ANGST VOR EINEM PAPIERFRIEDEN
INTERVIEW MIT GÜNTHER MAIHOLD ÜBER CHANCEN UND RISIKEN NACH DEM ABSCHLUSS DER FRIEDENSVERHANDLUNGEN IN KOLUMBIEN
Die Regierung hat sich nach knapp vierjährigen Verhandlungen mit den FARC auf ein Friedensabkommen geeinigt. Ein Durchbruch?
Das ist natürlich für Kolumbien ein sehr deutlicher Fortschritt. Insbesondere angesichts der Geschichte von Halbfrieden, abgebrochenem Frieden, unvollständigem Frieden oder wie man die unterschiedlichen Versuche bezeichnen will, die es in der Vergangenheit gab. Jetzt kommt es darauf an, dass dieses Mal wirklich alle Nägel sitzen. Es muss gelingen, eine umfassende Demobilisierung und eine Partizipation bisher ausgeschlossener Bevölkerungsgruppen und politischer Akteure herzustellen, um den Übergang von der Gewalt zum Frieden zu ermöglichen.
Welche Schwierigkeiten können die Umsetzung des Friedensprozesses jetzt noch behindern?
Zunächst ist da das Referendum, das Präsident Juan Manuel Santos angesetzt hat, um den Vertrag zu legitimieren. Anscheinend ist bei der Volksabstimmung aber noch nicht ganz klar, wie das Ergebnis aussehen wird. Aus unserer externen Perspektive würde man denken, dass ein Friedensabkommen im Sinne der Bevölkerung ist. Die Umfragen zeigen allerdings, dass allerhand Zweifel angebracht sind. Es wird wahrscheinlich zu einer Art Wahlkampf zwischen Unterstützern und Gegnern des Friedensvertrages kommen. Dabei ist das Format recht sonderbar: Lauter Ex-Präsidenten werden gegeneinander antreten. Das ist keine günstige Konstellation. Eigentlich müsste es darum gehen, die Bevölkerung an den Frieden heranzuführen, und nicht um den Frieden herum eine neue Ebene der Polarisierung zu schaffen.
Was sind denn die Gründe für die Zweifel?
Dahinter steht die Annahme, dass bei einem positiven Votum etliche Probleme im Bereich der Umsetzung des Friedensabkommens auftauchen. Erstens wird bezweifelt, ob die jeweiligen Kämpfer der FARC wirklich den Anordnungen ihres Oberkommandos folgen werden. Erste Anzeichen für eine Abspaltung einer Front der FARC wurden bereits sichtbar. Zweitens stellt sich die Frage, ob die kolumbianische Gesellschaft wirklich bereit ist, die demobilisierten Kämpfer wiederaufzunehmen und sich mit ihnen zu versöhnen. Drittens muss geprüft werden, ob die finanziellen Ressourcen überhaupt da sind, um die Programme umzusetzen – angefangen mit Reparationsleistungen, der Schaffung von Arbeitsplätzen bis hin zur Infrastrukturentwicklung und Bodenverteilungsmaßnahmen. All diese Faktoren werden Kolumbien überfordern. Insofern stellt sich die Frage, ob diese vielschichtigen Prozesse so aufeinander abgestimmt werden können, dass eine gegenseitige Verstärkung eintritt.
Eines der Probleme ist bekanntlich die fehlende Staatlichkeit in entlegenen Gebieten Kolumbiens. Wie will die Regierung das Problem in so kurzer Zeit lösen?
Das ist eine zentrale Herausforderung. Für die Demobilisierung der FARC-Kämpfer stehen gerade einmal 180 Tage zur Verfügung. Für Bürger, die bisher nur unter dem Einfluss irregulärer Kräfte gelebt haben, muss der Staat möglichst positiv erfahrbar werden. Staatlichkeit darf nicht nur durch Militär und Polizei erkennbar sein, sondern entsprechende soziale Dienstleistungen und Gesundheitsfürsorge müssen an die Bürger herangebracht werden. Und das in teilweise sehr entlegenen Gegenden, wo bisher nicht mal kartographische Grundlagen bestehen, geschweige denn hinreichende Kommunikations- und Infrastruktur, die den Prozess erleichtern würde.
Der vergangene Friedensprozess scheiterte 2002 und führte zu einer neuen Welle der Gewalt. Stehen die Chancen dieses Mal besser?
Dieses Mal wurden vorher zwei wichtige Entscheidungen getroffen, die sowohl für den Abschluss der Friedensverhandlungen als auch für den weiteren Weg des Prozesses wichtig sein können. Zum einen hat man von vornherein darauf gesetzt, dass die internationale Gemeinschaft eine tragende Rolle übernimmt, als Garantiemacht und auch als Vermittler. Nachbarländer und traditionelle Partner Kolumbiens übernehmen dabei tragende Aufgaben. Dieser Weg hat sich zumindest für den Prozess des unmittelbaren Verhandelns als sehr hilfreich erwiesen. Man kann nur hoffen, dass das internationale Engagement auch die erste und zweite Phase des Friedensprozesses in Gestalt der Demobilisierung, Vergangenheitsbewältigung und Versöhnung begleiten wird. Außerdem hat man sich von dem früheren Format verabschiedet, dass am Anfang eines Friedensabkommens eine Amnestie stehen müsse. Im jetzigen Prozess soll eine Amnestie erst am Ende stattfinden – nämlich dann, wenn entsprechende Fortschritte zu verzeichnen sind. Zum zweiten wird es keine Amnestie für schwere Menschenrechtsverletzungen geben. Dem steht auch der Internationale Strafgerichtshof entgegen. Ich glaube durchaus, dass das derzeitige Format sehr viel besser geeignet ist, die Vielgestaltigkeit der vergangenen Erfahrungen zwischen den Akteuren aufzugreifen und letztlich in der Lage ist, zu einem friedlichen Miteinander zu führen.
Was halten Sie von dem Einsatz der UN-Friedenstruppen, der für die Phase der Demobilisierung stattfinden soll?
Das Mandat legt fest, dass Friedenstruppen präsent sein sollen. Das werden aber Truppen sein, die von den Mitgliedsstaaten des CELAC, der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten, zu stellen sind. Es wird sich zeigen, wie erfolgreich sie dabei sind. Die meisten dieser Länder haben bisher nämlich kaum Erfahrung mit solchen Friedenseinsätzen.
Zum einem ist die herausgehobene Verantwortung Lateinamerikas in dem Konflikt ein positives Zeichen. Auf der anderen Seite wird es auch für diese Kräfte selbst ein Lernprozess sein. Die müssen in ihre Aufgaben erst hineinwachsen.
Hat Deutschland den Friedensprozess eigentlich unterstützt?
Ja, dabei muss man zunächst sagen, dass die Bundesregierung nicht als einheitlicher Akteur in Kolumbien auftritt. Kolumbien ist bereits seit Jahren ein Schwerpunktland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, obwohl es von seinen Makrodaten eher als Land mit mittlerem Einkommen einzustufen wäre und damit gar nicht so viel Anspruch auf Entwicklungsgelder hätte. Hinzu kommt die Initiative des Auswärtigen Amtes mit der Benennung von Tom Koenigs (Grüne; Anm. d. Red.) als Sonderbeauftragten für Kolumbien. Koenigs hat sich insbesondere um begleitende Maßnahmen zum Friedensprozess gekümmert, sei es die Initiative des Deutsch-Kolumbianischen Friedensinstitutes, die Beratung des kolumbianischen Ministeriums für den Postkonflikt in Sachen Umwelt und Nachhaltigkeit, oder im Bereich der Bereitstellung von deutschen Erfahrungen im Prozess von Übergangsjustiz und Vergangenheitsbewältigung. Da gibt es einige Initiativen, in die nicht notwendigerweise Millionenbeträge hineinfließen, die aber durchaus dazu angetan sind, einen sichtbaren deutschen Beitrag zu leisten.
Können Sie einschätzen, welche Interessen die deutsche Bundesregierung an einer verstärkten Beteiligung am Friedensprozess verfolgt?
Es gibt schon seit der CDU/FDP-Regierung ein großes Interesse, Kolumbien als aufstrebende Macht in Lateinamerika zu positionieren und anzunehmen. Die Betonung der Brückenfunktion des Landes zwischen Süd-, Mittel- und Nordamerika und ein partnerschaftliches Verhältnis zu den Nachbarstaaten sind dabei im Interesse Deutschlands. Die Rolle Kolumbiens ist auch im karibischen Raum von großer Bedeutung – die Beziehungen zu Kuba haben sich durch die Verhandlungen deutlich gebessert. Außerdem ist Kolumbien ein großer Energieexporteur, sei es nun Öl, Kohle oder Mineralien. Rechnet man diese Faktoren zusammen, wird erkennbar, dass Kolumbien für die Bundesregierung auch aus wirtschaftlicher Perspektive ein interessanter Partner ist.
Kohle- und Bergbaufirmen stehen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen in der Kritik und profitieren mitunter gar vom Krieg im Land. Wie wahrscheinlich ist ein Interessenkonflikt zwischen der Bundesregierung und deutschen Privatunternehmen?
Damit der Frieden eine Chance hat, müssen solche Verhältnisse geklärt werden. Es kann natürlich nicht sein, dass wir auf der einen Seite mit unserem Engagement den Friedensprozess fördern und eine Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen anstreben, und auf der anderen Seite gleichzeitig eine Vertiefung von Menschenrechtsverletzungen durch den privatwirtschaftlichen Bereich vorangetrieben wird. Hier ist die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit aufgerufen, auf die Privatwirtschaft, private Interessen und Anleger einzuwirken und sicherzustellen, dass die offiziellen Anstrengungen nicht konterkariert werden.
Sind Sie zuversichtlich, dass nach dem langen Konflikt Frieden in Kolumbien einkehrt?
Die größte Befürchtung, die ich habe, ist, dass es nur ein Papierfrieden bleibt. Dennoch muss man zuversichtlich sein, um diesen Prozess am Laufen zu halten und voranzubringen. Falls aber die Inhaber von Machtpositionen in Kolumbien glauben, man könne genauso weitermachen wie bisher, bin ich in großem Zweifel, ob sich ein dauerhafter Frieden etablieren kann. Dann droht es eine Friedensinitiative zu werden, die letztlich im Sand verläuft.
Günther Maihold ist stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Der promovierte Soziologe und Politikwissenschaftler war von 1999 bis 2004 Direktor des Iberoamerikanischen Instituts Preußischer Kulturbesitz. Zwischen 2011 und 2015 besetzte er den Wilhelm und Alexander von Humboldt-Lehrstuhl in Mexiko-Stadt. Er forscht zu Demokratisierungsprozessen, Internationalen Organisationen, Dezentralisierung und Organisierter Kriminalität.