Lateinamerika | Nummer 365 - November 2004 | USA

Das neue kolumbianische Kriegsmodell

Die USA intervenieren immer stärker in einem Konflikt, den sie nicht gewinnen können

Mit der Umsetzung des Plan Colombia intensivieren die USA den Kampf gegen die Guerillas FARC und ELN. Eine massive Aufrüstung der kolumbianischen Armee und ein zunehmender Einsatz privater Sicherheitsfirmen sollen die Paramilitärs künftig überflüssig machen. Als Ziel des Krieges bleibt vermutlich nur die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Kolumbien.

Dario Azellini

Im Schatten des Afghanistankrieges drohten die USA, auch die kolumbianischen Guerillas ins Visier zu nehmen. Dabei hatten die USA die Weichen zur Bekämpfung der Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und des Nationalen Befreiungsheeres (ELN) schon ein Jahr zuvor gestellt. Der gemeinsam mit der Regierung Pastrana im Jahr 2000 initiierte Plan Colombia sollte das immer weiter zu Gunsten der Guerillaorganisationen und sozialen Bewegungen kippende Gleichgewicht wieder umkehren. Das Gesamtvolumen des Plan Colombia betrug 7,6 Milliarden US-Dollar, etwa vier Milliarden davon soll Kolumbien selbst aufbringen. Damit stieg die Militär- und Polizeihilfe der USA für Kolumbien, die sich 1997 noch auf 89 Millionen US-Dollar belief, auf 765 Millionen im Jahr 2000. Für das Jahr 2005 wird sie auf 574 Millionen US-Dollar geschätzt.
Die USA haben sich mit dem Plan Colombia offen in einen grausamen Konflikt eingemischt. Denn Kolumbien gehört zu den Ländern mit den weltweit schwersten Menschenrechtsverletzungen. Allein im Jahr 2001 wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Codhes 350.000 Menschen vertrieben. Insgesamt gibt es im Land über 2,5 Millionen interne Flüchtlinge. Dem Terror fallen jährlich mehr Menschen zum Opfer als während der gesamten chilenischen Militärdiktatur. Nur der geringste Teil davon ist Folge direkter Kriegshandlungen zwischen Guerilla und Militär oder Paramilitärs. Codhes registrierte 2002 über 500 Massaker mit 2.500 Toten, 4.500 politische Morde, über 700 Verschwundene und ebenso viele willkürliche Verhaftungen. Für den größten Teil der schweren Menschenrechtsverletzungen und Massaker werden heute nicht mehr, wie noch in den 80er Jahren, Armee und staatliche Repressionsorgane verantwortlich gemacht, sondern die Paramilitärs.

Kriegsfaktoren und US-Interessen

Dem Konflikt liegen drei wesentliche Faktoren zu Grunde. Zwei davon erklären das massive Interesse der USA an Kolumbien. Da ist zunächst die herausragende geostrategische Lage des Landes. Kolumbien ist der einzige südamerikanische Staat mit einem Zugang zum Atlantik und Pazifik. Mit fünf Außengrenzen ausgestattet, gilt das Land als Handelsknoten. Daher bestehen sowohl Pläne für einen Weiterbau der Panamericana wie auch für eine Verbindung, die dem völlig ausgelasteten Panamakanal die Funktion als bedeutendste interozeanische Handelsroute streitig machen soll. Auch im Hinblick auf die geplante gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA ist die Verfügungsgewalt über das kolumbianische Territorium für die USA von großer Bedeutung.
Zweitens ist Kolumbien reich. Das Land ist weltweit größter Exporteur von Qualitätskaffee und Smaragden, zweitwichtigster Schnittblumen- und Bananenexporteur, drittgrößter lateinamerikanischer Erdölproduzent, und es verfügt über große Rohstoffvorkommen, wie Kohle oder Gold. Nicht zufällig investieren 400 der 500 größten US-amerikanischen Unternehmen in dem Land, das für die USA als Erdöllieferant an fünfter Stelle steht. Im Widerspruch dazu leben heute 55 Prozent der kolumbianischen Bevölkerung in Armut, 20 Prozent in absolutem Elend. Doch die kolumbianische Oberschicht hat seit über 180 Jahren konsequent mit Repressionen und blankem Terror auf die sozialen Widersprüche reagiert.
Deshalb ist der dritte grundlegende Faktor im kolumbianischen Konflikt in der Geschichte zu suchen. Das Land hat ein extrem hohes Gewaltniveau und mit über 70 Toten pro 10.000 EinwohnerInnen die höchste Mordrate.

Der Kampf gegen die „Narcoguerilla“

Die USA versuchen dagegen den kolumbianischen Konflikt mit dem Drogenhandel in Verbindung zu bringen. Tatsächlich jedoch spielt die Drogenökonomie nur bei den Paramilitärs eine zentrale Rolle. Seitens der beiden großen Guerillas besteht ein unterschiedlicher Umgang mit dem Drogenanbau und -handel. Die FARC besteuert in den Gebieten unter ihrer Kontrolle die Geschäfte der Händler, schützt die Landbevölkerung vor den „Narcos“ und garantiert ihnen Verkaufspreise. Der Drogenhandel ist nur eine von vielen Einnahmequellen. Die ELN hingegen lehnt den Koka-Anbau insgesamt ab und erhebt keine Steuern auf Drogenhandel. Sie fördert sogar sozio-ökonomische Maßnahmen zur Substitution des Drogenanbaus.
Mit der These von der „Narcoguerilla“ geht es den USA eher darum, die FARC und die ELN zum Angriffsziel zu machen. Während die USA und die kolumbianische Regierung vorgaben, mit dem Plan Colombia das Drogenproblem lösen zu wollen, deutet dessen Umsetzung auf etwas anderes hin: Von den 1,6 Milliarden US-Dollar, die die USA bisher beisteuerten, sind nur 145 Millionen für alternative sozio-ökonomische Projekte – wie die Umstellung von Drogenanbau auf andere landwirtschaftliche Produkte – und bescheidene 93 Millionen für „die Verbesserung der Menschenrechtssituation und der Justiz, sowie für die Stärkung demokratischer Institutionen“ vorgesehen. Der Rest kam in Form von Waffen und Kriegsgerät. Als effektives Mittel gegen das Kokabusiness ist der Plan Colombia also denkbar ungeeignet. Eine militärische Zerschlagung des Drogengeschäfts ist ohnehin unmöglich. So zielt der Plan Colombia auf die massive Aufrüstung der Armee ab. Kolumbien musste nicht einmal eine Pro-Forma-Erklärung unterschreiben, dass die mit Nachtsichtgeräten und hoch entwickelten Waffen ausgestatteten 30 Blackhawk- und 33 Bell-Hubschrauber, Bestandteile der Unterstützung aus den USA, ausschließlich zur Bekämpfung des Drogenhandels eingesetzt werden. Und so kommen die Hubschrauber auch bereits in der „Aufstandsbekämpfung“ zum Einsatz. Sie bombardieren Dörfer und besprühen weiträumig Anbaugebiete.
Der Plan Colombia vervielfachte die Zahl der Berufssoldaten und verzwanzigfachte die der Armeehubschrauber, Überwachungsflugzeuge und Militärberater. Zugleich stieg die Anzahl der hauptsächlich in den „Vereinten Selbstverteidigungskräften Kolumbiens“ (AUC) organisierten „Paramilitärs“ von 5.000 auf 13.000. Das primäre Ziel der in den 1950er Jahren entstandenen, formell illegalen Todesschwadronen ist die Verteidigung des herrschenden Machtgefüges und privatwirtschaftlicher Interessen durch physische Vernichtung jeglicher Opposition. Direkten Gefechten mit der Guerilla gehen die AUC aus dem Weg, ihre Angriffe gelten unbewaffneten Zivilisten, den Bäuerinnen und Bauern, GewerkschafterInnen, MenschenrechtsaktivistInnen, linken Parteien und Organisationen. Mit dem schrecklichen Begriff „soziale Säuberungen“ geben sie Ihren Morden an Kleinkriminellen, Obdachlosen, Straßenkindern, Homosexuellen, Sex-Arbeiterinnen oder StraßenkünstlerInnen einen Namen. Dabei gehen sie mit äußerster Gewalt vor, foltern ihre Opfer aufs Grausamste. Mittlerweile haben sich die AUC den Großteil des Drogenbusiness angeeignet, kontrollieren die Schlüsselrouten des Drogenhandels, die Geldwäsche und etwa 70 Prozent der Drogenexporte.

Die Intensivierung des Krieges

Die Ausbeutung der Naturressourcen und Arbeitskräfte wird schon seit Jahrzehnten mittels eines Krieges gegen die Bevölkerung sicher gestellt. Mit Àlvaro Uribe kam faktisch der Kandidat der Paramilitärs und damit der blutigste Flügel der rechtsextremen Oligarchie an die Macht. Der neue Präsident setzte mit Unterstützung der USA von Beginn an auf eine Intensivierung des Krieges, verhängte fünf Tage nach Amtsübernahme den Ausnahmezustand und stellte 26 Bezirke im Norden und drei in Arauca als Sonderzonen unter die direkte Kontrolle der Armee. Zugleich begann die Regierung mit dem Aufbau eines landesweiten Spitzelnetzes, das eine Million zum Teil mit Kriegswaffen ausgerüstete Menschen in die Informationsstrukturen der Armee einbinden soll. Darüber hinaus ist geplant die 168.000 Mann starke Armee um 30.000 Berufssoldaten aufzustocken und in Schnellkursen weitere 20.000 „Bauernsoldaten“ auszubilden: legale Paramilitärs, die als „Dorfschützer“ in ihren Herkunftsgemeinden leben. Die Wehrpflicht wurde um sechs Monate verlängert und 10.000 Armeereservisten und 20.000 pensionierte Polizisten wurden wieder in die Verteidigungsstrukturen integriert.
Die enorme Aufrüstung, vor allem die durch den Plan Colombia erlangte Lufthoheit, macht der FARC das Agieren in großen Verbänden nahezu unmöglich. Damit wird das bisherige Paramilitärmodell zunehmend überflüssig. Zugleich verändert sich das kolumbianische Herrschaftsmuster zunehmend in Richtung einer Enklavenökonomie. Ökonomisch interessante Regionen werden gezielt militärisch geschützt, während der Rest des Landes nur noch mit Bombardements oder massiven, aber zeitlich beschränkten Militäraktionen überzogen wird. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Niedrigen Wachstumsraten des Bruttoinlandprodukts Ende der 90er Jahre folgte eine deutliche Expansion der Wirtschaftsaktivität. Zu Beginn des Jahres 2003 reihte die New York Times Kolumbien unter den „aufstrebenden Märkten“ sogar als einen der sechs interessantesten ein.

Recycling für Paramilitärs

Für die USA war die formale Entwaffnung der Paramilitärs wichtig, die sie zusammen mit der FARC und der ELN auf die Liste terroristischer Organisationen in Kolumbien gesetzt haben. So können sie die Militärhilfe für Kolumbien weiter erhöhen, ohne sich Kritiken auf Grund der Zusammenarbeit von Armee und Paramilitärs ausgesetzt zu sehen. Entsprechend konnten die AUC Mitte 2002 formell aufgelöst und, angeblich ohne Beteiligung der in Drogengeschäfte und schwere Menschenrechtsverletzungen verwickelten Verbände, reorganisiert werden. Die „neue“ AUC kündigte Ende 2002 einen einseitigen Waffenstillstand an. Doch die Paramilitärs agieren bis heute militärisch, und es kommt nach wie vor zu Massakern an der Zivilbevölkerung. In den vergangenen 23 Monaten vermeintlichen Waffenstillstandes hat sogar die staatliche „Defensoría del Pueblo“ 342 einseitige Verstöße seitens der AUC gezählt.
Die meisten Paramilitärs wollen nach einer Übereinkunft mit der Regierung ihre Waffen bis Ende 2005 vollständig abgeben. Wie das funktionieren soll, zeigte sich, als am 25. November 2003 bei einer als Propagandashow inszenierten Veranstaltung in Medellín 855 Angehörige der AUC vermeintlich demobilisiert wurden. Alle zusammen gaben gerade mal 110 Kalaschnikov-Schnellfeuergewehre, einige automatische Pistolen, Revolver, Jagdgewehre und selbst gefertigte Waffen ab. Nur drei Wochen später kehrten sie mit Krediten und Jobs in die Stadtteile zurück, die sie zuvor noch terrorisiert hatten. Etwa 700 von ihnen bekamen eine Stelle in kommunalen Behörden, 200 sogar in einem kommunalen Wachunternehmen, das in den Stadtteilen patrouilliert. Bereits zehn Tage vor der „Demobilisierung“ meldete Amnesty International, dass Paramilitärs zunehmend von privaten Wachdiensten „recycelt“ würden, während andere im Rahmen des „Bauernsoldaten“-Programms der Armee Waffen und Uniformen bekämen.

Bezahlter Urlaub für US-Militärs in Kolumbien

Zugleich werden militärische Aufgaben zunehmend von Privaten Sicherheitsdiensten (Private Military Contractors, PMC) übernommen. PMC-Angestellte sind als Ausbilder, Überwachungsexperten, Flugzeugmechaniker, Piloten und Spezialteams für Polizei und Militär Kolumbiens tätig. Es sind ehemalige Angehörige von US-Eliteeinheiten und Ex-Militärs aus anderen Ländern, Veteranen aus Einsätzen in Vietnam, dem Persischen Golf und El Salvador. Teilweise verbringen auch aktive Mitglieder der verschiedenen US-Militäreinheiten ihren Urlaub als gut bezahlte Militär-Dienstleister in Kolumbien. Die Gesamtzahl der in Kolumbien allein für US-Firmen tätigen PMCs wird auf 1.000 bis 2.000 geschätzt. Auftraggeber sind das Pentagon, die Drogenbehörde DEA oder die Geheimdienste. Die Kontrolle der Operationen liegt direkt bei den USA, allerdings gibt es eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem kolumbianischen Militär und gewissen Kreisen der Herrschaftseliten. Die vom US-amerikanischen Kongress für Kolumbien festgelegte Obergrenze von 400 US-amerikanischen Zivilisten und 400 Militärs kann leicht umgangen werden, indem die Unternehmen Personal aus anderen Ländern einstellen. PMCs dienen in Kolumbien faktisch versteckten Counterinsurgency-Einsätzen. Kommt ein PMC-Mitarbeiter bei einem Einsatz ums Leben, verursacht dies weit weniger Aufsehen, als der Tod eines US-Soldaten.
Am 9. Oktober diesen Jahres genehmigte der US-Kongress weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit eine Verdopplung des in Kolumbien tätigen US-Militärpersonals von 400 auf 800 und die des für Private Militärunternehmen tätige US-Personal von 400 auf 600. Zusätzlich wurden auch US-Militäroperationen im Zusammenhang mit der Suche nach entführten US-BürgerInnen genehmigt. Bisher waren militärische Operationen der angeblich zur Ausbildung kolumbianischer Militärs entsandten US-Soldaten nur im Falle der Selbstverteidigung erlaubt.

Ein patriotischer Plan

Die Entscheidung des US-Kongresses das Limit zu erhöhen sind ein klarer Erfolg für US-Präsident Bush und den kolumbianischen Präsidenten Uribe, die in den vergangenen Monaten alles daran gesetzt hatten das US-Engagement in Kolumbien zu intensivieren. So hat Präsident Uribe einen Plan Patriota aufgelegt, der eine umfangreiche Militäroffensive im Süden des Landes vorsieht, aus dem direkt nach Beginn der Militäroperationen tausende Menschen flohen. Die Aufstockung der US-Truppen ist zur Unterstützung des Plan Patriota gedacht. Darüber hinaus sollen dieses Jahr mindestens zusätzliche 110 Millionen US-Dollar aus den USA nach Kolumbien fließen. Sie sollen für Ausbildung, Waffen, Nachtsichtgeräte und Kommunikationstechnik für Eliteeinheiten der kolumbianischen Armee dienen, welche die Operation anführen. Zusätzlich werden die USA zwei AC-47 Kampfflugzeuge und vier C-130 Truppentransportflugzeuge für die kolumbianische Armee kaufen. 2005 sollen es weitere 110 Millionen US-Dollar sein, die aber noch vom Kongress genehmigt werden müssen. Auch wollen die USA in Kolumbien eine neue Militärschule errichten. Dafür wäre eine weitere Erhöhung der US-Truppenpräsenz notwendig.
Die US-Streitkräfte selbst übernehmen derweil eine immer aktivere Rolle. Von der US-Luftwaffenbasis Manta in Ecuador starten AWACS-Aufklärer der US-Air Force um laut ursprünglicher Vereinbarung „den Drogenhandel“ in der Region zu überwachen. Doch im März 1999 verfügte die US-Regierung, Informationen über Guerilla-Bewegungen ebenfalls weiter zu leiten und seit Ende 2001 dient die Überwachung ganz offiziell auch der „Terrorbekämpfung“. Das gleiche gilt für die 17 US-Radarstationen in Peru und Kolumbien. Gleichzeitig wurde die bis dato geltende Beschränkung der Nutzung von US-Kriegsgerät auf den Antidrogenkampf aufgehoben. Nun können alle Waffen und Militärgeräte gegen „illegale bewaffnete Gruppen“ eingesetzt werden.
Damit schlittern die USA immer tiefer in den Kolumbien-Krieg hinein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten US-Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Guerilla geraten werden. Das wird womöglich als Vorwand für ein direkteres Engagement der US-Truppen in Kolumbien dienen. Dabei geht es eher um den Erhalt des lukrativen Wirtschaftsstandorts, als um einen militärischen Sieg gegen die Guerilla. Selbst der scheidende General James Hill, Kommandeur des Kommando Süd der US-Armee, erklärte am 13. Oktober diesen Jahres in einem Interview mit der ecuadorianischen Tageszeitung El Comercio, es werde „niemals eine militärische Lösung für das interne kolumbianische Problem geben“.

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