Literatur | Nummer 194/195 - Juli/August 1990

Ach Matilde

Holde Pinnow

“Yo te he nombrado reina “(Ich habe dich zur Königin ernannt, Pablo Neruda, Los versos del capitán)

Hinter jedem großen Mann steht eine Frau. Das wissen wir ja schon.Trotzdem werde ich wütend,wenn die Frau hinter dem Mann liebevoll und gerührt über das große Kind schreibt, das ihr die ganze Last des Alltags aufbürdet, denn er ist ja “el poeta”, “der Dichter”, Pablo Neruda.
Und wenn er eben (zunächst) anderweitig verheiratet ist und seiner Ehefrau nicht bescheidsagen will, ist es halt normal, monatelang, jahrelang in Warteposition zu verharren, die eigene Existenz, den Beruf aufzugeben, nach Santiago zu ziehen, ein Liebesnest aufzubauen und zu warten, warten, warten. Klassischerweise erfährt die Ehefrau durch einen entlassenen Dienstboten von der Nebenfrau (S. 175) und verzieht sich dann diskret ins Ausland.
Und dann später, als Neruda und Matilde zusammenleben, ist es nur natürlich, daß sie seine Manuskripte tippt, seine Freunde bewirtet, die riesigen Souvenirs, die Pablo liebt (Galionsfiguren, Statuen, einmal 14 Koffer und einen Hund, usw.) durch die Welt schleppt, während er, natürlich, wegen wichtiger Termine vorausjettet – und das sind nur ein paar Beispiele für all das, was sie selbstverständlich und gern für “das große Kind” auf sich nimmt.
Später dann ist sie “die Witwe” und auch das ist für Matilde ein Vollzeitjob, läßt ihr keinen Raum für eine eigenständige Existenz. Sie ist ganz dem Andenken an Pablo geweiht, auch die Diktatur geht relativ weit an ihrem Bewußtsein vorbei.
Ach Matilde, du warst der Anlaß für so wunderschöne Gedichte von Pablo Neruda, aber mußtest du wirklich so ein Frauchen sein, und mußtest du wirklich dieses Buch schreiben? Konntest du von keinen Konflikten berichten, weil Neruda ja tot und ein nationales Denkmal ist? Mußt du (auf S. 153) damit kokettieren, daß Neruda dich “als die politisch dümmste Frau einstufte, die er je kennengelernt hatte”?
Nun ja, vielleicht ist es ja gut, wenn du (ungewollt) den Dichter – zumindest für mich – von seinem Sockel holst und zeigst, was für ein fürchterlicher Macho er gewesen sein muß. Und hinter jedem Macho steht halt (mindestens) eine Frau.
Übrigens steht Matilde offenbar nicht einmal das Recht auf ihren eigenen Tod zu. Volodia Teitelboim, der derzeitige Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chiles hat in seinem Buch Pablo Neruda (1984) alles bestätigt, was die Opferbereitschaft und Hingabe der Matilde betrifft, ihr Dasein als Witwe als nationale Aufgabe dargestellt und Matildes vorbildliche Haltung sehr gelobt. Über ihren Tod (1985) schreibt er: “Ein zwischen Liebenden wirkendes, schwer definierbares Gesetz war hier am Werk. Wie auch Pablo wurde sie rasch vom Krebs verschlungen.” (S. 658f.)
P.S. Übrigens, die Memoiren Nerudas, deren Veröffentlichung Matilde, wie sie beschreibt, nach seinem Tod mit so viel Liebe und Mühe besorgt hat, erwähnen Matilde durchaus auch, und sehr freundlich, in mehreren kleineren Passagen.

Matilde Urrutía, Mein Leben mit Pablo Neruda, deutsch von Ursula Roth, Aufbau Verlag o.O., o.J. (ca 1988).

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