Film | Nummer 411/412 - Sept./Okt. 2008

Chance vertan

Der Dokumentarfilm Land ohne Menschen für Menschen ohne Land kratzt nur an der Oberfläche der Landlosenproblematik

„Was ihr hier macht, finde ich legitim. Ob es aber legal ist, müssen andere entscheiden.“ Exakter kann man die Probleme der brasilianischen Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra) beim Kampf um ihr Recht auf Land kaum umschreiben. Das Zitat stammt von einem Polizisten, der ein MST-Camp auf einer besetzten Landfläche in der Nähe von Riberão Preto (Bundesstaat São Paulo) untersucht. Diese Besetzung wird von den Schweizer FilmemacherInnen Josef und Lotti Stöckli in dem 45-minütigen Dokumentarfilm Land ohne Menschen für Menschen ohne Land dokumentiert.

Dominik Zimmer

Der Film begleitet den Alltag des MST-Aktivisten Fabio in der Landlosensiedlung Mario Lago und seine Arbeit für die Organisation. Nach einer Vorstellung der sehr unterschiedlichen BewohnerInnen von Mario Lago zeigt der Film die Vorbereitung und Durchführung einer Besetzung. Dort treten exemplarisch die Probleme auf, die jede Landnahme erschweren: Wasser- und Gesundheitsversorgung, Urbarmachung der Böden und die unvermeidlichen Konflikte mit den Landbesitzern. Die Besetzung von Brachflächen ist zwar im Zuge der von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva versprochenen Landreform nicht illegal, führt aber auch noch nicht automatisch zu einem Besitztitel. Bis dieser anerkannt wird, kann es Jahre dauern, und in dieser Zeit darf nur ein Bruchteil des Landes für Ackerbau genutzt werden.
Die Stärken des Films liegen in der Beschäftigung der FilmemacherInnen mit den Problemen der Menschen, die in den Landlosencamps wohnen und die jahrelang zwischen Angst vor Vertreibung und Hoffnung auf Anerkennung des Landtitels leben müssen. Auch die Organisation und Durchführung der Landbesetzung, bei der die MST nachts mit Bussen und Lastwagen voller Gerätschaften anrückt und am nächsten Tag schon fast eine funktionierende Siedlung auf die Beine gestellt hat, lohnt es sich anzusehen. Problematisch ist aber, dass der Film nicht den Mut hat, über eine oberflächliche Analyse der Verhältnisse hinauszugehen. Schuld an der Misere der Landlosen sind meist „die Großgrundbesitzer“, die obskure „Beziehungen zu höheren Kreisen“ haben. Der Regierung Lula, die die Landreform nicht voranbringt, wird so zumindest teilweise Amnestie erteilt. Schade auch, dass weder RegierungsvertreterInnen noch GroßgrundbesitzerInnen zu Wort kommen. Zudem weist die Übersetzung gravierende Lücken und Schwächen auf: So fällt die Kapitalismuskritik eines Campbewohners unter den Tisch, ein Begriff wie „Trabalhador“ (Arbeiter) wird als„Volk“ übersetzt und die MST wird nicht beim Namen genannt, sondern verwaschen „die Landlosenbewegung“ genannt. Diese Übersetzung trügt, denn die MST ist bei Weitem nicht die einzige Landlosenbewegung in Brasilien. Zudem werden Geschichte, Organisation und Ideologie der MST nicht angesprochen. Für das Verständnis ihrer Aktionen ist dies aber eigentlich unerlässlich. So bleibt der Film eine zwar nett anzusehende Dokumentation des MST-Alltags, die es allerdings nicht schafft, zum Nachdenken über die Ursachen der bestehenden Ungerechtigkeiten in der Landverteilung anzuregen, und die Chance vergibt, ein anschauliches Bild von den Grundlagen und Zielen der Organisation MST zu zeigen.

Josef und Lotti Stöckl: Land ohne Menschen für Menschen ohne Land. Kampf der Landlosen in Brasilien. Der Film wird am 1. Oktober 2008 um 20:45 auf 3sat gezeigt.

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