Mexiko | Nummer 323 - Mai 2001

Cumbia Cocopana

Der Tanz um das Gesetz der Cocopa zur indigenen Autonomie

Mit dem Marsch für die Würde der Indígenas haben die Zapatisten die Zivilgesellschaft mobilisieren können und Politik wieder als eine von einer breiten Masse getragene Angelegenheit gestaltet. Nach dem die Zapatisten vor dem Kongress gesprochen haben sind sie zurück und wurden in Chiapas von der Bevölkerung begeistert begrüßt. Der Senat hat den Gesetzesvorschlag der Cocopa (Comisión de Concordia y Pacificación) zur indigenen Autonomie nach inhaltlichen und formalen Änderungen verabschiedet und zur ersten Lesung an das Abgeordnetenhaus weitergegeben.

Harry Thomaß

Der März und April, bevor die Regenzeit in Chiapas beginnt, sind die Zeit der Aussaat. Die Zapatisten sind vielmehr Bauern als Politiker oder Guerilleros. So waren sie etwas besorgt um ihre Felder, nachdem sie sechs Wochen in der Republik unterwegs waren. Aber als sie bemerkten, dass die Regenzeit noch nicht eingesetzt hatte, verflogen ihre Sorgen. Begeistert wurden die Comandantes begrüßt, als die Autokarawane in La Realidad, Chiapas, gegen Mitternacht des 5. Aprils ankam. Tausende von Männern und Frauen standen an der Straße nach Aguascalientes und applaudierten den vorbeifahrenden Zapatisten. Sprechchöre waren zu hören: „Marcos, ruh dich aus, das Volk macht Fortschritte!“ Auf einen Schlag wurden alle Lichter im Dorf angeschaltet, eine Band spielte Cumbia und die Party begann.
Marcos beendete den Marsch mit einer Rede in der er sich für die breite Unterstützung bei den unterschiedlichen Akteuren bedankte. Dass die Sympathie und Solidarität mit den Zapatisten solche Ausmaße annehmen würde, hatte auch er nicht erwartet. Er äußerte die Hoffnung, dass die letzten gefangenen Zapatisten aus den staatlichen Gefängnissen frei gelassen, die Militärbasen der mexikanischen Armee in Chiapas aufgelöst und dass die Verfassungsreform zu den Rechten und Kultur der Indígenas verabschiedet würden. Dann wurde gefeiert.
Der Sub und die Comandantes feierten bis früh in den Morgen. Marcos gab in dieser Nacht keine Interviews: „Im Moment kann ich gar nichts sagen, der Ball ist auf einem anderen Spielfeld.“

Comandanta Esther vor dem Kongress in Mexiko

Nachdem die vier Comandantes der Zapatisten am 28. März vor dem mexikanischen Kongress gesprochen haben, sind nun die politischen Institutionen des mexikanischen Staates gefordert. Es war die Kommandantin Esther, als Frau und Indígena doppelt marginalisiert, die zur Überraschung aller die zentrale Botschaft der EZLN für das politische System verkündete und nicht wie erwartet der Subcomandante.
„Wir sind nicht gekommen um zu betteln, um jemanden zu besiegen oder jemanden von seinem Platz zu verdrängen, sondern wir sind gekommen um zuzuhören und gehört zu werden.“
Sie entwarf ein ideales Bild von der mexikanischen Gesellschaft, in der die Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen nicht dazu führten, das eine Gruppe unterdrückt werde, sondern gerade die Differenz zwischen Indígenas und Nicht-Indígenas die Möglichkeiten für einen Dialog darstellten, in dem die Normen des gemeinsamen Miteinanders verhandelt würden.
Besonders die indigenen Frauen würden in der mexikanischen männerdominierten Gesellschaft am Rand stehen und weniger Rechte haben. Land dürften zum Beispiel nur Männer besitzen. Somit seien Frauen auch von den Versammlungen der Bauern ausgeschlossen. Aber vor allem seien sie von der Armut betroffen, die bei ihren Kindern zur Unterernährung und zum Tod führe. „Ich erzähle ihnen dass nicht, damit sie uns bemitleiden oder uns aus dieser Situation erlösen, nein, wir kämpfen um diese Lage zu ändern, und wir werden weiter kämpfen. Aber es ist notwendig, dass dieser Kampf Eingang in die Gesetzte findet. Der Moment ist gekommen, den Gesetzesvorschlag der Cocopa zur indigenen Autonomie im Kongress zu verabschieden.“

Bedingungen für einen Dialog

Dieses Gesetz sieht eine Anerkennung der kulturellen und politischen Autonomie der indigenen Gemeinden vor. Konkret bedeutet das, dass die politische Organisation einer Gemeinde, die Organisation der Arbeit und die Verteilung des Landes die Gemeinde selbst bestimmt. Ihre eigenen Ausdrucksformen religiöser, sprachlicher und medizinischer Art werden in diesem Gesetz anerkannt. Den Frauen werden die gleichen Rechte zu gesprochen wie den Männern. Die Verabschiedung dieses Gesetzes ist eine Bedingung der Zapatisten für die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen der Regierung und EZLN.
Die zweite Bedingung ist der Rückzug des Militärs aus Chiapas. Am 20. April wurden drei Stellungen in der Selva Lacandona vom Militär verlassen, was die Zapatisten als ein ehrliches Friedensangebot interpretierten. Auch zur dritten Forderung der EZLN, der Freilassung der zapatistischen Gefangenen, scheint die Regierung aktiv zu werden. In seiner abschließenden Rede bei der Ankunft in La Realidad sagte Marcos, dass die meisten der Gefangenen bereits freigelassen worden sein.
Im Kongress und seinen Ausschüssen wird seit dem Marsch der Zapatisten nach Mexiko-Stadt über den Gesetzesvorschlag der Cocopa diskutiert. „Die politische Logik verlangt es, dass der Vorschlag verabschiedet wird, damit ein Frieden in Chiapas erreicht und die Situation der indigenen Völker und der mexikanischen Gesellschaft gelöst wird. Nun ist der Moment gekommen, in dem gehandelt werden muss, um das Begleichen der sozialen Schuld nicht weiter zu verzögern.“ So erklärte der Regierungssekretär Santiago Creel die Position von Präsident Fox. Als “zu vage und zu unpräzise“ kritisierte Jesús Ortega von der sozialdemokratischen PRD die Position der Regierung und meinte, der einzige Zweck einer solchen Äußerung sei das positive Echo in den Medien.
Wie nun dieser historische Moment genutzt werden kann, darüber besteht bei den politischen Technokraten Mexikos Uneinigkeit.

Hektischer Aktivismus im Senat

Eine Mehrheit von PRI, PAN und Grünen setzte sich im Senat durch und machte Nägel mit Köpfen. Am 24. April wurde das Gesetz zur indigenen Autonomie verabschiedet und zur ersten Lesung in das Abgeordentenhaus gegeben.
Dass der Gesetztesvorschlag der Cococpa bis zur bevorstehenden Parlamentspause ab dem 30. April unbedingt durchgebracht werden musste, kann als Versuch interpretiert weden, eine eingehend Diskussion zum Thema der indigenen Rechte zu vermeiden. So kam es zu einem solchen hektischen Aktivismus, nachdem die Zapatisten nach Mexiko-Stadt marschiert waren, wohlgemerkt ganz ohne Eile. Seit sechs Monaten liegt der Gesetzesvorschlag dem Senat zur Abstimmung bereits vor. Die Inhalte um die es geht, die Rechte der indigenen Völker wurden bereits 1996 in San Andrés verhandelt und stehen außerdem seit 500 Jahren auf der Agenda der Menschenrechte. Einzig und allein die PRD vertrat den Standpunkt, man könne das Gesetz auch nach der Parlamentspause verabschieden. Für die PRD ist es wichtig, dass in diesem Gesetz der Geist des Abkommens von San Andrés nicht verletzt wird, doch gegen eine Koalition von PRI und PAN ist im Kongress keine Entscheidung möglich. Von Vertretern der beiden größten Parteien wird die Gefahr der Balkanisierung des mexikanischen Staates befürchtet. Die Möglichkeit einer Vereinigung der indigenen Völker wurde daher aus dem Gesetzestext gestrichen.
Auf die Frage eines Journalisten an Präsident Fox nach der Entscheidung des Senats, ob er eine Nachricht an die Zapatisten habe, antwortet dieser: „Nein, nein, nichts, alles läuft hervorragend!“

Eine Autonomie, die keine ist

Dieser schnelle Beschluss des Senats ermöglicht es dem Präsidenten das Bild einer handlungsfähigen Demokratie zu präsentieren und auf den enormen Medienerfolg der Zapatisten zu antworten.
Der Gesetzesvorschlag ist im Senat nur mit grundlegenden inhaltlichen Änderungen verabschiedet worden. So wurde der Pasus zur Territorialität und dem gemeinschaftlichen Nutzen der natürlichen Ressourcen ersatzlos gestrichen. In dem neuen Gesetzestext werden die indigenen Völker nicht mehr als Subjekte öffentlichen Rechts bezeichnet, was zur Folge hat, dass sie nicht als eine juristische Einheit auftreten können.
„Das ist keine Autonomie. So wird den indigenen Völkern die Möglichkeit genommen, als Subjekte öffentlichen Rechts eigene Entscheidungen zu fällen.“ Der Anwalt Adelfo Regino Montes vom Congreso Nacional Indígena (CNI) äußert sich sehr besorgt zu der Version, die vom Senat verabschiedet wurde. Das Konzept eines gemeinschaftlichen Territoriums und der gemeinsamen Nutzung werde durch das neue Gesetz ausgehölt. Genau das ist einer der zentralen Kritikpunkte der Zapatisten an der politischen Sprache Mexikos: Sie ist inhaltsleer und ohne Seele.
Wer gehofft hatte, dass der Marsch der Zapatisten die Betonköpfe der konservativen Politikern dazu bewegt hätte, wirklich zuzuhören, der wird von der Eile mit der dieses Gesetz in wenigen Tagen durchgepeitscht werden soll, enttäuscht.

mehr Infos im Internet unter:
www.ezlnaldf.org
www.narconews.com/zapatistacarvan.html

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