Amazonien | Nummer 202 - April 1991

Brasilien: Kautschukzapfer:Opfer der Marktwirtschaft

Die Mörder von Chico Mendes sind im letzten Jahr verurteilt worden. Zum ersten Mal in der brasilianischen Geschichte ist ein Mord an einem Gewerkschaftsfuhrer auf dem Land von der Justiz bestraft worden -nicht zuletzt ein Erfolg des Drucks der internationalen Öffentlichkeit. Chico Mendes wurde zu einer Symbolfigur des Kampfes gegen die Waldvernichtung in Amazonien. Aber war auch die Verurteilung seiner Mörder nur eine der symbolischen Gesten, für die Präsident Collor ja ein Faible hat? Die aktuelle Lage der Kautschukzapfer jeden-falls ist verzweifelt -sie sind eines der ersten Opfer der liberalen Wirtschaftspolitik.

Thomas W. Fatheuer

Die Kautschukzapfer können nicht mehr im Urwald überleben, sie verlassen massenhaft die seringais (Zapfgebiete), 100.000 seringueiros (Kautschukzapfer) könnten in den nächsten Wochen die Wälder verlassen und die Peripherie der Städte bevölkern. Dieser Prozeß ist jetzt schon in Rio Branco, der Hauptstadt Acres, wahrnehmbar. Das ist die Essenz der Lagebeschreibung Julio Barbosas, des Präsidenten des Nationalen Rates der Kautschukzapfer. Am 11. März trafen sich im ökumenischen Dokumentationszentrum Sao Paulo (CEDI) der Kautschukzapfer mit Gewerkschaftern und Politikern, um eine Kampagne für die Kautschukzapfer vorzubereiten. Genau ein Jahr nach dem Machtantritt von Collor zeigt der marktwirtschaftliche Rigidismus seine ersten Resultate. Collor hatte mit einem Schlag alle (oder fast alle) Subventionen abgeschafft und damit auch Importbeschränkungen und Stützungen der nationalen Kautschukproduktion.
Der Gummimarkt teilt sich in verschiedene Produkte auf: synthetisches Gummi und Naturkautschuk. Die Gummiindustrie (mit ihrem wichtigen Zweig, der Reifenindustrie) braucht für eine Reihe ihrer Produkte einen Anteil von Naturkautschuk. Fast die gesamte Weltproduktion des Naturkautschuks wird auf den Plantagen Südostasiens(Ma1aysia und Indonesien) gewonnen. Brasilien verfügt sowohl über eine Plantagenproduktion (vorwiegend im Süden des Landes) als auch über den wildwachsenden Kautschuk im Amazonasgebiet, der von den seringueiros gesammelt wird. Cirka 50% der nationalen Produktion von Naturkautschuk wird in den Urwäldern gewonnen, der Rest stammt aus Plantagen. Bisher mußten Firmen zunächst den nationalen Kautschuk zu einem festgelegten Preis kaufen, bevor sie sich auf dem (erheblich preisgünstigerem) Weltmarkt bedienen konnten. Diese Politik der “Marktreseve” und Preisstützung ist nun von der Regierung weitgehend aufgegeben worden. Der Preis ist daraufhin ins Bodenlose gefallen. Laut Tabelle müßten die seringueiros 130 Cruzeiros für ein Kilo Kautschuk bekommen, das ist etwas weniger als eine Mark (Stand: Mitte März 91). Tatsächlich zahlen die Zwischenhändler aber nur 80-100 Cruzeiros. Ein Kautschukzapfer kann maximal 10 Kilo pro Tag produzieren, seine durchschnittliche Jahresproduktion beläuft sich aber auf nur 500 Kilo.

Ökologie ist nicht rentabel

Der Kautschukpreis hat seinen absoluten Tiefstand seit den siebziger Jahren erreicht, die mühevolle Arbeit des Zapfens lohnt sich einfach nicht mehr: sie sichert nicht mehr das Überleben im Urwald. Die Ausführungen Julio Barbosas lassen nur einen Schluß zu: die Produktion natürlichen Kautschuks im Urwald ist ökonomisch nicht konkurrenzfähig -und kann es auch nicht werden. Ein Plantagenarbeiter zapft bis zu 100 kg Kautschuk pro Tag, also 10X mehr als ein seringueiro. Die wenig verblieben Mittel für eine nationale Kautschukpolitik investiert die Regierung nun auch noch in die Plantagenproduktion, die Kautschukzapfer bleiben allein im Wald. Aber sie bleiben eben nicht, der Exodus hat bereits begonnen.
Verlassen die seringueiros die Wälder, dann ist das große Projekt der “reservas extrativistas” bald gestorben. Das sind “Sammelreserven”, die der Kautschukproduktion vorbehalten bleiben. Tatsächlich hatten die Kautschukzapfer erste Erfolge erzielt. Große Gebiete in Acre und Amapá waren von der Regierung zu Sammelreserven deklariert worden. Aber Sammelreserven ohne Sammler sind ein (schlechter) Witz. Was aber tun? Die seringueiros wollen im April eine große Kampagne starten, um die Regierung zu zwingen, eine neue Preisstützungspolitik zu etablieren. Ihre Idee dabei ist, den Kautschukpreis an die Kosten für einen Lebensmittelkorb (“cesta basica”) zu koppeln, also eine Art Existenzminimum für seringueiros zu schaffen. solche Forderungen sind in der Zeit der Wirtschaftskrise schwer zu verwirklichen: Das Bruttosozialprodukt sank in Brasilien im vergangenen Jahr um über 4%, Massenentlassungen sind die Folge, und überall schreit die Industrie nach Subventionen.
Das Argument der Kautschukzapfer ist die Ökologie: Der Marktpreis als Rentabilitätsindikator kann eben den längerfristigen ökologischen Nutzen nicht messen. Sie bauen dabei aber auch auf ein Argument, das die internationale Gummiindustrie zum Bündnispartner machen Soll: Schon jetzt versorgen südostasiatische Gummiplantagen immer wieder mit Setzlingen aus Amazonien. Der genetisch verarmte Plantagenbaum wird immer anfälliger für Krankheiten und muß periodisch aufgefrischt werden. Der Amazonas also als Naturreserve für die Multis?
Große Hoffnungen setzen die seringueiros auf die internationale Öffentlichkeit. Welchen Sinn macht der ganze Einsatz für Chico Mendes, für die Verurteilung seiner Mörder, wenn sein großes Projekt auf kaltem Weg liquidiert wird. Die Marktwirtschaft, das erfahren die Kautschukzapfer, ist oft tödlicher und zielsicherer als die Kugeln der Großgrundbesitzer. Und noch etwas wissen die Kautschukzapfer: Soo konsequent ist der Wirtschaftsliberalismus Collorscher Prägung nun auch nicht: Zwei mächtige Lobbies bekommen wieder ihre Subventionen: die Aluminium- und Alkohol-(für Autos) Industrie, energieintensive und umweltverschmutzende Produktionen, die ohne Subventionen nicht überleben können.

Kasten:

Gewalt ohne Ende

Auch nach dem Mord an Chico Mendes hören die Gewalttaten gegen Gewerkschaftsführer auf dem Land nicht auf. Die Fälle sind nur weniger spektakulär und erregen weniger Aufmerksamkeit. In das öffentliche Schweigen platzte im Februar die Nachricht über die Ermordung von Expedito Ribeiro, dem Präsidenten der Landarbeitergewerkschaft von Rio Maria im Süden Parás. Expedito hatte bereits Morddrohungen erhalten, er war eine populäre Figur und die internationale Presse hatte über seine Situation berichtet. Er ist das letzte Opfer einer Serie von Attentaten in dieser Gemeinde, die nun auch ins Blickfeld der brasilianischen Öffentlichkeit gerät.
Nach Erhebungen der CPT (Landpastoral) sind 1989 und 1990 allein in Bahia und Pará 59 Landarbeiter/innen ermordet worden. Eine parlamentarische Untersuchungskommission hat ermittelt, daß in den achtziger Jahren 130 Landarbeiter/innen in Bahia ermordet wurden. In keinem Fall wurde ein Täter bestraft! Im Falle Expeditos ist nun ein Fazendeiro als vermuteter Auftraggeber verhaftet worden.

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