Ecuador | Nummer 298 - April 1999

Proteste gegen die Regierung

Nach neuen einschneidenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen und dem Verfall der einheimischen Währung eskaliert die politische Situation in Ecuador

Wenige Wochen nach den Protesten gegen die katastrophalen Auswirkungen der neoliberalen Politik des peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori wurde nun auch das angrenzende Ecuador von heftigen Ausschreitungen erschüttert. Die derzeitige Krise in Ecuador weist dabei ähnliche Charakteristika auf: Abwertung der Landeswährung, Dollarisierung der Wirtschaft, Protestdemonstrationen, deren gewalttätige Niederschlagung und, nicht zuletzt, eine Regierung, die der Entwicklung mit einer Mischung aus Unfähigkeit und Ignoranz gegenübersteht.

Harald Neuber

“Wir sind hier Zeugen eines wirtschaftlichen Flächenbrandes“, kommentierte ein Mitglied der sozialdemokratischen Partei Ecuadors in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung El País die wirtschaftliche Krise in dem Andenstaat. Ein Statement, das in den letzten Wochen von vielen Seiten zu hören war, und nun hat die tiefe Finanzkrise der lateinamerikanischen Märkte nach Brasilien und Peru Anfang Februar auch Ecuador erfaßt. Die Subventionen der internationalen Finanziers für die betroffenen Staaten des Subkontinentes wirken dabei wie ein Tropfen auf den heißen Stein, haben doch selbst die milliardenschweren IWF- und Weltbankhilfen an Brasilien kaum Abhilfe schaffen können. So auch im Fall Ecuadors.
Erst im Oktober 1998 waren von der Beilegung des langjährigen Grenzkonfliktes zwischen Ecuador und Peru positive Impulse zur Stabilisierung der ecuadorianischen Wirtschaft ausgegangen, zumal die Vereinigten Staaten, internationale Kreditinstitute und die wirtschaftlich führenden Staaten Lateinamerikas massiven Druck auf die beiden Präsidenten Jamil Mahuad und Alberto Fujimori ausgeübt hatten, den Friedensvertrag nun endlich zu unterzeichnen. Schließlich stand dieser Konflikt der Schaffung einer gesamtamerikanischen Freihandelszone „von Feuerland bis Kanada“, so wie sie sich US-Präsident Clinton wünscht, grundlegend entgegen. Mit der jüngsten ecuadorianischen Krise ist dieser Traum für Clinton jedoch wohl noch weiter in die Ferne gerückt.

Kein Centavo für Waffen

Noch Anfang Februar hatte Clinton 40 Millionen Dollar für „gemeinsame grenzüberschreitende Projekte“ in Ecuador und Peru bewilligt. „Die Gelder“, so erklärte der US-Präsident nach einer Unterredung mit Mahuad und Fujimori im Weißen Haus, „sollen zur Ansiedlung von Kleinbetrieben im Grenzgebiet, zur Unterstützung lokaler Gemeinden und einem Friedenspark dienen.“ Zudem seien Gesundheitsprojekte angedacht. Am Rande des Treffens in Washington versprachen Mahuad und Fujimori der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IaDB), die Rüstungsausgaben beidseitig zu reduzieren. „Kein einziger Centavo“, erklärte Mahuad willig, „soll in den nächsten Jahren für Waffen ausgegeben werden.“ Zuletzt griffen Peru und Ecuador 1995 zu den Waffen. Als Gegenleistung für die Unterzeichnung des Friedensabkommens wurde ihnen auch von verschiedenen Geberorganisation Finanzhilfe in Aussicht gestellt. Neben einem rund drei Milliarden Dollar schweren Entwicklungsprogramm für das ehemalige Kriegsgebiet will die US-amerikanische Regierung in den kommenden zehn Jahren weitere 500 Millionen Dollar zur Verfügung stellen. Von der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IaDB) und der Anden-Entwicklungsgesellschaft (ADC) wurden den beiden Staaten ebenfalls Zusagen über jeweils rund 500 Millionen Dollar gemacht, und auch die Weltbank, die Europäische Union und Japan haben ihre Beteiligung angekündigt.
Dieses Ambiente der Zuversicht wurde nur einen Tag danach, am siebten Februar, durch die Nachricht von gewaltsamen Demonstrationen gegen die Wirtschaftspolitik in Ecuador jäh erschüttert. Der Protest gegen Mahuads umfassende Maßnahmen zur Sanierung des Staatshaushaltes hatte seit seinem Amtsantritt im August letzten Jahres stetig zugenommen und gipfelte Ende der ersten Februarwoche schließlich in gewaltsamen Protesten. Die Gewerkschaften drohten für den 20. Februar mit dem Generalstreik, falls der Präsident die Sparmaßnahmen bis dahin nicht zurücknehme, machten ihre Drohung aber erst Ende der ersten Märzwoche war. Vor allem die Einstellung staatlicher Subventionen für die Strom- und Gaspreise, die zu einem kurzzeitigen Preisanstieg von bis zu 400 Prozent geführt hatten, waren Anlaß der Proteste. Der Ölpreisverfall an den internationalen Märkten hatte die Finanzkrise Ecuadors massiv verschärft: Öl ist das wichtigste Exportgut. Außerdem leidet das Land noch immer unter den Milliardenschäden, die das Klimaphänomen El Niño verursachte. Neben diesen Maßnahmen wurden die Gehälter öffentlicher Bediensteter eingefroren und eine zuvor bewilligte Gehaltserhöhung für Lehrer zurückgenommen. Es seien „schmerzliche, aber notwendige Maßnahmen“, rechtfertigte Jamil Mahuad die Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung. Ziel sei, das 1,5 Milliarden Dollar umfassende Haushaltsdefizit zu reduzieren und die Inflationsrate zu senken. Zuletzt erreichte die Inflation 43 Prozent und stand damit in Lateinamerika an der Spitze.

Der Sucre im freien Fall

Ob die Unterstützung der internationalen Finanziers nun „zu spät“ kam, wie ein Sprecher der IaDB äußerte, oder „im Umfang zu gering“ waren, wie es Jamil Mahuad bemängelte, änderte am Resultat nichts. Als die ecuadorianische Zentralbank Mitte Februar den Kurs der Landeswährung freigab, stürzte der Sucre innerhalb weniger Stunden um mehr als ein Zehntel ab. Im Devisenhandel der Hauptstadt Quito rutschte der Sucre von 7380 je Dollar auf einen Wert von 10000 Währungseinheiten je Dollar. Am Abend des Tages wurde ein „relativ stabiler Wert“ von 8200 Sucres für einen Dollar bekanntgegeben. Das entspricht einer de-facto-Abwertung von 11 Prozent. Erst einen Tag zuvor hatte Jamil Mahuad den Rücktritt des Finanzministers Fidel Jaramillo bekanntgegeben, der für die von Mahuad eingeleiteten Wirtschaftsreformen verantwortlich gemacht wurde.

Mord auf offener Straße

Doch nicht nur die wirtschaftliche Misere heizte in diesen Tagen die Stimmung in der Bevölkerung an. Am 17. Februar wurden in der Nähe des Parlamentsgebäudes in Quito zwei der führenden linken Oppositionspolitiker erschossen. Jaime Hurtado und Pablo Tapia von der Demokratischen Volksbewegung (MPD) waren zu Fuß unterwegs, als ein Unbekannter das Feuer auf sie eröffnete und unerkannt entkommen konnte. Noch am Morgen des Tages hatte der 62jährige Hurtado, dreifacher Familienvater und Vorsitzender der MPD, die Sparmaßnahmen der Regierung öffentlich kritisiert. Im Anschluß an die Tat kam es in der Nähe des Parlamentes zu Unruhen, die von der Polizei äußerst brutal mit Schlagstöcken und Tränengas zerschlagen wurden. Innenminister Vladimiro Alvarez beeilte sich, die Morde zu verurteilen und kündigte „umfassende Untersuchungen“ an. Besonders in der Hauptstadt Quito schlug die Stimmung nach dem Mordanschlag gefährlich um, weshalb verschiedene Menschenrechtsorganisationen eine Woche später zu einem „Marsch für das Leben“ gegen den sich abzeichnenden Gewaltausbruch aufriefen. Die Bevölkerung müsse sich bewußt werden, warnte ein Sprecher der lateinamerikanischen Menschenrechtsvereinigung ALDHU, daß das Land Gefahr laufe, eine ähnliche Eskalation wie in Kolumbien oder Peru zu erleben.
Elsie Monje von der Ökumenischen Menschenrechtskommission CEDHU erklärte: „Sollte es sich bewahrheiten, daß Hurtado und seine zwei Begleiter gezielt ermordet wurden, dann wäre das ein Zeichen für eine beunruhigende Zunahme der Gewalt.“ Wie der im November ermordete Gewerkschaftsführer Saul Cenar habe auch der Parlamentsabgeordnete und vormalige Präsidentschaftskandidat Hurtado sich besonders für die Interessen der Bevölkerung eingesetzt. Mitglieder der MPD äußerten offen Beschuldigungen gegen die christdemokratische Regierung Mahuads. Wenige Tage später wurde ein Kolumbianer festgenommen, der einer kolumbianischen paramilitärischen Vereinigung angehören soll und sich an Hurtado habe rächen wollen, weil dieser die Guerilla im Nachbarstaat unterstützt hatte. Beweisen konnte man dies letztlich jedoch nicht.
Noch während sich die Lage auf den ecuadorianischen Straßen zu beruhigen schien, kam die Hiobsbotschaft. Der Sucre erlitt am dritten März erneut einen empfindlichen Kursverlust. Ein Dollar entsprach nun bereits 16000 Sucres – eine Realabwertung von 55 Prozent. Am ersten März hatte der brasilianische Real bereits deutlich an Wert verloren und mehrere lateinamerikanische Währungen mit sich in den Strudel gezogen. Um eine weitere Flucht aus der Währung zu verhindern wurde die Hälfte der nationalen Dollarguthaben für die Dauer von einem Jahr eingefroren und die Banken kurzerhand für zunächst einige Tage geschlossen, was aber mit Hilfe von neu eingeführten „Bankfeiertagen“ noch ausgeweitet wurde, da sich noch immer keine Stabilisierung der monetären Fluktuationen abzeichnete.

Verhängung des Ausnahmezustands

Angesichts der schweren Finanzkrise und der immer noch aufrechterhaltenen Drohung der Gewerkschaften, den Generalstreik auszurufen, reagierte Präsident Mahuad panisch und verhängte eine Woche später, am zehnten März, den Ausnahmezustand. Für 60 Tage wurde die Versammlungsfreiheit per Dekret eingeschränkt. Streikende wurden aufgefordert, zu ihren Arbeitsplätzen zurückzukehren, bei andauernden Arbeitsniederlegungen wurde der Armee das militärische Interventionsrecht gewährt. Innenminister Alvarez erklärte, die Regierung habe auf „illegale Arbeitsniederlegungen“ reagieren müssen, weil diese eine „schwere destabilisierende Wirkung“ gehabt hätten. Das Militär, so fuhr er fort, habe vor allem die Aufgabe, die Ölfördereinrichtungen und Elektrizitätswerke zu sichern. Die Regierung kündigte an, einen „Plan zur Bewältigung der Krise“ vorzustellen. Kritiker warfen dem Präsidenten verständlicherweise fehlende Sensibilität im Umgang mit den Ängsten in der Bevölkerung vor. Bereits Mitte der ersten Märzwoche war es zu Panikreaktionen in der Bevölkerung gekommen, als ein Regierungsvertreter äußerte, daß ein Zwangsumtausch der vorhandenen Dollarguthaben in die Landeswährung möglich sei.

Der Caipirinha-Effekt wirkt bis in die Anden

Nach Einschätzung des Präsidenten der ecuadorianischen Vereinigung der Privatbanken verlor die Regierung im Augenblick der Bankenschließung die Kontrolle über das Land. Wenn sie nicht grundlegende Probleme anpacke, dann steuere Ecuador auf eine Katastrophe zu. Die Gewerkschaften ließen sich nicht beirren. Sie riefen für den neunten und zehnten März den Generalstreik aus. Der Protest richtete sich nach wie vor gegen die Erhöhung des Treibstoffpreises, der durch die Streichung der staatlichen Subventionen für Öl und Gas verursacht wurde.

Opfer auch in Führungskreisen

Während des zweitägigen Generalstreiks kam es vor allem in den Städten zu massiven Zusammenstößen zwischen DemonstrantInnen und Polizei bzw. Armee. Nach Polizeiangaben wurden an den beiden Tagen insgesamt 324 Personen festgenommen. Geschäfte und Schulen blieben geschlossen. Parallel zu den Protesten erklärten vier der fünf Mitglieder des Direktoriums der Zentralbank von Ecuador aus Protest gegen das Sparpaket ihren Rücktritt. Ungeachtet der Konsequenzen verkündete Mahuad unbeeindruckt in einer Fernseh- und Radioansprache, er werde an den Sparmaßnahmen festhalten und weitete diese sogar noch aus. Die Mehrwertsteuer soll von zehn auf fünfzehn Prozent erhöht, die öffentlichen Ausgaben um mindestens 300 Millionen Dollar gekürzt werden. Gegen Steuerhinterzieher seien drastische Maßnahmen geplant.
Nach Beendigung des Generalstreikes stellten wiederum die Erdölarbeiter aus Protest gegen die angekündigte Privatisierung der staatlichen Erdölunternehmen die Beförderung von 325.000 Barrel Rohöl durch die einzige Pipeline des Landes ein. Die Taxifahrer in Quito schlossen sich an und versperrten in der Hauptstadt aus Protest gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise die Straßen. Obwohl die Polizei gegen eine Straßensperre in der Nähe des Regierungspalastes mit Tränengas vorging, konnte sie die Straße nicht räumen. Zum ersten Mal trafen sich Regierungsvertreter mit Sprechern der DemonstrantInnen. Innenminister Alvarez sagte, die Regierung sei gesprächsbereit, lasse sich aber nicht erpressen. Und doch lenkte sie wenige Tage später ein. Am 18. März hob Mahuad nicht nur den Ausnahmezustand, sondern auch die Erhöhung der Treibstoffpreise auf. Amtlichen Angaben zufolge hatte er sich kurz zuvor mit dem Kongreß darauf verständigt, „zur Bewältigung der derzeitigen Finanzkrise“ die Steuereinnahmen um 520 Millionen Dollar zu erhöhen. Mit 59 Für- und 41 Gegenstimmen bei fünf Enthaltungen verabschiedete der Kongreß den Maßnahmenkatalog, der darüber hinaus Zoll- und Mehrwertsteuerbefreiungen aufhebt, eine Steuer auf Luxusautos einführt, den Erdölpreis um zwei Dollar pro Barrel erhöht und zugleich Steuern auf Wechselkursgewinne und Kapitalerträge vorsieht. Zugleich wurden den Lehrern die zuvor gestrichenen Gehaltserhöhungen zugesagt.

Der Präsident appelliert an die Bevölkerung

Für das Paket stimmte neben der Regierungspartei auch ein breites Mitte-Links-Bündnis. Mahuad äußerte sich „sehr zufrieden“ über die Beilegung des Konflikts. Er rechtfertigte sein ursprüngliches Sparprogramm und wies jegliche Schuldzuweisungen von sich. Er sei „gezwungen worden, die Preise für Benzin zu erhöhen, nicht, weil ich den Menschen Probleme verursachen wollte , sondern weil Ecuadors Krise so groß ist, daß wir Einnahmen brauchen, um unseren Schuldendienst zu leisten“. „Hiermit rufe ich das Land auf, zu Frieden und Normalität zurückzukehren“, sagte er in einer erneuten Ansprache an die Bevölkerung. Mit dem neuen Reformpaket wurden die „schwersten Proteste des Landes seit mehreren Jahrzehnten“ zwar vorerst beendet, nicht aber die Krise. Kaum waren die Menschen wieder zur „Normalität“ zurückgekehrt, trat der Handelskammerpräsident Javier Espinoza bereits mit der Forderung an die Öffentlichkeit, man müsse die Privatisierungen nun vorantreiben, um die Wirtschaft zu modernisieren.
Nach letzten Meldungen wird Ecuador von einem neuen Bankenkrach erschüttert. Mit der Banco de Progreso hat am 23. März innerhalb von nur vier Monaten nun das achte Geldinstitut seine Zahlungsunfähigkeit erklärt. Der Konkurs dieses wie auch der anderen sieben Kreditinstitute konnte nur durch eine Übernahme aller Schulden durch einen staatlichen Einlagensicherungsfonds (AGD) abgewendet werden. Der Präsident der Banco de Progreso beschuldigte die Regierung zuvor, die Bank durch den Abzug staatlicher Einlagen „absichtlich in den Ruin getrieben“ zu haben.

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