Musik | Nummer 293 - November 1998

„Voto Latino“

Die mexikanische Newcomer-Band „Molotov“ mischt die internationale Musikszene auf

Bei dem Namen „Molotov“, denken wir unweigerlich an den ehemaligen sowjetischen Außenminister oder aber an den auf zahlreichen Demos bekannt gewordenen gleichnamigen “Cocktail”. Seit kurzer Zeit jedoch steht dieser Begriff auch für knallharten Cross-over aus mexikanischen Gefilden, der aus Lateinamerika seinen Weg in die hiesigen Plattenläden gefunden hat. Nachdem die Band in Lateinamerika als Helden gefeiert und in den USA mit dem “MTV Music Award“ ausgezeichnet wurde, soll nun der Rest der Welt erobert werden.

Oliver Haas

Es ist Samstag, die Sonne brennt. Tausende ecuadorianische Jugendliche drängen sich in tropischer Hitze vor den Eingangstoren zu Quitos gra- ziös wirkender Stierkampfarena, um eine der begehrten Eintrittskarten zu bekommen. Anlaß hierfür ist allerdings nicht die Darbietung einer alten spanischen Tradition, sondern ein Gastspiel der mexikanischen Cross-over Formation Molotov. In kürzester Zeit avancierte das Quartett aus Monterey von einem Geheimtip zu absoluten lateinamerikanischen Superstars. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Zensur, welche den Verkauf des Debüt-Albums Donde jugaran las niñas? (Universal/ BMG) nur unter der Ladentheke zu immensen Preisen erlaubte, schlugen die vier Mexikaner ein wie eine Bombe, und das Album wurde in kürzester Zeit mit Platin ausgezeichnet.

Der Latino-Cocktail

Dabei ist die Musik, die sie machen, eigentlich nichts Neues: Brachiale Gitarren, 2 (!) verzerrte Bässe, ein blechernes Schlagzeug und Rap-Gesang. Crossover eben! Wäre da nicht immer wieder der mal stärker, mal schwächer hörbare lateinamerikanische Einfluß. Hier ein wenig Salsa, (Voto Latino) da ein Mariachi-Bläsersatz (Use it or lose it) oder ein paar traurig schluchzende Mandolinen. Auch was den Gesang angeht unterscheiden sich Molotov stark von ihren musikalischen Kollegen der harten Musik. Es gibt keinen expliziten Frontmann. Jedes Mitglied ist gleichwertig an dem aus spanischer aber auch aus englischer Sprache bestehenden Gesang beteiligt. Die derzeitig aktuell auf dem deutschen Markt erschienene Single Gimme tha power ist für diese auch als “Spanglish” bezeichnete Mischung bestes Beispiel.
Doch wer sind die vier eigentlich? Obwohl Molotov als mexikanischer Export gehandelt werden, stimmt dies nur bedingt, da der Schlagzeuger mit dem wohlklingendem Pseudonym el loco Gringo ursprünglich aus Nordamerika stammt. Auf die Frage, ob es einen Grund dafür gebe, antwortet Bassist Tito in einem Interview lapidar: „Er ist ein Freund und spielt gut Schlagzeug. Da ist es doch egal was in seinem Paß steht.“ Nicht so egal ist es dem Latino-Quartett mit der derzeitigen politischen und sozialen Situation in ihrem Land. Molotov verstehen sich zwar nicht als eine politische, wohl aber als eine gesellschaftskritische Band, die das, was ihnen nicht paßt, offen und unmißverständlich kundgibt. So fungieren Molotov wohl auch ungewollt als Sprachrohr für viele frustrierte lateinamerikanische Jugendliche, denen die alltäglichen Probleme und Mißstände in ihren Ländern nicht passen, aber auch das ständige Schielen nach Nordamerika zuwider ist. Voto Latino, ich stimme für mich.

Die Latino-Band der Zukunft?

Auch wenn Molotov nicht der innovative Offenbarungseid sind: Es ist eine Band, auf die man gespannt sein darf. Denn bis jetzt gibt ihnen der Erfolg Recht. Nachdem lateinamerikanische Bands wie die brasilianischen „Sepultura“ oder aber die „Fabulosos Cadillacs“ aus Argentinien erste internationale Erfolge feiern durften, ist nun das explosive Quartett aus Mexiko die große Hoffnung.
Für den 14jährigen Jorge mit verschmiertem Che- Shirt ist nach dem eineinhalbstündigen Konzert in Quito eins aber schon klar: „Molotov, es lo maximo!“

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