“Emancipación e Identidad” tagt
Perspektiven für eine Kampagne zum 500.Jahrestag der Conquista
Unter dem Titel “Herrenvölker-Randvölker” fand am 29./30.September in Frankfurt der zweite sog. “Bundeskongreß” dessen statt, was sich als Kampagne “Emancipación e Identidad” zum 500.Jahrestag der sog. Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus versteht. Initiiert von dem in Mexiko tätigen deutschen Soziologen Heinz Dieterich hat “Emancipación e Identidad” in der Bundesrepublik seit einem Jahr durch Publikationen und Kongresse mit prominenten Gästen von sich reden gemacht. Anspruch von “Emancipación e Identidad” ist die Organisation einer interkontinentalen Kampagne bis 1992. In Frankfurt wurde allerdings auch deutliche Kritik an den InitiatorInnen laut. Die Frage ist: wer macht welche Kampagne, wie, und mit wem?
“Emancipación e Identidad” ist zunächst einmal eine lateinamerikanische Kampagne. Nach der Gründung in Mexiko wurden Kontakte zu Organisationen auf dem ganzen Kontinent geknüpft. Besonders interessant in diesem Zusammenhang: die “Campaña 500 años de resistencia indígena y popular” (Kampagne 500 Jahre indigener und Volkswiderstand). Sie geht von einem breiten Spektrum von Organisationen indigener Völker, Landlosenbewegungen und anderer Volksorganisationen aus (siehe auch das Interview zu ihrem ersten Kongreß im Oktober 1989 in Bogotá in LN 187). Beide Kampagnen haben inzwischen ihre “Verschwisterung” (“hermandad”) beschlossen, die sich, nach Auskunft der lateinamerikanischen Gäste, in der Praxis aber auf gegenseitige Einladungen zu Kongressen beschränkt. Nachdem bereits im November vergangenen Jahres in Hamburg der erste Kongreß von “Emancipación e Identidad” stattgefunden hatte, sollte in Frankfurt ein Schritt hin zur Interkontinentalisierung der Kampagne getan werden. Organisiert war der Kongreß von dem aus der Nicaragua-Solidarität bekannten Verein Monimbó aus Dietzenbach bei Frankfurt. Beste Voraussetzungen also für eine breite Vernetzung der lateinamerikanischen Kampagnen mit der in der BRD entstehenden Kampagne, an der viele Gruppen und fast alle Zeitschriften des Solidaritätsspektrums mitarbeiten?
Zunächst machte das Konzept des Kongresses stutzig. Am ersten Vormittag sollten nach mehreren Grußworten sage und schreibe vier Vorträge ohne Pause die TeilnehmerInnen auf das Thema einstimmen. Heinz Dieterich selbst, der argentinische Ex-Montonero Miguel Bonasso, Tomás Borge und die guatemaltekische Menschenrechtskämpferin Rigoberta Menchú waren die ReferentInnen. Auf den Inhalt der Beiträge über Strategien, Perspektiven, Theorie und Praxis der lateinamerikanischen Linken genauer einzugehen, führt an dieser Stelle zu weit. Nur soviel sei gesagt: deren Qualität stand in keinem Verhältnis zur Prominenz des Podiums, einzig Rigoberta Menchú konnte überzeugen.
Der Lichtblick des Kongresses waren die anwesenden VertreterInnen der lateinamerikanischen Kampagne “500 años de resistencia”. Cristobal Tapuy vom Indigena-Dachverband CONAIE aus Ecuador, der kolumbianische, in Ecuador exilierte Gewerkschaftsführer Angel Tolosa und Rigoberta Menchú konnten deutlich machen, wie die Kampagne aus ihrer konkreten politischen Arbeit ihre Konturen bezieht. Zumindest für die TeilnehmerInnen ihrer AG’s (zwei von insgesamt mehr als 15) war ein Ziel des Kongresses, die Information über Aktivitäten in Lateinamerika, erreicht. Aber der Informationsfluß verlief als Einbahnstraße. Es bestand kaum Gelegenheit, die lateinamerikanischen Gäste über den Diskussionsstand in der BRD zu informieren. Der Austausch von Ideen, Informationen, politischen Standpunkten etc., für den ein solcher Kongreß den Rahmen bieten müßte, fand nicht statt.
Nach der ausgedehnten Vorstellung der Arbeitsgruppenergebnisse war Sonntag nach dem Mittagessen noch der Punkt “Kampagne in der BRD” vorgesehen. Die gelichteten Reihen ließen nicht auf übermäßiges Interesse daran schließen, war doch offenbar ein großer Teil des Auditoriums mehr der prominenten Gäste wegen gekommen. Tatsächlich blieb es merkwürdig nebulös, wer denn an diesem Ort eigentlich was für eine Kampagne initiieren sollte.
In der BRD findet seit über einem Jahr im Rahmen des BUKO (Bundeskongreß der entwicklungspolitischen Aktionsgruppen) ein oft sehr mühsamer Diskussionsprozeß statt, der in eine Kampagne münden soll. Der Stand dieser Diskussion war in Frankfurt kein Thema. Eine Kampagne lebt von den Gruppen und Menschen, die sie tragen und konkret umsetzen. Die Inhalte einer Kampagne in Europa und in der BRD müssen aus den politischen Problemen und Erfahrungen hier entstehen, um z.B. die Auswirkungen des EG-Binnenmarktes auf Lateinamerika zum Thema zu machen. Bisher scheinen die TrägerInnen von “Emancipacion e Identidad” es nicht für nötig zu halten, sich mit den bereits enstandenen Strukturen für eine Kampagne in der BRD auseinanderzusetzen, eine Kampagne, im Zuge derer die Entwicklung konkreter politischer Forderungen hier in der BRD und in Europa im Mittelpunkt stehen müßten. Es scheint symptomatisch, daß die eher peinliche Eigenwerbung des Herrn Dieterich für das von ihm herausgegebene demnächst erscheinende Buch (O-Ton Dieterich: “das wichtigste Buch seit Las Casas”) beim Kongreß mehr Raum einnahm, als die Diskussion um gemeinsame Handlungsmöglichkeiten. Nicht daß man etwas dagegen haben könnte, auf einer intellektuell-wissenschaftlichen Ebene eigene Diskussions- und Aktionsformen zu entwickeln. Publikationen, die Material für Debatten liefern, und die Organisation von gut besetzten Kongressen können eine Kampagne nur weiterbringen. Ohne die Bereitschaft zur Vernetzung solcher Aktivitäten mit dem vorhandenen Spektrum von Aktionsgruppen erscheint allerdings ein Kongreß einer sogenannten Kampagne wie dieser als immer weiteres Aufblasen eines Ballons namens “Emancipación e Identidad” ohne Verankerung in der politischen Wirklichkeit der BRD-Solidaritätsszene. Es ist zu hoffen, daß “Emancipación e Identidad” in den anderen europäischen und lateinamerikanischen Ländern, in denen die “Kampagne” in Erscheinung tritt, bereits vorhandenen Strukturen mehr Aufmerksamkeit geschenkt hat.
Niemanden ist damit gedient, die Aktionen zum 500.Jahrestag der spanischen Conquista durch eine Spaltung in verschiedene Kampagnen bis hin zur direkten Konkurrenz zwischen ihnen zu belasten. Ort und Zeit für die notwendige Vernetzung und gemeinsame Planung sind das nächste BUKO-Seminar zum Thema im Dezember und die für März geplante Aktionskonferenz.