Amazonien | Nummer 419 - Mai 2009

Soja in Santarém

Vom traditionellen Landbau zum Profit von US-Firmen

Brasilien ist der weltgrößte Soja-Exporteur, noch vor den USA und Argentinien. Auch wenn die größten Anbauflächen noch im westlichen Bundesstaat Mato Grosso do Sul liegen, wird immer mehr Soja im Amazonasgebiet angebaut. Dagegen regt sich Widerstand. Doch internationale NRO und lokale Bewegungen verfolgen häufig unterschiedliche Ziele.

Kim Weidenberg, Kirsten Bredenbeck

Auf dem Weltsozialforum in Belém, das im Januar 2009 stattfand, gab es etliche Veranstaltungen zum Sojaanbau in der Region um Santarém, im nördlichen Bundesstaat Pará. Es wurde immer wieder betont, dass es eine Abhängigkeit zwischen den verschiedenen Arten der ökonomischen Ausbeutung gibt: Zuerst wird der Regenwald illegal abgeholzt. Danach dringt auf den abgeholzten Flächen die Viehwirtschaft immer weiter in das Amazonasgebiet vor. Ist ein Gebiet abgegrast, wird eine Zwischenfrucht wie zum Beispiel Reis angebaut, um den Boden mit Phosphat anzureichern, bevor schließlich die Sojaplantagen kommen. So wird die Fläche ökonomisch „optimal“ ausgenutzt – zurück bleiben verseuchtes Wasser und ausgelaugtes Land, der Erosion und Verwüstung freigegeben.
In Santarém begann der Sojaboom mit einem Plan der Regierung 1999, die Schnellstraße BR-163 bis nach Cuiabá im südlichen Mato Grosso auszubauen und zu asphaltieren. Dieses Projekt wurde bereits während der Militärdiktatur geplant, erklärt Brenda Baletti den Lateinamerika Nachrichten. Sie promoviert gerade an der Universität von North Carolina über die Folgen der Sojaproduktion für die Region Santarém. „Erst als die Regierung Fernando Henrique Cardoso im Jahr 1999 das Entwicklungsprogramm ‚Avança Brasil‘ [„Vorwärts Brasilien“ Anm. d. Red.] startete, wurden die Pläne, die Schnellstrasse BR 163 zu befestigen, konkreter“, erzählt sie. Der Straßenbau zog zunächst Holzfäller, dann Viehzüchter, und zuletzt viele Sojabauern an. „Das war der Moment, als der US-amerikanische Agrarkonzern Cargill sich dafür entschied, einen Hafen am Ende der Straße in Santarém zu bauen. 2000/01 haben sie damit angefangen“, fährt Baletti fort. Cargill erhoffte sich aus dem Hafenbau große Gewinne. Als der neue brasilianische Präsident Lula Anfang 2003 sein Amt antrat, zeichnete sich schnell ab, dass er den Ausbau der Straße in sein Regierungsprogramm übernehmen würde – und der Soja-Anbau in der Region weitete sich aus.
Cargill vergab Kredite und Maschinen an SojaproduzentInnen, wodurch noch einmal viele weitere Bauern ihre Landwirtschaft auf Soja umstellten oder sie erweiterten. „Die meisten Soja-Bauern haben keinen Besitztitel für das Land, das sie bebauen. Normalerweise bekommst du ohne Titel keine Kredite von der Bank. Cargill vergab aber Kredite für den Sojaanbau, ohne nach den Besitzverhältnissen zu fragen. Das bedeutet aber auch, dass sie nur Soja und nichts anderes anbauen können – sie sind direkt abhängig von Cargill“, erzählt Baletti.
Nach Angaben der Nationalen Versorgungsgesellschaft CONAB schnellte das Ausmaß der mit Soja bebauten Flächen in Pará nach der Inbetriebnahme des Hafens von 2.000 Hektar (im Jahr 2002) auf 35.000 Hektar (2004) hoch. Das hatte massive Folgen für die Umwelt und auch für die umliegenden Gemeinden, von denen längst nicht alle über die Entwicklung erfreut waren.

Die Fläche wird ökonomisch „optimal“ ausgenutzt – zurück bleiben verseuchtes Wasser und ausgelaugtes Land.

Denn Sojaanbau ist nur auf großen Flächen möglich. „Es lohnt sich einfach nicht für Kleinbauern“, sagt Baletti. Die Kleinbäuerinnen und -bauern, die im Amazonasgebiet wohnen und von dem Land leben, haben in der Regel keine Landtitel und können daher ihr Recht an dem Land nicht nachweisen. Zugleich gibt es eine weit verbreitete Praxis in der Region, Landtitel zu fälschen und an Interessenten weiter zu verkaufen. Die neuen vermeintlichen EigentümerInnen kommen dann und nutzen das Land wirtschaftlich aus – Land, von dem in vielen Fällen bereits Menschen lebten, die oft kurzerhand vertrieben werden und denen damit ihre Existenzgrundlage genommen wird. „Vermutlich sind viele Menschen gezwungen worden, ihr Land zu verkaufen. Viele berichten von Vertreibungen, einige Gemeinden sind ganz verschwunden“, erzählt Baletti. Und auch die Kleinbäuerinnen und -bauern, die geblieben sind, hatten es mit wachsenden Problemen zu tun. „Mit dem Sojaanbau nimmt die Wasserverschmutzung zu, die Pestizide machen die Menschen krank. Es gibt überhaupt keine Angaben darüber, welche Pestizide versprüht werden und wie viel davon benutzt wird“, erklärt Baletti.

Landpastorale: „Das vielbesagte Soja-Moratorium ist nichts weiter als Propaganda.“

Gegen den zunehmenden Landverkauf und die gesundheitlichen Beeinträchtigungen organisierten einige Gemeinden und soziale Bewegungen Widerstand. Seit 2001, als sich die Gewerkschaften und Gemeinden organisierten, wurden diese seitens der Sojabauern und Cargill zunehmend unter Druck gesetzt. „Ich habe jeden Tag Drohungen per Telefon erhalten, jede Woche. Ich habe keine Freiheit mehr, ich kann meinen Bruder nicht mehr abends besuchen, ohne Angst zu haben zu sterben“, berichtete ein junger indigener Vetreter aus Santarém auf dem WSF in Belém. Der Vize-Kazike der Gleba Nova Olinda erlebte bereits zwei Mordanschläge, nachdem er den Behörden die Anwesenheit von Landräubern in dem indigenen Gebiet angezeigt hatte. In der Region der Gleba Nova Olinda gibt es dreizehn Gemeinden, von denen drei indigen sind.
Die wachsende Vernichtung des Regenwaldes in der Region wiederum aktivierte auch Greenpeace und WWF, sich einzumischen. Eine Zeit lang schienen lokale Bewegungen und internationale NRO an einem Strang zu ziehen. Gemeinsam wurde ein Vorschlag für ein Soja-Moratorium erarbeitet, der in neun verschiedenen Punkten unter anderem genmanipulierte Soja ausschloss und auch die der Soja vorangehenden wirtschaftlichen Nutzungen mit einbezog. Doch als die brasilianischen Unternehmenszusammenschlüsse Nationale Vereinigung der Ölindustrie ABIOVE und Nationaler Zusammenschluss der Getreideexporteure ANEC einen stark abgeschwächten Gegenvorschlag in der Presse veröffentlichten, wurden unterschiedliche Zielsetzungen deutlich. Die ausländischen Umweltorganisationen nahmen die Anliegen der lokalen Bevölkerung nicht wirklich ernst [siehe auch das Interview mit Mac Chapin in dieser Ausgabe, Anm. d. Red.].
Die indigenen Bewohner aus der Region um Santarém sind unzufrieden mit den internationalen NRO. „Die NRO behandeln nicht die Frage der sozialen Auswirkungen des Sojaanbaus“, kommentierte Gilson Rego von der Landpastorale in Santarém, „sie schauen nur auf die ökologischen Folgen, die auf internationaler Ebene mehr hermachen“. Die Vorschläge, die die Bewohner erarbeitet haben, wurden von Greenpeace nicht beachtet, „um eine Vertrauensbasis mit den Sojabauern zu schaffen“. Eine Vertrauensbasis mit der lokalen Bevölkerung zu schaffen, lag anscheinend nicht im Interesse der NRO.

Die indigene Beevölkerung aus der Region um Santarém ist unzufrieden mit den internationalen NRO.

Auf Basis des Gegenvorschlags der Unternehmenszusammenschlüsse erreichten die Umweltorganisationen im Jahr 2006 augenscheinlich ihren ersten Erfolg in den Verhandlungen. Sie erwirkten mit den weltweit führenden Agrarfirmen Cargill, Bunge, ADM und A.Maggi ein Moratorium für brasilianisches Soja aus dem Amazonasgebiet. „Das Moratorium ist Ergebnis einer breiten Kampagne von Umweltorganisationen und sozialen Bewegungen in Brasilien und im Ausland“, so Greenpeace-Aktivistin Raquel Carvalho, „dank dieser Kampagne weiß die Welt um die ökologischen und sozialen Auswirkungen des Sojaanbaus in Amazonien“. Dass sich im Laufe dieser breiten Kampagne etliche lokale Organisationen zurückzogen, erwähnt sie nicht. Pater Edilberto von der Front zur Verteidigung Amazoniens, einem Zusamenschluss der lokalen Bevölkerung, war überhaupt der einzige Vertreter einer lokalen Organisation, der bei den Verhandlungen anwesend war. „Padre Edilberto sagte, er fühlte sich nicht respektiert und ihm wurde nicht zugehört. Er hatte den Eindruck, er wurde nur eingeladen, damit der Verhandlungsprozess gut aussieht. Die Sojabauern wollten sich nur ‚grün-waschen‘“, erzählt Baletti.

„Mit dem Sojaanbau nimmt die Wasserverschmutzung zu, die Pestizide machen die Menschen krank.“

Die lokalen Gruppen kritisierten, dass das Moratorium nur für zwei Jahre galt und sich nur auf Soja von neu entwaldeten Flächen bezog. „Das ist zynisch“, kommentierte Padre Edilberto. „Wir wollten ein Moratorium von 10 bis 15 Jahren erwirken“. Denn die Sojabauern konnten sich die Hände reiben: In aller Ruhe konnten sie so ihre gesamte Sojaproduktion verkaufen, und derweil weitere Gebiete roden und für den Sojaanbau vorbereiten.
Ein längerfristiges Moratorium konnte durch ein Übereinkommen verhindert werden, in dem sich die Firmen und die Umweltorganisationen auf eine „Zertifizierung“ für Soja aus dem Amazonas einigten. Die Umsetzung soll TNC (The Nature Conservancy) übernehmen – ein gewagtes Unternehmen, das die Reputation der NRO aufs Spiel setzt. Denn dass eine Zertifizierung in Amazonien, bei ungeklärten Landverhältnissen, bei mangelnden Untersuchungen über die Auswirkungen der Pestizide auf den Boden und auf den Wasserhaushalt sowie die Gesundheit der Menschen überhaupt möglich ist, wird stark angezweifelt.
Zunächst schienen die Zahlen die Strategie der Umweltverbände zu bestätigen: In den Jahren 2006 und 2007 ging die Sojaproduktion in der Region zurück. In diesen Jahren aber waren auch die Sojapreise niedrig. Als die Sojapreise 2008 wieder anzogen, stieg auch die Sojaproduktion wieder an. Bislang konnte sie ihren Stand von vor Beginn der Sojakrise nicht wettmachen; dies allerdings ist eine Frage der Zeit. Insofern war es für die Konzerne auch ein Leichtes, sich im Juni 2008 auf eine Verlängerung des Moratoriums um ein Jahr bis Mitte 2009 einzulassen, ohne den Absatz der Sojabauern zu gefährden. Mit den gestiegenen Rohstoffpreisen aber stieg auch die Entwaldung in Amazonien sprunghaft an – was zeigt, dass das Moratorium sein Ziel nicht erreichen konnte.
„Das vielbesagte Soja-Moratorium ist nichts weiter als Propaganda“, ist denn auch die Stellungnahme der Landpastorale CPT von Santarém. „Es nützte lediglich den Interessen derjenigen, die für Soja stehen und eines Marketing-Instruments für die europäischen Verbraucher bedurften, die damit drohten, die Sojaprodukte in Amazonien zu boykottieren. Zwei Jahre nach Veröffentlichung des Moratoriums halten die sozialen Auswirkungen des Sojaanbaus an.“
Die illegale Abholzung wird in keiner Weise kontrolliert und so wird nun neuer Raum für Sojaplantagen geschaffen. Es fehlt ein ganzheitlicher Ansatz in der Landplanung und im Umweltschutz. Es fehlt auch der Einbezug der BewohnerInnen und der lokalen Bevölkerung mit ihren Wünschen und Lebensplanungen, die in der strategischen Planung einen Platz finden müssen. Vor allem fehlt jedoch der politische Wille der brasilianischen Regierung, das Amazonasgebiet mit seinen BewohnerInnen zu schützen und zu respektieren und die Menschen nicht in Einzelkämpfen gegen internationale Unternehmen aufzureiben und stillschweigend zuzusehen.

Kasten:

Soja und Ernährungssicherung

Im Jahr 2005 überholte Brasilien die USA erstmalig als weltgrößter Exporteur der Hülsenfrucht. Im Süden Brasiliens erfolgte die Sojaexpansion vor allem auf Kosten anderer landwirtschaftlicher Kulturen. Damit ging die Nahrungsmittelproduktion für den internen Markt zurück und die Abhängigkeit der Ernährungssicherung von internationalen Märkten wuchs. Seit einigen Jahren nun weitet sich der Sojaanbau immer stärker auch in den Norden Brasiliens aus, so dass im Jahr 2006 bereits knapp 40 Prozent der in Brasilien angebauten Soja aus Amazonien stammten. Im Norden Brasiliens geht die Sojaproduktion vor allem mit dem Vordringen auf neue Flächen einher und führt daher auch zu Vertreibungen.
Im Jahr 2006 untersuchte die Nichtregierungsorganisation FASE die Auswirkungen der Sojaexpansion in der unmittelbaren Nähe des Exporthafens von Cargill um Santarém. Die Soja-Anbaufläche in der Mikroregion Santarém, die zehn Verwaltungsbezirke umfasst, stieg im Zeitraum von 2002 bis 2004 von 350 auf knapp 17.000 Hektar. Inzwischen sind es dort etwa 40.000 Hektar. Im gleichen Zeitraum gingen im selben Gebiet die Flächen, auf denen das Grundnahrungsmittel Bohnen angebaut wurde, um 7,5 Prozent zurück; die Produktionsmenge sank sogar um gut 14 Prozent – ein Hinweis darauf, dass zugunsten der Sojaproduktion vor allem gute Böden für den Anbau von Grundnahrungsmitteln verloren gingen. Die Sojaproduktion führt also nicht nur zu Entwaldung, sondern verdrängt auch den Anbau von Grundnahrungsmitteln.
Im September 2008 legte die Landpastorale (CPT) von Santarém einen Bericht zu den Auswirkungen des Sojaanbaus in der Region vor. Hierin untersuchte sie Landkonflikte in drei verschiedenen Gebieten im Umkreis von Santarém. Die Familien in den Verwaltungsgebieten von Santarém und Prainha in Westpará werden auch nach dem Soja-Moratorium weiterhin von ihrem Land vertrieben, zum Teil mittels Waffengewalt und Morddrohungen, um den Weg für die Abholzung frei zu machen. In der Gleba Nova Olinda ist eine Kooperative mit 50 Unternehmern aktiv und drängt die ansässige Bevölkerung immer weiter zurück. Als Ergebnis verschwanden neun Gemeinden in den Bezirken Santarém und Belterra bereits komplett, 31 weitere sind in Gefahr. Neue Anwesen versperren den Gemeinden die Zugangswege, Flussläufe sind verseucht, die Pestizide auf den benachbarten Feldern führen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Bewohner. Die Ausdehnung der Flächengewinnung geht auf Kosten der Familienlandwirtschaft.

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