Amazonien | Nummer 414 - Dezember 2008

„Wir studieren die Biodiversität nicht, wir sind ein Teil von ihr”

Ein Interview mit dem Schamanen und Gewerkschafter Christian Domínguez aus dem bolivianischen Departamento Pando

Cristian Domínguez ist Koordinator des Gewerkschaftsverbandes der LandarbeiterInnen Boliviens FSUTCB der bolivianischen Amazonasregion Pando, dort wo im September ein Massaker an Indigenen verübt worden war. In diesem Jahr nahm er am World Conservation Congress der International Union for Conservation of Nature (IUCN) in Barcelona teil. Er sprach mit den Lateinamerika Nachrichten über seine Visionen von Biodiversität, Entwicklung und postkolonialen Demokratiemodellen.

Alicia Allgäuer, Isabella Radhuber

Sie haben im Oktober am Weltkongress über Biodiversität in Barcelona teilgenommen. Was war Ihre Intention bei der Teilnahme und welche Eindrücke hat der Kongress hinterlassen?
Ich glaube diese Art der Versammlungen ist wichtig für den interkulturellen Austausch. Ich sehe aber auch Negatives, etwa an der Instrumentalisierung dieser Events für die Interessen einiger weniger. Einige Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Regierungen nehmen es sich heraus, Kategorien zu definieren und diese Kenner der Biodiversität glauben, sie seien die Wissens-Gurus. Ich bin als echter Indigener aufgewachsen, ich bin chamán, und ich diskutiere mit jedem von ihnen. Sie können noch so viel studieren, aber die, die sie am Ende durch ihre Untersuchungen führen, sind die Indigenen von hier. Ich weiß nicht, für wie viele australische Universitätsangestellte ich schon Führer war. Und dabei habe ich gelernt, dass beides gut ist, auch die Wissenschaft ist gut, wenn sie die Kultur, das überlieferte Wissen respektiert.

Welche Probleme sehen Sie im Spannungsfeld zwischen Konservierung Amazoniens, indigenen Rechten und ressourcenausbeuterischer Nutzung dieser Territorien?
Diese Territorien, welche nun zu geschützten Gebieten erklärt wurden, sind unser Erbe, dort befinden sich Friedhöfe, Flüsse sowie Heiligtümer, und das gehört uns. Wir sagen nicht, dass der Staat keine Rechte hat, aber wir sind es, die in letzter Instanz darüber zu entscheiden haben. Es geht darum, dass die Staaten uns diese Territorien zurückgeben und wir sie in geteilter Verantwortung zwischen Indigenen und Regierung verwalten. Denn es geht um unsere heiligen Orte und wir werden darauf achten, dass die Wissenschaftler das respektieren und beispielsweise keine Gräber respektlos öffnen.
Ökologie und Umwelt sind unser Haus. In unserer Kultur haben wir Naturgeister, weil die Religion Amazoniens eine pantheistische ist. Wir sind also Teil dieser Biodiversität. Ein Baum hat den gleichen Wert wie ich, weil er auch lebt, der Jaguar ebenso, ich bin ihm nicht überlegen und er mir nicht, weil wir gemäß den Energien und Kräften der Natur zusammenleben. Der Pilz, das Insekt, Mikroorganismen, alle verdienen denselben Respekt. Wenn dies alle so sehen würden, wäre die Welt nicht wie sie ist. Denn jedes Lebewesen erfüllt eine spezielle Funktion. Wir studieren die Biodiversität nicht, wir sind ein Teil von ihr.

Um auf ein aktuelles Ereignis einzugehen: Welche Interessen sehen Sie hinter dem Massaker in Pando im September?
Ich antworte Ihnen auf der internationalen Ebene. Erstens, wenn Sie im Internet recherchieren, so werden Sie lesen, dass Chile der größte Exporteur der Spanischen Zeder ist. Nicht ein Baum dieser Art steht auf chilenischen Territorium. Wir fanden in einer Studie von 2004 heraus, dass das Holz und die Nüsse in Bolivien einem Wert von 105 Millionen US-Dollar entsprechen. Das Holz und die Nüsse werden nur von chilenischem Kapital verwertet. Zweitens leben in Amazonien viele Politiker vom Drogenhandel, und das ist ein weiteres internationales Kapital. Diese Interessen sind von einem jahrelangen Kampf der Bevölkerung begleitet, der bislang stillschweigend vor sich ging. Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas wie das Massaker in Pando passiert, nur wurde es diesmal international publik. Im letzten Jahr gab es auch schon sechs tote Genossen. Ich habe bereits 38 Jahre des Kampfes für Amazonien hinter mir – nicht für die Gewerkschaft, sondern um diesen Regenwald im Amazonas zu verteidigen, welcher der einzige ist, der uns in Bolivien geblieben ist.

Gibt es aktuelle Projekte zum Abbau von natürlichen Ressourcen, gegen die Ihr ankämpft oder andere, die Ihr unterstützt?
Wir sind Schamanen. Wir haben uns vor 15 Jahren versammelt und überlegt, wie wir ein Stück Land für die Entwicklung unseres Lebens als indigenes Volk bekommen können. 1990 haben wir mit anderen sozialen Bewegungen einen großen Demonstrationszug organisiert und unseren Kampf weiter perfektioniert. Wir begannen friedliche Demonstrationen zu organisieren um ein Titulierungssystem unserer Territorien zu erringen. Es war aber sehr schwierig unser Land zu sichern, dass die Regierung anerkennt, dass wir dort wohnen. Wir mussten Studien machen und Techniker mit universitärer Ausbildung kommen lassen. Wir formten eine Strategie, um zu erkämpfen, dass das Gesetz eingehalten würde; wir haben studiert und gesagt, das Einzige, was wir erbitten, ist die Einhaltung des Gesetzes: Und das war die Überprüfung und Verteilung der Landtitel über 6,5 Millionen Hektar in Pando. Dieses Land befand sich ursprünglich in den Händen von 305 Familien, jetzt ist es in den Händen von Tausenden von Familien.

Hinsichtlich des Ressourcenabbaus, wie sehen Sie die Spannung zwischen der damit verbundenen Zerstörung bzw. der Entwicklung, zu der dieser beitragen kann?
Im Rahmen der Kommerzialisierung wird die Umwelt verschmutzt, wobei die verarbeitende Maschinerie, die Kohlendioxid ausstößt, auch Geld schafft. Dieses könnte dazu benutzt werden, das was zerstört wurde, wiederherzustellen, aber in Wirklichkeit reicht es nicht mal um die Effekte abzuschwächen. Die Verschmutzung der Luft, des Wassers und das Aussterben der Arten haben einen Preis. Für mich gibt es keine Gelder, die für das Leben der Arten zahlen, es gibt kein Geld, das ausreicht, um die Luft und das Wasser zu purifizieren.

Wir sprechen von einer Unterorganisation im Rahmen des Gewerkschaftsverbandes der LandarbeiterInnen Boliviens … Sehen Sie, oder können Sie andere Mittel des Kampfes für mehr soziale Gerechtigkeit vorschlagen, die nicht über die politische Macht führen?
Man muss sich in die Politik hineinwerfen und mit ihr schwimmen; ich war beispielsweise bis vor kurzem noch nie im Meer geschwommen und habe gerade erst erfahren, wie sich das Salz des Meeres anfühlt und wie man im Meer schwimmt. Wenn ich das nicht erfahren hätte, dann wüsste ich nicht, wie man sich darin bewegt. Auf eine Weise habe ich mich in diese politische Lagune geworfen. Aber ich mache es nicht, weil es mir gefällt, sondern weil es eine Notwendigkeit ist. Es ist kein Genuss, sondern eine Notwendigkeit und eine Verantwortung. Außerdem kann ich nicht diskutieren, wenn ich das Andere nicht verstehe.
// Interview:
Alicia Allgäuer und Isabella Radhuber

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren