Aktuell | Editorial | Nummer 598 - April 2024

// Bubatz hier, Kriminalisierung da

Unser Editorial zur Teillegalisierung von Cannabis in Deutschland und dem vermeintlichen Kampf gegen die Drogenkriminalität – jetzt online lesen!

Von Die Redaktion

Pünktlich um Mitternacht zündeten sich am 1. April Aktivist*innen am Brandenburger Tor in Berlin und anderen Städten Deutschlands einen Joint an – zum ersten Mal ganz legal. Mit der Teillegalisierung von Cannabis möchte die Bundesregierung auch die organisierte Drogenkriminalität eindämmen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser setzt einiges daran, dieses Versprechen wahrzumachen: Ende Februar reiste sie gemeinsam mit der Vizepräsidentin des Bundeskriminalamts, Martina Link, nach Brasilien, Peru, Ecuador und Kolumbien, um den Drogenhandel „durch eine verstärkte polizeiliche Zusammenarbeit“ dieser Länder mit Deutschland zu bekämpfen. Somit wolle man die Gewaltspirale des Drogenhandels durchbrechen und „verhindern, dass wir solche Eskalationen der Gewalt auch in Deutschland erleben“, so Faeser. Sie sieht die Ursache der Drogenkriminalität vor allem in den Produktionsländern.

Was immer mehr Menschen in Deutschland in den Konsum und in Lateinamerika immer mehr Menschen in die Produktion harter Drogen treibt, blieb auf der Reise weitgehend unbesprochen. Wie ein Blick auf das Beispiel Ecuador zeigt, ist die Eskalation der Gewalt erschreckend, entsteht aber nicht im luftleeren Raum. Der Prekarisierung der Lebensverhältnisse nach der Pandemie hatte Ecuadors ehemaliger Präsident Guillermo Lasso nichts entgegenzusetzen. Die Stadt Guayaquil war dabei besonders hart getroffen: Anstatt gegen Arbeitslosigkeit und Inflation vorzugehen, kürzte Lasso besonders bei den Ärmsten. In dieser Zeit übernahmen die Narcos quasi ungestört die großen Gefängnisse im Land und nutzten die Perspektivlosigkeit junger Menschen in den vom Staat am meisten vernachlässigten Regionen des Landes aus, um sie für ihre Geschäfte zu rekrutieren.

Heute verfolgt Präsident Daniel Noboa eine Politik der harten Hand. Auch Faeser und Co. setzen auf vermehrte polizeiliche Kontrolle in den Produktionsländern. Dabei hat die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik erst den Boden dafür bereitet, dass heute die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen in die informelle Beschäftigung im Drogengeschäft geschwemmt werden. Argentinien unter Präsident Javier Milei könnte dem Beispiel Ecuadors folgen: Auch in der Hafenstadt Rosario – kein Stopp auf Faesers Reise – herrscht aktuell der Ausnahmezustand. Wenn Milei den Abbau staatlicher Sozialhilfen weiter fortsetzt (siehe Interview auf S. 9), dürfte sich auch hier die Gewalt durch Narco-Gangs weiter ausbreiten.

Die Beispiele zeigen: Ein wirklich globaler Ansatz zur Bekämpfung der Gewalt im Kontext des Drogenhandels muss über bilaterale Sicherheitsabkommen hinausgehen. Deutsche Außenpolitik kann nicht weniger Staat in Sozialpolitik und Investitionen fordern und gleichzeitig für den Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparats plädieren, um mit den Konsequenzen eines solchen Sparkurses umzugehen. Langfristig wird mit einer härteren Kriminalisierung das darunterliegende Problem der Prekarität und fehlender Alternativen zum Drogensektor nicht gelöst.

Es ist also nicht damit getan, die Gefängnisse weiter zu füllen. Gerade Ecuador zeigt, dass diese oftmals zu wichtigen Verwaltungszentren der organisierten Kriminalität werden. Stattdessen gilt es, die Probleme bei der Wurzel zu packen und internationale Drogenbekämpfung mit einer Ausweitung von sozialer Infrastruktur in den Produktionsländern zu verbinden. Was zudem unklar bleibt, ist, ob die Cannabislegalisierung in jeglicher Hinsicht Auswirkungen auf den Handel mit härteren, weiterhin kriminalisierten Drogen wie Kokain hat. Dennoch wird schon jetzt deutlich: Die Regierung hat es sich mit ihrer Politik des Bubatz hier, Kriminalisierung da zu leicht gemacht. Stattdessen verstärkt Faesers Reise nach Lateinamerika den für Deutschland bequemen Diskurs der vertauschten Ursachen und Verantwortlichkeit für die mit dem Drogenhandel verbundene Gewalt. Letzten Endes fußt die auch auf dem Konsum in Deutschland und Europa.

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