Alternative Medien | Nummer 372 - Juni 2005

Chávez mediale Offensive

Neues Pressegesetz stärkt Basisinitiativen und reguliert Sendeinhalte

In Venezuela befanden sich viele Jahre lang praktisch alle Medien in den Händen der rechten Opposition. Mit der 1999 in Kraft getretenen Verfassung wurde die Entwicklung von alternativen Medien erstmals unterstützt. Seit Ende letzten Jahres ist in Venezuela ein neues Gesetz in Kraft, das versucht, die Medienlandschaft demokratischer und vielfältiger zu gestalten.

Malte Daniljuk

Bis heute hält die paradoxe Situation an, die sich mit dem Wahlsieg Hugo Chávez’ und der Bewegung V. Republik (MVR) vor sieben Jahren einstellte: Die Regierung regiert gegen die mediale Öffentlichkeit – zumindest wie sie sich im privaten Medienangebot widerspiegelt. Mit 34 Fernsehkanälen, 340 Radiosendern und unzähligen Druckerzeugnissen befanden sich die venezolanischen Medien bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich in privater Hand. Auf staatlicher Seite standen dieser Medienmacht 1998 lediglich ein Fernsehsender und zwei Radiosender gegenüber. Außerdem wurden die staatseigenen Medien von den Vorgängerregierungen nur als Sprachrohr genutzt. Dementsprechend gering war ihr Ansehen und ihre Qualität. Der alternative Sektor, zu dem auch die Nachbarschafts- oder Communitymedien gehören, bestand lediglich aus einigen linken Periodika und Piratensendern mit geringer Reichweite. Deren BetreiberInnen wurden verfolgt, misshandelt und teilweise ermordet.
Seit dem Regierungswechsel 1998 fahren praktisch alle privaten Medien einen scharfen Oppositionskurs gegen Chávez und die MVR. Mit der klaren Absicht, die Bevölkerung im Sinne der Opposition zu beeinflussen, wurden umfassend Informationen verdreht, weggelassen oder übertrieben. Lügen, Panikmache und ordinärste Beschimpfungen waren an der Tagesordnung. Das steigerte sich kontinuierlich bis die privaten Medien im April 2002 zum zentralen Instrument des Putschversuches gegen die Regierung wurden. In der schon aufgeheizten Stimmung wurden Nachrichtenbilder gezielt so inszeniert, dass der Eindruck entstand, die Regierung lasse auf oppositionelle DemonstrantInnen schießen. Gleichzeitig wurden die staatlichen Medien abgeschaltet, so dass im weiteren Verlauf nur noch die Oppositionsversion auf Sendung war. Auch beim Generalstreik, den wenige Monate später der Unternehmerverband inszenierte, waren die privaten Medien wichtige Stichwortgeber für die Umsetzung von Streik und Sabotage.
Vor diesem Hintergrund hat die Regierung seit ihrem Amtsantritt versucht, eine größere Ausgeglichenheit in der öffentlichen Berichterstattung herzustellen. Sie konzentrierte sich dabei zum einen auf Maßnahmen, um das Medienangebot zu verbreitern, und zum anderen auf eine juristische Neuregelung für die Massenmedien.

Publikum macht Medien

Bereits mit der neuen Verfassung von 1999 hatte sich die MVR verpflichtet, alternative Medien zu unterstützen. Die CONATEL (Nationale Kommission für Telekommunikation) registrierte von da an im ganzen Land Basisinitiativen und unterstützte sie mit technischer Ausrüstung für Radio- und Fernsehproduktion. Teilweise wurden Immobilien aus staatlichem Besitz geräumt und den Medienprojekten zur Verfügung gestellt. Eine dauerhafte Unterstützung wird gewährleistet, indem staatliche Institutionen oder Betriebe bezahlte Anzeigen in den Alternativmedien schalten. Ein erster Stadtteil-Fernsehsender arbeitet seit 2003 in Caracas, vier weitere Sender sollen in diesem Jahr folgen. Laut Gesetz sind die Basisprojekte in ihrer Ausbreitung auf das barrio beschränkt. Außerdem müssen 70 Prozent ihrer Sendeinhalte thematisch mit dem Stadtteil zu tun haben und dort auch produziert werden. Als Ergebnis der Diversifizierungsstrategie gibt es inzwischen die alternative Tageszeitung Vea – aus dem Stand 100.000 verkaufte Exemplare -, drei Fernsehsender und ungefähr 150 alternative Radiosender (siehe auch KN in diesem Heft).

Neues Gesetz

Die zweite Regierungsinitiative bestand in der Vorbereitung eines neuen Mediengesetzes. Nach dem Referendum im letzten Jahr, bei dem die Opposition trotz ihrer Medienmacht mit dem Versuch scheiterte, Chávez vorzeitig abzulösen, beruhigte sich die zugespitzte Stimmung. In dieser Situation berief die CONATEL einen Runden Tisch ein, an dem neben staatlichen Akteuren auch VertreterInnen von Bürgerrechtsgruppen und Kirchen, Delegierte der Basismedien und professionelle MedienmacherInnen saßen. Gemeinsam diskutierten sie die vorläufige Version des Mediengesetzes und nach mehrfacher Überarbeitung wurde im Dezember 2004 das „Gesetz für die soziale Verantwortung von Radio und Fernsehen“ verabschiedet.
Mit dem Gesetz wird die Sendezeit für Gewalt darstellende Sendungen eingeschränkt. Rassistische oder sexistische Sendeinhalte sowie Darstellungen, die religiöse oder politische Intoleranz fördern, können sanktioniert werden. Des Weiteren dürfen Alkohol, Tabak und Glücksspiele nicht mehr beworben werden. Die Ausstrahlung von Telenovelas wurde eingeschränkt: In den beiden Hauptsendezeiten dürfen jeweils zwei Stunden lang keine Seifenopern gezeigt werden. Außerdem stärkt das Gesetz die Persönlichkeitsrechte, beispielsweise die Möglichkeit der BürgerInnen, sich gegen ehrverletzende und verleumderische Berichte juristisch zu verteidigen.
40 Prozent aller Sendungen müssen fortan in Venezuela produziert werden. Dies hat vor allem wirtschaftliche Konsequenzen, da diese Vorschrift eine enorme Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für venezolanische MedienproduzentInnen darstellt. Insbesondere private Stationen, die bisher den größten Teil ihrer Sendungen von den internationalen, meist US-amerikanischen networks, eingekauft haben, sehen sich dadurch vor gewaltige Herausforderungen gestellt. Eine ähnliche Regelung wurde für Radios getroffen: die Hälfte der gespielten Musik muss in Venezuela, weitere zehn Prozent müssen in Lateinamerika oder der Karibik produziert sein.

Soziale Kontrolle

Bereits mit der Vorbereitung des Gesetzes setzte die Regierung stark auf die Einführung von Elementen der partizipativen Demokratie. Das Kernstück stellen hierbei die comités de usarios („Komitees der MediennutzerInnen“), in die sich alle BürgerInnen eintragen können. Deren Hauptaufgabe besteht darin, soziale Kontrolle über die gesendeten Inhalte auszuüben. Aus einem gleichnamigen Fonds erhalten diese Komitees Geld, um Kurse für die Bevölkerung zu veranstalten, beispielsweise zur Einführung in die Medienproduktion. Außerdem werden aus dem Fonds unabhängige MedienproduzentInnen unterstützt. Als unabhängig gelten alle, die bisher selbstständig als freie JournalistInnen, FotografInnen oder auch als Web-DesignerInnen gearbeitet haben. Damit ist auch eine Anerkennung von bisher vollkommen deregulierten Arbeitsverhältnissen verbunden: Die unabhängigen ProduzentInnen werden so in das System der Arbeits- und Sozialversicherungen integriert. Organisiert in Gremien können sie im „Rat der sozialen Verantwortung“ und damit an der Umsetzung des Gesetzes partizipieren. Das übergeordnete „Direktorium für soziale Verantwortung“ entscheidet endgültig über Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Gesetz. Unter elf Mitgliedern sitzen hier vier VertreterInnen der Zivilgesellschaft: jeweils ein Mitglied für die Universitäten, die Kirche, die „Kommitees der Nutzer“ und die sozialen Organisationen.

Kontrovers diskutiert

Die Einführung des „Ley Resorte“, wie das Mediengesetz kurz genannt wird, war von einer allgemeinen gesellschaftlichen Kontroverse begleitet. Die registrierten Alternativmedien kritisierten beispielsweise, dass die unabhängigen ProduzentInnen zu stark unterstützt werden. Die rechte Opposition übte lautstarke Fundamentalkritik, die sie jedoch gegenüber jedweder Initiative der Regierung erhebt. Zwei wichtige Kritikpunkte kamen aus der sozialen Basisbewegung: Die inhaltlichen Vorschriften seien zu vage formuliert und deshalb Auslegungssache. Und letztendlich obliegen Auslegung und Umsetzung von Sanktionen dem „Direktorium für soziale Verantwortung“, in dem die VertreterInnen des Staates über eine absolute Mehrheit verfügen. So könnten im Konfliktfall die VertreterInnen der Zivilgesellschaft staatlich überstimmt werden. Trotz der Kritik am Detail sind sich die meisten einig, dass das Gesetz einen großen Fortschritt darstellt. Unabhängige BeobachterInnen sprechen sogar von einer lateinamerikanischen Revolution im Medienbereich.

Negativpresse aus den USA

Nach der Verabschiedung des Mediengesetzes konnte eine wesentliche Verbesserung der Berichterstattung in Venezuela festgestellt werden. Weiter läuft die systematisch negative und einseitige Berichterstattung über Venezuela in internationalen Medien, insbesondere aus den USA. Es werde gezielt versucht, die Politik der venezolanischen Regierung in Zusammenhang mit „irregulären bewaffneten Formationen“ des Nachbarlandes Kolumbien zu stellen. Mit „pseudo-journalistischen Techniken wird vermischt, übertrieben und gelogen“, was nach Ansicht des venezolanischen Informationsministers Andrés Izarra eine „mediale Offensive gegen Venezuela“ darstellt. Ziel der US-Regierung sei möglicherweise die langfristige Vorbereitung einer Invasion. Anfang Februar diesen Jahres beauftragte die venezolanische Regierung ihren Vertreter bei der OAS, formell Klage gegen die USA einzureichen und eine Untersuchung zu fordern.

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