Berlinale

AM RANDE DES WAHNSINNS

Maquinaria Panamericana zeigt mit viel schwarzem Humor wie eine Belegschaft im kollektivem Chaos versinkt

Von Caroline Kim

„Heute ist der erste Tag des Rests Eures Lebens! Macht was draus! Lasst den Tag nicht verstreichen, ohne glücklich gewesen zu sein!“, so schallt es aus den Lautsprechern der heilen kleinen Fabrikwelt von Maquinaria Panamericana, einem Baumaschinenhersteller in der Peripherie von Mexiko Stadt. Wie jeden Morgen beschallt Chucho, der Buchhalter, alle Abteilungen mit seinen Lebensweisheiten. „Lasst den Tag nicht vergehen, ohne etwas für eure Träume getan zu haben!“, säuselt er ins Mikrofon. Zusammen mit den Weisheiten wandert auch die Kamera durch die Abteilungen und führt uns ein in die Welten der Mechaniker, Lagerarbeiter, Sekretärinnen, Verkäufer. Der Film beginnt sympathisch, karikiert den Arbeitsalltag der Firma auf liebevolle Weise und stellt die gesammelte Belegschaft als eingeschworene Familie dar. Eigentlich klingelt immer das Telefon, aber niemand geht ran. Die schlipstragende Verkaufsetage verbringt ihre Zeit mit Kaffeetrinken und Rauchen, die Sekretärinnen mit dem Lackieren ihrer Fingernägel. Der Anfang des Films ist zugleich sein Höhepunkt, denn als die eigentliche Handlung beginnt – der Chef stirbt und von einem Tag auf den anderen droht der gesammelten Belegschaft die Arbeitslosigkeit – verliert er sich im kompletten Chaos: Der heilen Firmenwelt droht der Kollaps und verzweifelt versuchen alle gemeinsam, den drohenden Untergang abzuwenden. Dadurch entsteht allerdings keine Arbeiter*innenselbstverwaltung, Kooperative oder ähnliches, sondern der Buchhalter Chucho übernimmt das Kommando über die relativ ratlose Belegschaft. Sein paternalistisches Verhalten und das der exklusiv männlichen Verkaufsetage ist anstrengend, die Männer in Anzügen wirken unweigerlich lächerlich. Daneben gibt es viele potentiell spannende Charaktere in diesem Film, die sich aber leider nicht entwickeln. Man lernt sie also nicht wirklich kennen, sodass Möglichkeiten der Identifizierung fehlen. Andere wirken sehr überzogen, als würden sie Theater spielen. Und als die Stunden in der dem Untergang geweihten Fabrik verstreichen, fehlt es an fesselnder Handlung, der Film zieht sich in die Länge und der tragikomische schwarze Humor weicht dem Wahnsinn. Darein mischt sich die Geschichte des Pförtners, unehelicher Sohn des verstorbenen Firmenchefs und einer Mitarbeiterin. Auch seine Geschichte bleibt jedoch an der Oberfläche. Die Sentimentalität, mit der der mittlerweile ausgewachsene Mann in Erinnerung an seinen verstorbenen Vater Fotos und Videos aus seiner Kindheit auf dem Firmengelände anschaut, überträgt sich nicht. Die Einspielung dieser Originalaufnahmen, die vielleicht sogar aus dem privaten Fotoalbum des Regisseurs stammen, wirkt dokumentarisch und irgendwie fehl am Platz. Regisseur Joaquín del Paso kommt selbst aus einer Familie, die in der Baumaschinenbranche zuhause ist, seine Kindheitserinnerung inspirierten ihn zum Drehbuch für Maquinaria Panamericana. Es ist das Erstlingswerk des mexikanischen Regisseurs, der diesen Film einem Arbeitsplatz gewidmet hat, dessen Strukturen in der heutigen Welt nicht mehr zu finden sind. Dass er sich den Baumaschinen, den faszinierenden „mächtigen steinfressenden Bestien“ seiner Kindheit widmet, die für ihn wie lebende Hochhäuser wirkten, um anhand dieser einen satirischen Kommentar über die kollektive Panik zu machen, die in heutigen Zeiten vom Verlust des Arbeitsplatzes ausgeht, ist eine schöne Idee. Leider geht sie im Chaos des Films unter.

Punkten kann Maquinaria Panamericana mit der Ästhetik der Bilder, die vor allem zu Beginn des Films sehr ansprechend ist und viele liebevolle Details einfängt. Die gesättigten Farben wirken, als würde der Film in alten Diapositiven spielen und vermitteln die nostalgische Atmosphäre eines Ortes, an dem die Zeit stehengeblieben ist. Die Kamera, die sich oft außerhalb des Fokus bewegt, irritiert jedoch eher, man weiß nicht, ob es dies ein Stilmittel sein soll oder nicht.

Trotz des stimmungsvollen Anfangs, schwächelt der Handlungsstrang und letztendlich erschließen sich weder Geschichte noch Aussage. Und leider sind die Bilder dann auch nicht stark genug, um ganz darüber hinwegzusehen. Dennoch scheint das Chaos beabsichtigt zu sein, um die Fragilität der wirtschaftlichen und politischen Situation Mexikos auszudrücken. Der mexikanische Filmkritiker Gonzalo de Pedro Amatria beschreibt den Film denn auch treffend als eine „surreale wie hyperrealistische […] Fabel über ein ganzes Land, das nicht entscheiden kann, ob es noch am Rande des Wahnsinns steht oder ihm schon verfallen ist.“


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