Kolumbien | Nummer 464 - Februar 2013

„Jetzt oder nie!“

Interview mit Yezid Arteta über die Chancen der aktuellen Friedensverhandlungen zwischen der FARC und der Regierung

Die aktuell in Havanna stattfindenden Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) lassen in Kolumbien die Hoffung auf ein Ende des seit Jahrzehnten andauernden militärischen Konflikts wieder aufkeimen. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit Yezid Arteta (siehe Fotokasten) über vergangene Friedensverhandlungen, die juristische Aufarbeitung des Konflikts, sowie über die Möglichkeiten, die die Verhandlungen bieten.

Interview: Nicole Jullian

In einem Interview mit einer kolumbianischen Zeitung haben Sie sich zu den aktuellen Friedensbemühungen zwischen der FARC und der kolumbianischen Regierung mit dem Satz „Jetzt oder Nie“ geäußert. Weshalb?
Blicken wir auf die vergangenen Friedensprozesse mit der FARC zurück, so stellen wir fest, dass diese bisher alle gescheitert sind. Was von ihnen in Erinnerung bleibt ist die jeweilige Frustration. In vielen Fällen hatte dabei weder die FARC noch die Regierung einen ernsthaften Willen zum Frieden. Hinzu kamen oft noch viele andere Störfaktoren. Dieses Mal sind die Rahmenbedingungen jedoch bessere; eine Einigung zwischen Regierung und FARC, die es ermöglicht, einen echten Transformationsprozess innerhalb der kolumbianischen Gesellschaft in Gang zu setzen, erscheint tatsächlich als ein mögliches Szenario.

Die Frustration wurde also überwunden?
Das Vertrauen für diesen neuen Versuch des Dialogs zu bekommen war sehr schwierig. Viel Überzeugungsarbeit musste geleistet werden, sowohl innerhalb der medial stark manipulierten kolumbianischen Zivilgesellschaft als auch bei der internationalen Gemeinschaft. Momentan allerdings setzt die kolumbianische Zivilgesellschaft noch einmal ihre Hoffnung auf eine politische Lösung des Konflikts; das gilt ebenso für die Europäische Union, die Obama-Administration und die lateinamerikanischen Staaten.
Noch einmal ein solch umfassendes Vertrauen zu bekommen, falls die aktuelle Chance auf einen erfolgreichen Friedensprozess verspielt wird, erscheint undenkbar. Deshalb habe ich gesagt: Jetzt oder nie!

Der Friedensprozess von 1984 wurde von dem darauffolgenden Massaker an Mitgliedern der Partei Patriotische Union (UP) überschattet, in der viele FARC-Angehörige die Möglichkeit gesehen hatten, ihre Ziele auf legalem Wege umzusetzen. Versuche den Konflikt politisch zu lösen sind in Kolumbien daher mit düsteren Erinnerungen verknüpft. Weshalb ist die Zeit jetzt dennoch reif für einen neuen Versuch?
Vieles hat sich geändert. Heute wäre so etwas wie ein Massaker an den Mitgliedern einer politischen Partei undenkbar. Die internationale Staatengemeinschaft übt heute viel mehr Druck auf die kolumbianische Regierung aus, die politische Bühne in Lateinamerika hat sich grundlegend verändert und weltweit haben NGOs, Kollektive, Forschungszentren und sonstige Organisationen, die im Bereich der Menschenrechte tätig sind, eine enorme Arbeit geleistet.

Was für Folgen hat das in Kolumbien?
Die kolumbianische Regierung sah sich dadurch unter anderem gezwungen, Verbrechen zunehmend aufzuklären und der Arbeit der Justiz wirksamen Schutz zu gewähren. Die Verurteilung eines hohen Offiziers oder eines wichtigen Politikers wäre in den 1980er und den 1990er Jahren noch völlig undenkbar gewesen. Eigentlich wurden derartige Prozesse erst in den letzten sieben Jahren wirklich führbar.

Gab es auch Prozesse gegen hochrangige Mitverantwortliche der paramilitärischen Gewalt in Kolumbien?
Die gab es. Eine ganze Reihe von Politikern, die eine klare Verbindung mit paramilitärischen Gruppen hatten, sind verurteilt worden. Dies hat eine wichtige Abschreckungswirkung; die einstige Straflosigkeit ist heute nicht mehr garantiert. Zwar werden in Kolumbien nach wie vor immer wieder Gewerkschaftsmitglieder und Menschenrechtsverteidiger ermordet und linke Organisationen sind nach wie vor gezwungen, besondere Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, aber die völlig zügellose Gewalt der 1980er Jahre existiert nicht mehr.
Vor diesem Hintergrund bin ich der Ansicht, dass für eine Gruppe wie die FARC heute die notwendigen Garantien gegeben sind, um ihren militärischen Weg zu verlassen und einen politischen einzuschlagen. Ob dies tatsächlich geschieht, hängt meiner Ansicht nach sehr vom Druck ab, den die internationale Gemeinschaft auf den aktuellen Friedensprozess ausübt. Ich bin da allerdings guter Dinge.

Es ist momentan oft die Rede davon, dass die FARC eventuell geschwächt sei und nur deshalb mit der Regierung in erneute Friedensverhandlungen getreten wäre.
Ich teile diese Meinung nicht. Zwar hat die FARC in den letzten Jahren tatsächlich schwere Niederlagen erlitten, dennoch verfügt sie weiterhin über eine starke militärische und logistische Kapazität. Sie stellt nach wie vor eine ernstzunehmende militärische Gegnerin dar. In bestimmten Gebieten des Landes spielt die FARC weiterhin eine zentrale militärische, politische und organisatorische Rolle. Lediglich in Gebieten, in denen ihre Präsenz nicht konsolidiert war, ist sie von den staatlichen oder paramilitärischen Kräften vertrieben worden. Derzeit fokussiert sich die FARC absichtlich darauf, sich in strategischen Gebieten des Landes zu etablieren, in Grenzgebieten, in ressourcenreichen Zonen, im Amazonasgebiet und an der pazifischen Küste.

Wie könnte ein Friedensschluss zwischen Regierung und der FARC aussehen? Ist eine Abgabe der Waffen durch die FARC dabei ein realistisches Szenario ?
In Kolumbien stellen sich viele die Frage, ob es irgendwann möglich wird, die FARC bei einer ernsthaften Waffenabgabezeremonie zu sehen. Ich denke, verschiedene Varianten sind denkbar. Eine Waffenabgabe inklusive einer entsprechenden Zeremonie und einer Zeugenkommission sollte keine Grundvoraussetzung für den Erfolg der Friedensverhandlungen sein. Schauen wir uns den Nordirlandkonflikt an: Dort gab es keine offizielle Waffenabgabe, es gibt kein einziges Foto davon. Ein endgültiger Waffenstillstand wurde tatsächlich ausgerufen und die Waffen sind irgendwann auch abgegeben worden, wenn auch ohne Zeremonie.
Bei dem jetzigen kolumbianischen Friedensprozess liegt die Schwierigkeit jedoch weniger in dem Akt der Waffenabgabe an sich. Viel zentraler ist es zu erreichen, dass die FARC in Zukunft grundsätzlich auf den Einsatz von Waffengewalt verzichtet.

Was könnte hierfür den Ausschlag geben?
Sollte die FARC tatsächlich davon überzeugt werden können, noch einmal den politischen Weg zu beschreiten, dann werden die Waffen unverzüglich keine Rolle mehr spielen. Aber die FARC verfügt in manchen Regionen des Landes immer noch über das Gewaltmonopol. Lokale Gemeinden begrüßen ihre Präsenz als einen Ersatz des staatlichen Apparats. Ihre Präsenz gibt ihnen Sicherheit, etwas, wonach sie sich enorm sehnen. Diese Situation darf nicht von heute auf morgen aufgehoben werden. Man muss dabei bedenken, dass in vielen dieser Regionen des Landes der Staat nie existiert hat oder irgendwann aufhörte, zu existieren.

Ist es möglich die demobilisierten FARC-Mitglieder politisch zu rehabilitieren und in die Gesellschaft zu integrieren?
Wieso sollten die 8.000 oder 10.000 FARC-Mitglieder nach einem Demobilisierungsprozess von der politischen Landkarte verschwinden? Sie könnten durchaus ihre politische und soziale Arbeit fortsetzen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass diese Kämpfer sich nach einer Demobilisierung verloren fühlen. Die FARC besteht zu 80 Prozent aus Bauern, die genau aus den Regionen stammen, von denen wir gerade sprechen. Sie in den urbanen Raum zu drängen, wäre ein großer Fehler. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich dann infolge einer sich einstellenden Armut und Perspektivlosigkeit kriminellen Organisationen anschließen oder selbst illegale Strukturen bilden, ist viel zu groß.

YEZID ARTETA
war 13 Jahre lang führendes Mitglied der FARC, erst als Anführer der Front 29 im Südlichen Cauca und später als Ideologe des Südblocks. In einer militärischen Operation im Jahr 1996 wurde er verletzt, festgenommen und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Seit seiner Haftentlassung lebt er in Barcelona, hat von der Guerillaorganisation Abstand genommen und arbeitet als Gastwissenschaftler am Institut für Friedenskultur der Autonomen Universität Barcelonas, wo er sich mit der Lösung von Konflikten beschäftigt.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren