Asylrecht | Nummer 251 - Mai 1995

Das Asylrecht war kein Versehen

Am 8. Mai wird der 50. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozia­lismus gefeiert. Wer diesem Datum gedenkt, kann nicht gleichzeitig die bestehende Asylrechtsre­gelung mit allen ihren Konsequenzen unterstützen, ohne sich der Heuche­lei verdächtig zu machen.

Eva Savelsberg

Als 1949 im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch­land das Asyl­grundrecht ohne jede Ein­schränkung festgeschrieben wur­de, war dies keineswegs ein Versehen. Zeithistori­scher Erfah­rungshinter­grund waren Terror und Verfolgung in Deutschland, die industrielle Vernichtung von Millionen Menschen, die durch den zwei­ten Welt­krieg aus­gelösten Flücht­lingsströme und die Auf­nahme – oder eben Nicht-Auf­nahme – dieser Menschen in an­deren Län­dern.
Die Ausgestaltung des Asyl­rechts garantierte dem einzelnen Flüchtling den Anspruch auf um­fassende Anhörung sowie das Recht, bis zum Abschluß des Ver­fahrens in Deutschland zu bleiben. Weder das Völ­kerrecht noch die Verfas­sung anderer Staaten kannten eine derartig weitreichende Ausgestal­tung des Asylgrundrechts. Dennoch war die Praxis der Asylgewährung in anderen Staaten, die kein Grund­recht auf Asyl besaßen, häufig liberaler als in der Bundesrepu­blik. Neben ei­ner restriktiven Ausle­gungspraxis führten seit 1978 vielfache Gesetzesän­der­ungen zur Verkürzung des Rechts-mittelweges und zur Er­schwerung des Zu­gangs zum Verfahren. Vom Grundrecht auf Asyl ist kaum etwas übrig geblie­ben.
Die Vorgeschichte der Grundgesetzänderung
1991 kamen 256.112 Asylbe­werberInnen in die Bundesrepu­blik Deutsch­land, etwa 33 Pro­zent mehr als 1990. 1992 stieg die Zahl noch einmal um 71 Pro­zent auf 438.191. In den ersten sechs Monaten des Jahres 1993 verlangsamte sich der Anstieg der Ge­suche, auch unter dem Einfluß des seit dem November 1992 geltenden “Rücknahme-Abkom­mens” mit Rumänien. Es gab 224.099 AsylbewerberInnen, 19,5 Prozent mehr als in der er­sten Hälfte des Vor­jahres. Das seit dem 1. Juli 1993 gültige neue Asylrecht brachte die “Wende”: mit 98.690 Personen sank die Zahl der Antragstelle­rInnen um 56 Prozent im Ver­gleich zur ersten Hälfte dessel­ben Jahres.
Restiktive Anerkennungs­praxis
Der Rückgang der Be­werberInnenzahlen wird von der Regierungskoalition und darüber hinaus als Er­folg verbucht. Die überwie­gende Mehrheit der An­tragsteller seien “Schein­asy­lanten” und “Wirt­schafts­flücht­linge” gewesen. Hierzu sind min­destens zwei Dinge zu be­merken:
1. Zu den etwa 5 Prozent an­erkannten Flüchtlingen kamen weitere 5 Prozent hinzu, die auf­grund von Gerichtsverfahren doch noch Asyl erhielten. Wei­tere 10 Prozent müssen hinzug­rechnet werden als zunächst ab­gelehnte Ange­hörige, die mit Rücksicht auf den Schutz der Familie bleiben durften. Noch ein­mal 20 Prozent der An­tragstellerInnen waren zwar nicht im engeren Sinne asylbe­rechtigt, erhielten aber ein Blei­berecht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonven­tion. Insgesamt durften also mindesten 40 Prozent aller An­tragstellerInnen bleiben, und das bei der auch vor Juli 1993 schon ausge­sprochen restriktiven Aner­kennungspraxis.
2. Wer von “Schein­asy­lanten” spricht, vergißt, daß es seit dem Anwerbestop 1973 kaum noch legale Wege gibt, in die Bun­des­republik zu kommen. Ne­ben der Stel­lung eines Asylantrags blei­ben im we­sentlichen Fami­liennachzug sowie die be­fristete Einreise zu Ausbil­dungszwecken und zu Be­suchen. Würde die Bun­desrepublik endlich aner­kennen, daß sie längst ein Ein­wanderungsland gewor­den ist und die entspre­chenden Rege­lungen ein­führen, wären Men­schen, die tatsächlich nicht direkt politisch verfolgt werden, aber nichts desto trotz le­gitime Gründe ha­ben, in der Bundesre­publik leben zu wollen, nicht län­ger gezwungen, diesen Wunsch auf dem Umweg Asyl zu verfolgen.
Die Situation nach der Grundgesetzänderung
Der Kern der neuen Asyl­rechtsregelung ist die Konstruk­tion von “sicheren Her­kunftsländern” und “siche­ren Dritt­staaten”. Grundlage für letzteres ist die formale, nicht je­doch die faktische Anerkennung der Genfer Flüchtlings­konven­tion.
Kommt ein Flüchtling aus ei­nem “sicheren Her­kunftsland” (auch Rumä­nien etwa ist trotz der staatlich geduldeten Po­grome gegen Roma als Nichtverfolger­staat aufge­führt), so ist sein An­trag “of­fensichtlich unbegrün­det” und er durchläuft ein gekürztes Asylverfahren. Gegen die Ent­scheidung klagen darf er nur vom an­geblich verfolgungsfreien Herkunftsland aus.
Ist ein Flüchtling durch einen “sicheren Drittstaat” eingereist, gilt sein Antrag als unbeachtlich, da er ja in diesem Staat seinen Antrag auf Asyl hätte stellen kön­nen. Nicht der Fluchtgrund, sondern der Fluchtweg sind aus­schlaggebend. Wer an der Grenze zu Polen, einem der “sicheren Drittstaaten”, einreisen will, wird sofort, ohne Anhö­rung, dorthin zurückgeschoben. Daß es dort keine rechtsstaatli­chen Verfahren im strengen Sinne gibt, daß die Gefahr von Kettenabschiebungen besteht, wird ignoriert. Diese Regelung führt zur faktischen Abschot­tung, da alle an Deutschland gren­zenden Staaten entweder “siche­re Dritt­staaten” oder “Nicht­ver­folger­staaten” sind.
So bleiben im Grunde nur die illegale Einreise und das Ver­schweigen des Fluchtweges, oder die Ein­reise auf dem Luftweg. Nach der sogenannten “Flugha­fen­regelung” gelten An­tragsteller aus “siche­ren Her­kunfts­ländern” als nicht ein­gereist und haben sich auf dem vorgeblich “exter­ri­torialen” Ge­lände des Flughafens bei Zwangs­aufenthalt im Lager ei­nem Schnellverfahren zu unter­ziehen. In nur einer Woche wird über die Abschie­bung oder die Einreise und das re­guläre Ver­fahren entschie­den. Dasselbe gilt für Menschen mit ungültigen Reisepapie­ren. Um ihre Chance auf ein reguläres Asylverfahren zu erhöhen, kann es für diejenigen, die aus angeb­lich si­cheren Herkunftslän­dern kom­men, unter Umständen günstiger sein, wenn sieihre Papiere ver­nichten und eine fremde Identität, ein an­deres Her­kunftsland angeben.
Neben der weiteren Er­schwerung des Zugangs zum Asylverfahren und der Verkür­zung der Fristen, in denen Rechtsmittel einge­legt werden können, wird versucht, durch die Ver­schlechterung der Lebens­situation im Land Flücht­linge abzuschrecken.
Asylrecht und 8. Mai
Wer “einen Ausländer ver­leitet oder dabei unter­stützt, im Asylverfahren (…) unrichtige oder unvollstän­dige Angaben zu machen” (Asylverfahrensgesetz ´84) damit er zum Beispiel nicht in einen Staat zurückge­schoben wird, in dem er mit großer Wahrscheinlich­keit Folter zu er­warten hat, wird mit Freiheits­entzug und Geldstrafe bedroht.
Menschen, die illegale Roma aus Rumänien ver­stecken, wer­den kriminali­siert, diejenigen, die Flüchtlingen über die “grü­ne Grenze” helfen, un­differenziert als Schlepper diffamiert. Abge­lehnte AsylbewerberInnen wer­den verfolgt, weil sie mangels anderer Möglichkeiten, das Auf­enthaltsrecht zu erwer­ben, eine Ehe eingehen.
Eine AsylbewerberIn, der/die falsche Papiere vorgelegt hat, wird als Be­trügerIn bezeichnet und hat kaum Chancen, sein/ihr Asylverfahren erfolgreich zu beenden. Hierbei spielt es keine Rolle, ob er/sie das Heimatland an­sonsten nicht hätte verlassen können – sei es wegen restrikti­ver Visabestimmungen oder weil ihm/ihr vom Verfolgerstaat keine Papiere ausgestellt wurden.

Das Zahlenmaterial wurde dem Buch von Klaus J. Bade: Ausländer, Aus­siedler, Asyl (München 1994) entnommen
Menschen­würde
garantieren!
Am 28.1.95 wurde Ben­jamin Ramos Vega, der mit in­ternationalem Haftbefehl wegen “Mitgliedschaft in einer terrori­stischen Vereinigung”(ETA) so­wie “Sprengstoffbesitz” und “Lagerung von Kriegswaffen” gesucht wurde, in Berlin festge­nommen.
Die Grundlage der Festnahme war eine Aussage eines am 28.4.94 in Barcelona festge­nommenen, ehemaligen Füh­rungs­mitglieds der baskischen Partei Herri Batasuna, genannt Pipe. Vor dem Haftrichter wider­rief Pipe alle Aussagen und er­klärte, daß die Aussagen unter Folter zustande gekommen sind
Der spanische Staat fordert die Auslieferung von Benjamin. Obwohl nach Einschätzungen von amnesty international und des UNO-Sonderbeauftragten für Folterangelegenheiten systemati­schen Folter im spanischen Staat betrieben wird, wird voraus­sichtlich der Asylantrag, den er gestellt hat, abgelehnt werden da Spanien von der BRD als “verfolgungsfreies Herkunfts­land” eingestuft wird.

Protestschreiben können Sie an folgende Adresse schicken: Bundesjustizministerium, Hei­nemannstr. 6, 53175 Bonn, fax: (o228) 584525 und an das Kammergericht Berlin, Witzle­benstr.4, 14057 Berlin, Fax:(030) 32092266
Solidaritätsbriefe in einfa­chem Deutsch an: Benjamin Ramos Vega, JVA, Alt-Moabit 12a, 10559 Berlin


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