Kuba | Nummer 419 - Mai 2009

Tauwetter in der Karibik

Sind die versöhnlichen Töne zwischen Obama und Castro tatsächlich der Beginn einer neuen Ära?

Kuba konnte unter dem „Linksruck“ lateinamerikanischer Regierungen seine Isolation hinter sich lassen und seine Handelsbeziehungen ausbauen. Nun wächst der Druck auf die US-Regierung, eine neue Kuba-Politik einzuleiten und kritische Stimmen werden selbst unter den US-AmerikanerInnen lauter.

Rainer Schultz

Spätestens seit dem amerikanischen Gipfeltreffen Mitte April stellt sich die Frage: Nähern sich die USA und Kuba einander wieder an? Tatsächlich gibt es Indizien, die darauf hindeuten. US-Präsident Obama versprach einen Wandel in der Kubapolitik und kündigte am 13. April an, die Beschränkungen für Reisen und Auslandsüberweisungen der ExilkubanerInnen aufzuheben. Raúl Castro äußerte mehrmals die Bereitschaft zu einem Gespräch, ohne Vorbedingungen und Tabus. Vor allem haben sich die Rahmenbedingungen verändert: Regierungswechsel fanden sowohl in Havanna (Februar 2008) als auch in Washington (Januar 2009) statt. Die Karibikinsel hat zudem ihre Isolation auf dem Kontinent längst hinter sich gelassen. Im Dezember 2008, als alle bedeutenden amerikanischen Regionalzusammenschlüsse nacheinander in Salvador de Bahia, Brasilien, zusammenkamen, wurde Kuba zum „Star“. Gastgeber Lula sprach von einem „ideologischen Hurrikan“, sogar Mexikos Präsident Calderón begrüßte das „Brudervolk“, die Riogruppe nahm Kuba einstimmig als Mitglied auf und fast alle TeilnehmerInnen forderten ein Ende der Isolation und des Embargos. Diese Forderungen wurden Mitte April beim Amerika-Gipfel in Port of Spain dem US-Präsidenten gegenüber wiederholt. Venezuelas Präsident Chávez sagte zu Obama, als er diesem Galeanos Die offenen Adern Lateinamerikas überreichte: „Dieses Buch ist dafür da, um aus unserer Geschichte zu lernen. Es ist Zeit für einen wirklichen Neuanfang.“ Die USA spüren den stärkeren Gegenwind aus dem Süden. Der „Linksruck“ Lateinamerikas des vergangenen Jahrzehnts hat eine neue Konstellation auf dem amerikanischen Kontinent hervorgebracht, die auch die Position Kubas neu definiert.
Die Regierung in Havanna vermochte es in den vergangenen Jahren, eine Reihe bedeutender Handelsbeziehungen auszubauen und Investitionen nach Kuba zu ziehen. US-amerikanischen Firmen ist dies aufgrund des seit 1962 bestehenden Embargos untersagt. Ein besonderer Dorn im Auge dürften ihnen die in diesem Jahr intensivierten Ölbohrungen vor der Küste Kubas sein. Nach kubanischen Schätzungen liegen dort Reserven von 20 Milliarden Barrel Öl. Wenn dies zutrifft, hätte Kuba Ölvorkommen in einer ähnlichen Größenordnung wie die USA und könnte sich aus der neu entstandenen Abhängigkeit von venezolanischen Subventionen befreien. Seit dem Ausbau der Beziehungen durch das 2004 ins Leben gerufene Bündnis Bolivarianische Alternative für Amerika ALBA ist kubanisches Humankapital (vor allem Ärzte und Lehrer) zur Haupteinnahmequelle der Regierung in Havanna geworden, noch vor dem Tourismus (etwa 6 Milliarden US-Dollar versus 2,3 Milliarden US-Dollar nach Schätzungen des Ökonomen Mesa Lago).

Durch eigene Ölvorkommen könnte Kuba sich aus der Abhängigkeit von venezolanischen Subventionen befreien.

Der Druck auf die Regierung in Washington, eine neue Kuba-Politik einzuläuten wächst unterdessen täglich. Im Februar veröffentlichte Fox-News eine Umfrage, wonach 59 Prozent der Befragten US-AmerikanerInnen für eine Normalisierung der Beziehungen und ein Ende des Embargos seien. Ende März wurde in beiden Parlamentskammern eine Gesetzesinitiative eingebracht, Reisebeschränkungen für alle US-StaatsbürgerInnen aufzuheben und die gesamte Kubapolitik zu erneuern. Ihr Autor, Senator Richard Lugar, sah den Gipfel in Trinidad als Gelegenheit, die verfehlte Embargo-Politik zu korrigieren: „Diese Politik untergräbt unser Ansehen und politischen Interessen weltweit.“ In seiner Rede vor der exilkubanischen Organisation CANF am 20. Mai 2008 hatte der damalige Präsidentschaftskandidat Obama allerdings klargestellt, dass er nicht vorhabe, das Embargo aufzuheben, da es erlaube, Kuba zu „bedeutenden Schritten in Richtung Demokratie“ zu zwingen.

Unter dem ideologischen Überbau der US-Gesetzgebung verbirgt sich eine
andere wirtschaftliche Realität.

Tatsächlich sind im Helms-Burton-Gesetz von 1996 Passagen zu finden, die eine Aufhebung des Embargos an eine im Gesetz definierte Vorstellung von Demokratie binden, dazu gehört unter anderem, dass keiner der Castro-Brüder das Land regieren dürfe. Das von John F. Kennedy am 3. Februar 1962 erlassene Handelsembargo hingegen beruft sich auf den aus dem ersten Weltkrieg stammenden Trading with the Enemy Act, das es den USA verbietet, mit Unternehmen aus Staaten, die zu den politischen Feinden gehören, Handel zu treiben. Unter diesem ideologischen Überbau verbirgt sich allerdings eine andere wirtschaftliche Realität. Die USA sind bereits heute Kubas sechstgrößter Handelspartner, die Nummer eins in Lebensmittelimporten. Der zu erwartende Gewinn durch US-amerikanische TouristInnen wäre ein weiterer Faktor. Reiseunternehmen in Florida bereiten sich bereits jetzt auf die potenzielle Konkurrenz und Geschäftslücke vor. Die lokalen Tourismusbehörden rechnen mit etwa zwei Millionen zusätzlichen UrlauberInnen. Die kubanische Tourismusministerin Pérez versicherte Anfang April jedoch, dass man sich auf alle Eventualitäten vorbereite. Allerdings: „Bisher hat Obama ja noch nicht die Blockade aufgehoben.“ Der kubanische US-Analytiker Casals sieht ein mögliches Problem in der Zunahme von Drogenhandel, Prostitution und Kriminalität. Der demokratische US-Abgeordnete Dorgan ist hingegen überzeugt davon, dass Handel und Reisen die sicherste Art „Demokratie zu fördern“ seien. Der ehemalige kubanische Kultur- und Bildungsminister Armando Hart sieht deshalb Kubas große Herausforderung darin, „einen neuen Weg zu finden in der kulturellen Auseinandersetzung mit unseren Gegnern“.

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