Realitäten verwandeln lassen. Wir kämpften plötzlich nicht mehr gegen die Diktaturen und rechten Regierungen. Die Linke hörte auf Opposition zu sein und übernahm die Regierungsmacht. Und damit begannen die Widersprüche. Ich habe eine schöne Erinnerung an die erste sandinistische Regierung in Nicaragua, als ich 1983 dort war. Ich sang auf dem berühmten Friedenskonzert. Damals geschah etwas Wunderbares – als würde das Land mit seiner ganz eigenen Geschichte und Besonderheit an die kubanische Revolution erinnern. Es schien tatsächlich eine sandinistische Revolution zu sein. Leider ist es jedoch bei dieser Idee geblieben und wie wir es erträumt hatten, erfüllte es sich nicht.
In Uruguay geschah dies in einem anderen Kontext. Die Veränderung vollzog sich in mehreren Etappen, bis dann schließlich der lang ersehnte Moment eintrat und das Linke Bündnis zur Regierungspartei gewählt wurde. Der Wahlsieg der Frente Amplio wurde in den Straßen Montevideos wie eine Revolution gefeiert. Aber es war keine Revolution. Und man wusste es würde nicht so sein. Ich sage manchmal, dass wir das „R“ der Revolution in unseren Herzen bewahren müssen und mit der Evolution erst einmal weitergehen. Dann können wir ihr eines Tages das „R“ wieder zurückgeben. Das bedeutet viel Arbeit und ich glaube, das werde ich nicht mehr erleben. Aber wir sollten nicht aufhören zu träumen.

Wie haben Sie die Tournee erlebt und was nehmen Sie mit von dieser Reise?
Ich habe auf der Reise viele neue Eindrücke gewonnen. Es ist wunderbar, andere Einflüsse aufnehmen zu können. Alle Begegnungen haben mich irgendwie beeinflusst und neu inspiriert. Zum Beispiel organisierte eine ehemalige politische Gefangene aus Uruguay das Konzert in Brüssel. In Köln hingegen waren es einfach gute Freunde. In Paris gab ich ein Konzert zu Ehren von Mario Benedetti in der Maison de l‘Amérique Latine. Dieses Haus ist sehr solidarisch mit kulturellen Aktivitäten aus Lateinamerika. Dort haben uns auch die Vertreter des uruguayischen Konsulats unterstützt.
Mein nächstes Album werde ich „Lieder für die Menschlichkeit“ nennen. Angesichts von soviel Unmenschlichkeit wie in Irak, Afghanistan und Guantánamo, dieser Folterwerkstatt der USA in Kuba, wo soll man da anfangen? Lieder für die Menschlichkeit schreiben.

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