Mexiko | Nummer 467 - Mai 2013

Megaprojekte im Gegenwind

Der Streit um Windparks im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca eskaliert

Die Konflikte zwischen indigenen Gemeinden und Windparkinvestoren in Oaxaca nehmen immer bedrohlichere Ausmaße an. Ausländische Unternehmen und ihre mexikanischen Statthalter wollen das „grüne“ Geschäft gewaltsam erzwingen.

Philipp Gerber

„Heute um 10.30 Uhr fuhr ein Mann in einem großen weißen Pickup vor das Haus des Gemeinderadios von Santa María Xadani. Er fragte im Befehlston eine Compañera, die sich gerade in der Radiostation aufhielt, wo Filiberto Vicente Aquino sei, sie würden ihn holen, denn sie seien ihn leid. Die Compañera antwortete, dass er nicht da sei. Darauf drohte der Mann, er sei ein Zeta (Mitglied eines besonders brutalen Drogenkartells, Anm. d. Red.) und sie solle dem Compañero Filiberto sagen, dass sie ihn finden würden.“ Mit diesen Worten schildern am 24. April lokale Aktivist_innen im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca eine Drohung gegen einen der ihren. Derselbe Radioaktivist erhielt bereits im März, nach der Teilnahme an einer Pressekonferenz der Gemeinden, die sich gegen die Windparks wehren, eine Morddrohung.
Seit Monaten verschärfen sich die Konflikte im Isthmus von Tehuántepec, der Landenge im Süden Mexikos, wo aufgrund der exzellenten Windbedingungen Investor_innen riesige Windparks errichtet haben und weitere sich im Bau befinden. Die überwiegend indigene Bevölkerung protestiert seit langem dagegen. Zum einen, da sie nicht konsultiert wurde oder bei den Entschädigungszahlungen betrogen wurde. Zum anderen, da sie die ökologischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen fürchten (siehe LN 450, 456).
Besonders konfliktträchtig ist der Windpark San Dionisio an der Pazifikküste auf dem Territorium der gleichnamigen Gemeinde der indigenen Ikoots, wo 102 Turbinen installiert werden sollen. 30 weitere Turbinen sind auf dem Gebiet der Gemeinde Santa Maria del Mar geplant. Mit einer erhofften Stromerzeugung von 396 Megawatt wäre dies der größte Windpark Lateinamerikas. Hinter dem Projekt steht das Konsortium Mareña Renovables, eine japanisch-europäisch-australische Investorengruppe. Mit Zufahrtsstraßen und fünf Anlegestellen tangiert der Windpark das Territorium der vier Gemeinden der Ikoots-Indigenen sowie einige zapotekische Gemeinden, darunter Álvaro Obregón. Allerdings ist der Bau des Windparks San Dionisio blockiert seit in einer Gemeindeversammlung im Januar 2012 aufflog, dass der Gemeindepräsident von San Dionisio, von der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI), klammheimlich 20.5 Millionen Pesos (ca. 1,3 Mio. Euro) von den Investor_innen für die Umnutzung des Bodens kassiert hat. Daraufhin besetzte die Bevölkerung das Gemeindehaus und verhinderte jegliche Bautätigkeit von Mareña Renovables. Das Megaprojekt mit einem Investitionsvolumen von einer Milliarde US-Dollar ist auch legal ausgesetzt: Ein Richter verhängte Ende 2012 einen Baustopp, da nie über das Projekt auf kommunalem Land abgestimmt wurde und somit die indigenen Rechte der BewohnerInnen verletzt wurden. Zudem ist bei der Interamerikanischen Entwicklungsbank eine Klage der Projektgegner_innen wegen Schmiergeldzahlungen hängig.
Mehrere Versuche einer nachträglichen Bewilligung durch improvisierte Gemeindeversammlungen scheiterten, es kam zu Konfrontationen der verfeindeten Lager. Schließlich drohte das Konsortium Mareña Renovables Ende Januar auf einer Windenergiemesse in Mexiko-Stadt ultimativ, es werde sich zurückziehen, wenn nicht endlich gegen „die 20 Personen, die das Projekt blockieren“ vorgegangen werde. Dass sie damit den Widerstand massiv unterschätzten, zeigten die folgenden Tage: Kurz darauf versuchte die bundesstaatliche Polizei mehrmals in die Gemeinde Álvaro Obregón vorzudringen, wo die Bevölkerung seit November den Zugang zur Baustelle blockiert. Anfang Februar eskalierten die Auseinandersetzungen, die Polizei musste sich zurückziehen.
Eine ähnliche Eskalation erlebte auch das benachbarte San Mateo del Mar, mit 15.000 Einwohner_innen und 12 Weilern die größte Gemeinde der Ikoots. Am 21. März wurden dort sieben Personen, darunter zwei Journalisten der Tageszeitung Jornada und Aktivisten der Menschrechtsorganisation Ucizoni, von einer Gruppe von 50 bewaffneten und betrunkenen Personen für drei Stunden festgehalten. Die Delegation wollte die Übergriffe der Behörden auf Oppositionelle dokumentieren. Die Täter stammen aus dem Umfeld des lokalen PRI-Bürgermeisters Francisco Valle Piamonte. Auch Valle Piamonte wurde aufgrund massiver Korruptionsvorwürfe vor einem Jahr in einer Gemeindeversammlung abgewählt. Das Parlament Oaxacas blockierte jedoch das Amtsenthebungsverfahren gegen ihn, es wurden Neuwahlen angesetzt.
Doch Valle Piamonte kam diesen zuvor: In einem nächtlichen Überfall eroberte er im November mit bewaffneten Anhängern den Gemeindesitz zurück, kurz darauf trafen Einheiten der Bundesstaatspolizei ein, um „die Sicherheit und Ruhe“ in der Gemeinde zu gewährleisten. Seither regiert Valle Piamonte mit Hilfe von parapolizeilichen Gruppierungen, die auch Straßensperren errichtet haben. Jüngst griffen Unbekannte das Haus der Windparkgegnerin Reyna Gutiérrez Luis an und drohten sie zu „zerstückeln“. Gutiérrez Luis, die als erste Frau ein Amt innerhalb der Dorfrates innehatte, klagt im Dokumentarfilm Somos Viento die soziale Zerrüttung durch das geplante Megaprojekt an: „Welches Erbe werde ich meinen Kindern hinterlassen? Eine unregierbare Gemeinde? Unser Land, unser Meer verschmutzt?“
Die privatisierte Stromgewinnung im Isthmus wird dabei großzügig durch Weltbankkredite sowie Finanzierungsinstrumente wie den Clean-Development-Mechanismus der UNO und den EU-Fonds LAIF (Latin America Investment Facility) subventioniert. 15 Windparks auf 11.079 Hektar Land sind schon im Betrieb und produzieren Strom für Großunternehmen wie Coca-Cola, Cemex oder Walmart, die sich mit der vergleichsweise sauberen Energie ein grünes Mäntelchen erkaufen. Das Geschäft ist doppelt attraktiv: Die Windparks können auch via CO2-Zertifikate am internationalen Emissionshandel teilnehmen. Und das Potenzial der Region ist erst zu 10 Prozent ausgeschöpft, denn gemäß der staatlichen Kommission für Energieregulation könnten auf 100.000 Hektaren mindestens 10.000 MW Strom produziert werden.
Die fehlende Information und Konsultation der indigenen Bevölkerung, unlautere Verträge über die Pacht von Land sowie Korruption und Einsatz von Gewalt der lokalen Behörden bilden das Muster dieser Investitionen zugunsten des „ökologischen Fortschritts“. „Die multinationalen Unternehmen bemächtigen sich unserer Territorien, als sei diese Region jungfräulich, unbewohnt“, klagte die zapotekische Menschrechtlerin Bettina Cruz Velázquez anlässlich einer Rundreise in Europa. Doch selbst die verstärkte Repression scheint den Widerstand der Gegner_innen nicht brechen zu können. Eine baldige Befriedigung der Situation ist unwahrscheinlich, im Gegenteil.

Aktueller Dokumentarfilm Somos Viento zum Thema: http://somosvientodocumental.wordpress.com/

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