Costa Rica | Nummer 399/400 - Sept./Okt. 2007

Basisorganisation gegen mediale Übermacht

Interview mit Fernando Francia, Direktor des freien Senders „Radio Dignidad“

Am 7. Oktober wird in Costa Rica weltweit erstmals über ein Freihandelsabkommen abgestimmt. Trotz der medialen Übermacht der BefürworterInnen ist es den GegnerInnen gelungen, eine breite Oppositionsbewegung aufzubauen. Die LN befragten Fernando Francia, Direktor des freien Internetradios „Radio Dignidad“ und aktiver Unterstützer der Kampagne für das „Nein“ zu CAFTA, über Organisationsstrukturen, Perspektiven und Aktionsformen des Widerstandsnetzwerks.

Jonas Rüger

Mit Blick auf das Bündnis, in dem sich die CAFTA-Gegner in Costa Rica organisiert haben: Handelt es sich dabei um ein funktionierendes Netzwerk oder eher um Einzelorganisationen, deren Kooperation sich auf bestimmte Anlässe beschränkt?

Beides. Alle teilnehmenden Organisationen haben ihre eigene Agenda behalten, aber das Wichtigste, was sich in den vier bis fünf Jahren des Widerstandes gegen CAFTA entwickelt hat, ist die Basisarbeit. Im ganzen Land haben sich in ca. 300 „Comités Patrióticos” Menschen außerhalb bestehender Organisationen an ihren Wohnorten, in ihren Gemeinden organisiert. Diese Komitees funktionieren ziemlich unhierarchisch, sehr horizontal. Dort entwickelt sich eine für Costa Rica neuartige politische Kultur der Partizipation, die hoffentlich auch über das Referendum hinaus weiterwirken wird. Viele Mitglieder etablierter Organisationen sind dazu übergegangen, sich mehr über die lokalen Komitees einzubringen. Eugenio Trejos [der Direktor der staatlichen Technischen Universität in Cartago, Anm. d. Red.] und die anderen Mitglieder der aus den Basiskomitees heraus gebildeten „Junta Patriótica” haben sich zwar als nach außen sichtbare Führungspersonen etabliert und übernehmen wichtige Koordinationsaufgaben, aber diese Führerschaft hat sich innerhalb der Bewegung entwickelt. Sie haben nicht diesen Führungsanspruch erhoben, sondern sind von der Bewegung eingesetzt worden.

Du erwähnst Organisationen: Wer sind denn, abgesehen von diesen Basiskomitees, die wichtigsten Mitglieder des Netzwerks?

Die klassischen Organisationen – die Gewerkschaften, die sozialen Organisationen, die Umweltorganisationen, die Feministinnen – spielen schon noch eine wichtige Rolle. Sie aktivieren ihre jeweilige Klientel, erstellen Studien zu den Inhalten und Folgen des Freihandelsvertrages für ihre jeweiligen Gebiete, produzieren Flugblätter, Broschüren und anderes Bildungs- und Informationsmaterial. Aber die hauptsächlichen Führungs- und Koordinationskompetenzen liegen jetzt bei der „Junta Patriótica“.

Was sind die hauptsächlichen Aktionsformen der Bewegung und was die Medien für die interne Kommunikation und Koordination?

Die wichtigste Aktionsform ist die lokale Arbeit der Basiskomitees, die von Haus zu Haus gehen, Nachbarn zu überzeugen versuchen, Informationen verbreiten und Diskussionsforen organisieren. Die Verbreitung von Information ist am wichtigsten, weil in den etablierten Massenmedien die Argumente für die Ablehnung des CAFTA praktisch nicht zur Geltung kommen. Im Fernsehen gab es bisher zum Beispiel nicht einen einzigen Spot für das „Nein“, auf einigen Radiosendern schon, aber auch dort nur wenige. Was die internen Medien angeht, ist das Internet sehr wichtig. Aber mehr für die Leute innerhalb der Bewegung, die Koordination und Kommunikation auf mittlerer Ebene. Viele glauben, dass das Verschicken von Informationen über E-Mail-Verteiler wäre schon der eigentliche Aktivismus, aber draußen erreicht das kaum jemanden. Dafür ist die Arbeit der Basiskomitees viel entscheidender. Viele Leute haben ja gar keinen Zugang zum Internet.
Wie schätzt du den Zustand des costaricanischen Mediensystems ein?
Zusammengefasst: Das, was wir hier haben, ist eine mediale Diktatur, ein Oligopol. Die beiden größten „seriösen“ Tageszeitungen befinden sich im Besitz desselben Konsortiums und genauso wie die Boulevardblätter und das Fernsehen stehen sie völlig auf der Seite der Regierung und der CAFTA-BefürworterInnen. Das zieht sich durch den Nachrichtenteil über die Leitartikel bis hin zu den Kommentaren. Nur einzelne JournalistInnen stellen auch die Argumente des „Nein“ dar. Die sozialen Bewegungen haben auf kein einziges Massenmedium von nationaler Reichweite Zugriff. Im Fernsehen und bei den großen Radiosendern gibt es höchstens ein paar gekaufte Programmplätze. Aber auch da wird kritische Informationsarbeit immer wieder behindert, indem die Preise erhöht, die Programme einfach abgesetzt oder Verträge nicht verlängert werden.

Worin siehst du demgegenüber die Aufgabe von „Radio Dignidad“ als freiem Radio?

Ich denke, unsere Aufgabe ist es vor allem, Informationen zu sammeln und bereitzustellen, die sonst nicht verfügbar sind. „Radio Dignidad“ hat keine eigene terrestrische Frequenz. Wir produzieren deshalb neben unserem Internetprogramm vor allem Beiträge und Programmbausteine für andere Sender. Unser größtes Projekt ist die Berichterstattung in Echtzeit über den Verlauf des Referendum mit 20 KorrespondentInnen im ganzen Land. Die Sendungen stehen dann zweisprachig auf unserer Website für andere nationale und internationale Radios zur Verfügung.

Du hast von einer neuen politischen Kultur gesprochen, die im Entstehen sei. Gruppiert sich das Netzwerk vor allem um die Frage des Freihandelsvertrages oder gibt es eine politische Vision, die auch darüber hinaus Zusammenhalt stiftet?

Das ist kein Teil der aktuellen Agenda, wird aber diskutiert. Die Basisorganisation und die Bewegung für das „Nein“ könnten zum Vorläufer aller möglichen politischen Bewegungen werden – innerhalb und außerhalb des formalen Wahlsystems. Es gibt zum Beispiel Leute, die in Eugenio Trejos schon den nächsten Präsidentschaftskandidaten eines breiten Bündnisses für eine alternative Politik sehen, das die Fehler vermeiden soll, die 2006 noch den knappen Sieg von Oscar Árias [aktueller Präsident und strikter Befürworter des CAFTA, Anm. d. Red.] ermöglicht haben. Wenn das „Nein“ gewinnt, könnte sich der Weg für eine stärker programmatisch ausgerichtete Allianz öffnen. Aber all das ist momentan noch Illusion. Im Gegenteil kann es im Falle eines Sieges des „Ja“ natürlich auch sein, dass viele enttäuscht aufgeben und wir wieder am Anfang stehen. Aber auf jeden Fall gibt es mit dem Referendum einen beispiellosen Präzedenzfall für die direkte Partizipation an Entscheidungsprozessen. Das ist, glaube ich, auch der Punkt, an dem die Bedeutung des Referendums über Costa Rica hinausgeht: nicht so sehr das Thema CAFTA – in den anderen Ländern ist der Vertrag ja schon ratifiziert –, sondern die Botschaft: Es wird per Referendum entschieden.

Was denkst du, wie das Referendum ausgehen wird, und was könnten die entscheidenden Faktoren sein?

Auf der einen Seite ist gerade ein internes Regierungsmemorandum an die Öffentlichkeit gelangt, in dem unter anderem von der Inszenierung einer Angstkampagne gegen die Ablehnung des Freihandelsvertrages die Rede ist. Das wird genau wie der kürzliche Versuch einer Abgeordneten der Regierungspartei, Druck auf die öffentlichen Universitäten auszuüben, für Empörung sorgen und das „Ja“ viele Stimmen kosten. Andererseits haben die Befürworter natürlich alle Ressourcen des Regierungsapparates hinter sich und veranstalten ein richtiges mediales Bombardement. Manche sagen, das „Nein“ läge schon vorne, aber ich gehöre zu den Pessimisten und glaube nicht, dass wir momentan schon in der Mehrheit sind. Wir haben immer noch mit der mangelnden Sichtbarkeit unserer Positionen und dem Desinteresse vieler Leute zu kämpfen. In den großen Massenmedien hören sie ja nichts von unseren Argumenten, und wenn dann irgendwann mal jemand von den Basiskomitees bei ihnen klingelt, haben sie keine Lust sich anzuhören, was die zu sagen haben, oder glauben, dass es für sie nicht wichtig ist. Aber es hat sich gezeigt, dass die Leute, je mehr Informationen sie haben, immer mehr zum „Nein“ tendieren. Was Costa Rica momentan ausmacht, ist die Unvorhersagbarkeit seiner Zukunft.

KASTEN:
CAFTA und das Referendum in Costa Rica
Mit dem Referendum über die Ratifizierung des Zentralamerikanischen Freihandelsabkommens (CAFTA-DR) zwischen Honduras, Guatemala, Costa Rica, Nicaragua, El Salvador, der Dominikanischen Republik und den USA wird in Costa Rica am 7. Oktober die Zukunft eines Freihandelsabkommens erstmals einem Volksentscheid unterworfen. In allen anderen Mitgliedsländern wurde das Abkommen trotz lautstarker Proteste großer Bevölkerungsteile bereits vor einem Jahr von den Parlamenten durchgewunken. Die Befürworter der Ratifizierung führen die üblichen Argumente von Wirtschaftswachstum und Exportchancen ins Feld und schüren die Angst vor einer Isolierung Costa Ricas. Demgegenüber haben ausgerechnet die jüngst veröffentlichten aktuellen US-Handelsstatistiken die Gegner mit neuer Munition versorgt: Mit Ausnahme Nicaraguas hat sich die Handelsbilanz aller zentralamerikanischen Unterzeichner gegenüber den USA seit dem Inkrafttreten des Vertrages verschlechtert. Der Handelsüberschuss der Region fiel von 1,5 Milliarden auf 77 Millionen US-Dollar. Die Exporte sanken um 160 Millionen Dollar. Weitere empfindliche Themen sind die Zukunft kleiner Agro-Produzenten, sowie die Privatisierung der in Costa Rica als Ergebnis langjähriger gesamtgesellschaftlicher Anstrengungen stark emotional besetzten Telekommunikations- und sozialen Sicherungsnetze. Im Telekommunikationsbereich wurde zwar eine Sonderklausel verhandelt, die aber genau die Bereiche Internet, Mobilfunk und Firmennetzwerke ausspart, mit deren Überschüssen bisher die Strom- und Festnetzabdeckung selbst entlegenster Gemeinden finanziert wurden. Der Ausgang der Abstimmung ist bisher völlig offen und während die Folgen von Freihandelsabkommen zur Genüge bekannt sind, lässt sich über die Auswirkungen einer Ablehnung auch in Bezug auf ihre transnationale Signalwirkung nur spekulieren.

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