Arbeit in Lateinamerika | Nummer 377 - November 2005

Bei VW läuft nichts und nichts und nichts…

Die Belegschaft des ältesten VW-Werkes in Brasilien kämpft für eine höhere Gewinnbeteiligung.

Seit Anfang Oktober streiken die lohnabhängig Beschäftigten bei Volkswagen do Brasil. Sie fordern eine höhere Beteiligung an den Geschäftsergebnissen. Die Geschäftsführung behauptet derweil, trotz Rekordverkäufen, Verlust zu machen

Thilo F. Papacek

Der Streik bei VW geht weiter. Zurzeit gibt es keine Verhandlungsperspektive“, sagt José Lopez Feijóo den Lateinamerika Nachrichten am Telefon. Er ist Präsident der Gewerkschaft der Metallarbeiter des großen ABC. ABC heißt der Industriegürtel um die Metropole São Paulo. Der Name steht für die Vorstädte Santo André, São Bernardo und São Caetano. Etwa 33 Prozent des brasilianischen Bruttoinlandproduktes wird im Bundesstaat São Paulo erwirtschaftet, der größte Teil davon in der Hauptstadt und im ABC. Unzählige Fabriken befinden sich in diesem Ballungsgebiet, produzieren Konsumgüter und Zwischenprodukte. Und auch fast alle Automobilkonzerne, die in Brasilien produzieren, haben dort eine Fabrik – so auch Volkswagen do Brasil. Und dort wird gerade gestreikt. Dabei geht es nicht um die Löhne, denn die wurden bereits festgelegt. „Die Lohnerhöhung haben wir schon flächendeckend für den Staat São Paulo ausgehandelt. Sie gilt für alle Autofabrikanten, egal ob Scania, Mercedes, Ford, Fiat etc. Dieses Jahr haben wir eine inflationsbereinigte Lohnerhöhung von 3,7 Prozent erreicht“, erzählt Feijóo.

Wichtiges Zusatzeinkommen
Mit jedem einzelnen Automobilkonzern muss allerdings der PLR ausgehandelt werden. Diese Gewinn- und Umsatzbeteiligung wird halbjährlich ausgezahlt. Die Verhandlung über die zweite Auszahlung ist deshalb wichtig, denn sie entscheidet über die endgültige Gewinnbeteiligung der lohnabhängig Beschäftigten.
Im letzten Jahr bekamen die ArbeiterInnen von VW zusammen 4.205 Reais (1.550 Euro). Für dieses Jahr fordern sie einen jährlichen PLR von 5.500 Reais (2.000 Euro). Die Geschäftsleitung wollte aber nur 4.450 Reais (1.660 Euro) zahlen. Die Belegschaft blieb unbeugsam und trat am 29. September in den Ausstand. Zeitweise streikten fast 18.000 der 22.300 MitarbeiterInnen von VW do Brasil.
Für die ArbeiterInnen bei VW bedeutet der PLR ein wichtiges Zusatzeinkommen. „Im Durchschnitt verdient ein Fabrikarbeiter bei VW do Brasil umgerechnet etwa 900 Euro brutto im Monat. Das ist deutlich weniger als die Löhne bei VW in Europa, obwohl wir genauso produktiv arbeiten“, erzählt Feijóo.
Da die Gewinnbeteiligung von der Produktion abhängig gemacht wird, kann der PLR von Fabrik zu Fabrik variieren. Deshalb sind die Streiks in der Motorenfabrik in São Carlos und der Montageanlage in Taubaté bereits abgeschlossen. „Bis heute [13.Oktober, Anm. d. Red.] streikten auch die Arbeiter der Motorenfabrik in São Carlos und bis Montag [10. Oktober] die der Montageanlage in Taubaté. In São Carlos hat schließlich die Geschäftsleitung in eine realistische Erhöhung des PLR um 33 Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingewilligt, deshalb wurde der Streik dort auch beendet. Das gleiche gilt für Taubaté“, erklärt Feijóo.

Im Zentrum des Konflikts
In der größten und ältesten Fabrik von VW do Brasil, der Anlage Anchieta in São Bernardo, sieht das anders aus. Hier werden seit 1957 Autos gebaut. Zwar hat der Personalchef von VW, Nilton Júnior, mittlerweile einer Erhöhung des PLR auf 5.000 Reais zugestimmt, doch soll dieser Betrag an eine Produktion von 217.000 Autos gekoppelt werden. „Es ist völlig unrealistisch, dass wir noch 217.000 Autos bauen! Bei einer realistischen Schätzung der Produktion – also höchstens 206.000 Autos – käme nur ein PLR von 4.750 Reais heraus“, meint Feijóo dazu. Deshalb habe sich die Belegschaft von Anchieta entschieden, weiter zu streiken, erklärt Feijóo im Anschluss an eine Betriebsversammlung am 13. Oktober kommt.
Nilton Júnior argumentiert, das VW do Brasil in den letzten Jahren keinen Gewinn gemacht habe. Dem will Feijóo aber nicht so recht glauben: „Ich frage mich, wie Nilton Júnior darauf kommt. Volkswagen ist der Verkaufsmeister unter allen Autoproduzenten Brasiliens. Und das trotz der Krise in Argentinien! Deshalb fordern wir einen höheren PLR.“

Druckmittel Zwischenprodukte
Da Anchieta auch andere Anlagen von VW mit Motoren und Gangschaltungen beliefert, gefährdet der dortige Ausstand auch die Produktion anderswo. „Im Standort Anchieta arbeiten etwa 12.500 Menschen. Dabei sind auch die eingerechnet, die in der Administration und der Projektplanung tätig sind. In Anchieta sitzt praktisch die gesamte Geschäftsführung von VW do Brasil. In den Fabriken selbst arbeiten nur etwa 7.000 Menschen. Dort werden von Gangschaltungen bis Motoren fast alle Autoteile gebaut und auch in der Endmontage zusammengesetzt. Die Anlage beliefert aber auch die anderen Produktionsstätten in Brasilien. „Dort kommt es bereits zu Engpässen in der Produktion, da Teile aus Anchieta wegen des Streiks nicht geliefert werden“, sagt Feijóo. In der Fabrik, in der auch das Modell Fox gebaut wird, ist die Geschäftsführung besonders empfindlich, da diese Autos für den Export nach Europa bestimmt sind.
Und so gibt sich Feijóo siegessicher. Schließlich wurde in den letzten Jahren schon einiges erreicht: „Im Jahr zuvor konnten wir für São Carlos eine Anhebung des PLR um 40 Prozent durchsetzen. Mit den 33 Prozent mehr in diesem Jahr, bedeutet das eine Erhöhung der Gewinnbeteiligung um über 80 Prozent innerhalb von zwei Jahren.“
Früher, in den achtziger Jahren, hatte der jetzige Staatspräsident, Luís Inácio Lula da Silva, den Posten von José Lopez Feijóo inne. Kein Wunder also, dass Feijóo weiter an der Regierung der Arbeiterpartei PT festhält: „Die PT hat selbst inmitten dieser schweren Krise bewiesen, dass sie die brasilianische Partei ist, die demokratische Prinzipien am stärksten berücksichtigt. Sie ist eine der wenigen Parteien der Welt, deren Basis die Parteiführung direkt und geheim wählt. Wenn wir die Regierung nicht unterstützen, nützt das nur den rechten Parteien. Davon haben wir als Gewerkschafter auch nichts. Deshalb unterstützen wir, die Aktivisten dieser Gewerkschaft, die Regierung Lula.“

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