Alte Probleme für den neuen Mann
Carlos Flores führt das zweitärmste Land Lateinamerikas ins neue Jahrtausend
Am 27. Januar tritt Carlos Flores Facussé sein neues Amt als Präsident von Honduras an. Flores, der als Kandidat der Liberalen Partei die Präsidentschaftswahlen am 30. November 1997 für sich entschieden hatte, übernimmt damit das Erbe des vorangegangenen liberalen Präsidenten Carlos Roberto Reina. Zwar gehören beide Politiker derselben Partei an, vertreten jedoch in zwei verschiedenen Flügeln unterschiedliche soziale und wirtschaftliche Gruppen des Landes. Während der Akademiker Reina sein Kabinett aus einem breiten Spektrum von Unternehmern, Finanzleuten und Wissenschaftlern zusammensetzte, wird der aus der Unternehmergruppe stammende Flores seine Minister vermutlich nach den Interessen des Unternehmer- und Finanzsektors rekrutieren. Allerdings waren bis 7 Tage vor der Amtsübernahme die Namen der 13köpfigen MinisterInnenriege noch unbekannt.
Nach Angaben des von Alcides Hernández geleiteten Colegio de Economistas de Honduras fürchten führende Ökonomen, daß die neue Regierung dem seit 1990 auferlegten Strukturanpassungsplan für Honduras strikt entsprechen wird. Bereits die Regierung Reina hat ihr Wahlversprechen „reajuste del ajuste“, die Revision der Anpassung, nicht eingelöst. Das heißt für die honduranische Wirtschaft, Mittel für die Schuldenrückzahlung weiterhin aus der nicht-traditionellen Exportgüterproduktion zu erwirtschaften, für den Staat, seine Ausgaben im Bereich Soziales radikal zusammenzustreichen und für die HonduranerInnen, erhöhte Ausgaben für elementare Dienstleistungen, wie Wasser und Strom, hinzunehmen.
Daß sich das honduranische Volk erneut für einen neoliberalen Präsidenten und damit für die Fortsetzung und Vertiefung der unsozialen Strukturanpassungsprogramme entschieden hat, mag auf den ersten Blick verwundern. Weder unter Präsident Reina noch unter seinem konservativen Vorgänger Leonardo Callejas (1990-1994), der die Programme durchzusetzen begann, löste die Strukturanpassung die dringendsten wirtschaftlichen Probleme des Landes. Im Gegenteil, die Maßnahmen verschärften noch die ohnehin prekäre soziale Lage der armen Bevölkerungsteile. Trotz alledem verzeichnete Reina einige Fortschritte, die die HonduranerInnen honorierten, indem sie ihre Stimme erneut einem liberalen Kandidaten gaben.
Reinas Erbe
So gelang es der Regierung, den Menschenrechten besser zur Geltung zu verhelfen, die Institutionen der Zivilgesellschaft zu stärken und der Kontrolle der Militärs zu entziehen, Korruption und Steuermißbrauch zu verringern und entsprechende Gesetze zu verabschieden. Einige Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen wie Folterungen und Morde, vor allen an linken Oppositionellen, wurden namentlich zur Verantwortung gezogen. Obwohl diese Aspekte der Politik von Präsident Reina bei den HonduranerInnen auf breite Zustimmung stießen, besteht nichtsdestotrotz eine tiefe Unzufriedenheit wegen der schlechten Lebensbedingungen unter großen Teilen der Bevölkerung (vgl. statistische Angaben im Kasten). Mit diesem Erbe wird die neue Regierung zweifellos umzugehen haben.
Ein weiteres Problem, dem sich die Regierung Flores stellen muß, ist das neoliberale Gesetz zur landwirtschaftlichen Modernisierung (LMA). Hauptziel des 1992 unter Callejas verabschiedeten Gesetzes ist, das quantitative Wachstum der Landwirtschaft anzukurbeln. Die Verteilung der zu erwartenden Gewinne bleibt jedoch ungeregelt. Dieses aus dem Strukturanpassungsplan hervorgegangene und auf den kapitalintensiven Exportsektor zugeschnittene Gesetz schließt größtenteils kapitalschwache Kleinbauern, die die Mehrheit der landwirtschaftlichen Produzenten darstellen, von technologischer Hilfe, Saatgut, Krediten und Vermarktung aus. Wegen der Ausgrenzung der Grundnahrungsmittelerzeuger entstanden Engpässe bei der Lebensmittelversorgung auf dem Binnenmarkt. Aufgrund fehlender Maßnahmen zur Sicherung der Nahrungsmittelproduktion fordern die im Organisationsrat für Bauernorganisationen (COCOCH) zusammengeschlossenen Bauern von der neuen Regierung, das neoliberale Agrargesetz in all jenen Artikeln zu überarbeiten, die die Interessen kleiner landwirtschaftlicher Produzenten beeinträchtigen. Eine Forderung, die bereits in der vorangegangenen Regierung auf taube Ohren stieß.
Die größte Herausforderung der neuen Regierung besteht jedoch hauptsächlich darin, den chronischen Konflikt zwischen nationalem Interesse und internationalen Verpflichtungen gegenüber Gläubigern zu regeln. Einerseits wird Flores die von internationalen Finanzinstitutionen wie Weltbank, Interamerikanischer Entwicklungsbank und IWF oktroyierten Strukturanpassungspläne durchsetzen müssen. Andererseits muß sich der neue Präsident jedoch auch dem internen Problem der zurückgebliebenen sozialen Entwicklung stellen. Flores wird vor allem Maßnahmen treffen müssen, um den von Strukturanpassung verursachten sozialen Niedergang aufzuhalten. Die gravierendsten Probleme – Armut, Arbeitslosigkeit, Nahrungsmittelversorgung und Inflation – brauchen Lösungsansätze. Ob dem farblos wirkenden neuen Mann dazu mehr einfällt als seinem Vorgänger, bleibt mit Skepsis abzuwarten.
Übersetzung: Katrin Neubauer
KASTEN:
Stichworte zur sozialen und wirtschaftlichen Lage in Honduras
– 68% der honduranischen Bevölkerung lebt unter der offiziellen Armutsgrenze.
– 40% der ärmsten Haushalte erhalten weniger als 10% des Nationaleinkommens, während 10% der reichsten Haushalte 50% des Nationaleinkommens auf sich vereinigen.
– Das monatliche Pro-Kopf-Einkommen betrug 1980 298 US-Dollar und 1994 nur noch 53 US-Dollar. Die Abwertung der Familieneinkommen ist eine eindeutige Konsequenz der Strukturanpassungspläne.
– Die Wachstumsrate des Bruttoinlandprodukts (BIP) lag 1995 bei 3,6% und 1996 bei 3,0%
– Während die HonduranerInnen 1988 für zwei Lempira noch einen US-Dollar erhielten, waren 1997 bereits 13 Lempira für einen US-Dollar zu bezahlen. 1987 zur Unterzeichnung des Friedensplanes für Zentralamerika, verzeichnete das Land eine Inflationsrate von 2,9%, 1990 stieg sie auf 36,4 % und 1996 betrug sie immer noch 23,8%.
L. M.-Sp.
Kleine Erfolge einer neuen Linkspartei
Die Partei der Demokratischen Vereinigung (UD), die 1997 erstmals an Wahlen teilnahm, erlangte einen Abgeordnetensitz im Nationalkongreß und stellt künftig den Bürgermeister der 20.000 EinwohnerInnen zählenden Departementshauptstadt La Paz. Der Präsidentschaftskandidat der UD, Matías Funes, schätzte dieses Ergebnis als „zutiefst befriedigend“ ein, da sich damit die Partei als neue politische Kraft im Lande konsolidieren wird.
Die UD ist die erste dezidiert linke Partei, die seit dem Ende der Militärdiktatur 1982 in Honduras bei einer Wahl antritt. Eine Mitarbeit in den Wahlgremien wurde ihr allerdings nicht erlaubt – weil sie noch nicht lange genug bestehe. Ihren Mitgliederstamm rekrutierte die UD vorwiegend aus linksoppositionellen Gruppen, die in den 80er Jahren die Einhaltung der Menschenrechte eingeklagt hatten und von deren Verletzung sie selbst betroffen waren.
LN