Niederländische Antillen | Nummer 236 - Februar 1994

Die Antillen-Connection

Was haben Corrie van Gorp, Albert Heyn, die italienische Mafia und Professor Hip-Hop miteinander gemein?

Übersetzung Jolanda Kemna, Quelle: Alerta

Das ideale Sich zur Ruhe setzen: knietief im Karibischen Meer mit einem Piña Colada in der Hand. Die Niederländischen Antillen und Aruba sind das Häuschen Abendrot für eine erhebliche Zahl der NiederländerInnen. Außer Sonne und Meer zieht vor allem das sympatische Steuerklima dieser tropischen Inseln an. Aber die “Merengue-Gesellschaft” hat im Laufe der Jahren auch von KolumbianerInnen und ItalienerInnen zweifelhafter Gestalt Besuch bekommen. Aruba und Sint Maarten sollen schon in Händen der Mafia sein.
Die Telefonistin des Antillenhauses, der antillianischen Vertretung in Den Haag, hat eine gute Auffassungsgabe. Die Frage zielte auf Auskünfte über Steuernzahlungen auf den Antillen und Aruba. “Sie meinen natürlich Auskünfte über keine Steuern bezahlen”. Diese Informationen kann das Antillenhaus schon geben. Zwei Tagen später rutscht die “Niederländisch Antillische Rentenregelung”, die sogenannte Penshonadoregelung, in den Briefkasten. Aruba und die Antillen versuchen die ausgeschiedenen niederländischen Geschäftsleute, Künstler oder Medien-tycoons anzuziehen.
Kees Brusse, Schauspieler, gibt während der Werbung im Fernsehen ein Beispiel: knietief im schwülen karibischen Meerwasser, Piña Colada in der Hand, den Schirm glatt über seinen Augen. Viele NiederländerInnen folgen seinem Beispiel. Dazu ist Ausscheiden ein relativer Begriff; auch NiederländerInnen, die schon weit vor dem Erreichen des pensionberechtigten Alters ihre Schäfchen im Trockenen haben, lassen sich einige Monate pro Jahr auf den karibischen Inseln nieder. Weit weg, aber trotzdem vertraut. TV-Personalities, wie André van Duin und Corrie van Gorp (die niederländischen Fernseh-Clowns), Rijk de Gooier, Schauspieler, und Adèle Bloemendaal, Kleinkünstlerin und Schauspielerin, können sie an dem weißen Strand von Aruba und Bonaire bewundern. Jan des Bouvries (erfolgreicher Innenarchitekt) hat dort eine Wohnung und auch der Präsident der Niederländischen Bank, Duisenberg, konnte sich dem Reiz der Palmen von Bonaire nicht entziehen.
Sie haben alle das Steuerparadies der Überseegebiete Hollands natürlich nicht entdeckt. Die Niederländischen Antillen und Aruba sind wirtschaftlich durch einen einfachen Notar aus Curaçao ausgebeutet worden: Ton Smeets. Als der Zweite Weltkrieg vor dem Ausbruch stand, waren in den USA europäische Betriebe mit einer amerikanischen Filiale außerhalb der Kriegswirtschaft, vom “Fighting with the Enemy Act” bedroht. Dieses Gesetz schrieb vor, das sich in den USA befindliche Eigentum von Betrieben aus von Deutschland besetzten Gebieten, zu konfiszieren. Smeets hat den niederländischen Betrieben die Möglichkeit geboten, ihr Domizil per Adresse auf Curaçao zu wählen. Verschiedene Betriebe, darunter Philips, vermochten so den Verlust ihrer Besitzungen in der USA zu vermeiden. Der Betrieb von Smeets CITCO (Curaçao International Trust Company) verwaltet die “Briefkästen” der Betriebe im Exil.
CITCO ist heute ein bekannter Name auf den internationalen Finanzmärkten. Der Firmensitz befindet sich immer noch auf den Antillen (am Plaza Smeets, nach dem Firmengründer benannt), aber hat, wie der Sprecher von CITCO-Niederlande, J.H. Wiggers, erzählt, jetzt fast schon in jedem Land, wo es steuerlich günstig ist, eine Filiale. In den Niederlanden residiert die Firma in einem riesigen Bürokomplex des World Trade Centers Amsterdam. “Wir denken uns die Steuerkonstruktionen nicht selber aus”, sagt Wiggers. Wir sind eine Trustkompanie (Vermögensverwaltungsgessellschaft). Wenn mensch viel Geld hat, 10 oder 20 Millionen, dann verwalten wir das für sie an einer günstigen Stelle. Oder wenn sie einen Betrieb haben, dann regeln wir eine Niederlassung in einer Region, in der die Steuern minimal sind.”

Briefkastenfirmen

Im Laufe der Jahre sind viele Betriebe auf die Antillen gezogen. Auf dem Höhepunkt der Offshore-Industrie hatten mehr als dreißigtausend Unternehmen eine Filiale auf den kleinen Inseln, die zusammen gerade etwas größer als tausend Quadrat-Kilometer sind. Trustkompanien, wie CITCO, haben gute Geschäfte gemacht. Die Verwaltung einer Briefkastenfirma kann schon mehrere hunderttausend Dollar pro Jahr einbringen. Es war nicht ungewöhnlich, daß eine Trustkompanie mehr als tausend Firmen betreute und dabei rollte ganz schön der Rubel. Kein Wunder, daß die niederländischen Institutionen sich ohne Hemmungen auf den Inseln niederließen. CITCO hatte den Vorteil, die Erste zu sein, aber andere niederländische Finanzgiganten wie ABN Amro Trust, Holland Intertrust, ING Trust, F van Lanschot Management Company, Mees Pierson Trust und Rabobank Curaçao sind dem Beispiel schnell gefolgt.
Greg Elias, Vorsitzender der Vereinigung der Offshore Interessen auf Curaçao, hat in der Zeitschrift “Quote” bekundet, daß in besseren Zeiten mindestens zweihundert Milliarden Dollar pro Jahr auf die Inseln flossen. Elias: “Wir haben das Wachstum der amerikanischen Nachkriegswirtschaft finanziert.” Wenn wir die ganze Karibik zusammen nehmen, dann werden die Beträge unwahrscheinlich groß. The Latin America & Carribean Review beschreibt, daß im karibischen Offshore-Business, inklusive des Versicherungswesens, jährlich so ungefähr neuntausend Milliarden Dollar den/die EigentümerIn wechseln.
Die Regierungen der karibischen Inseln bekommen nur einen kleinen Teil dieses Betrages. 1985, im Spitzenjahr, haben die Antillen mehr als fünfhundert Millionen Gulden an Offshore-Steuergewinn eingenommen. Nur ein Klacks für die einzelnen Betriebe, aber für die antillischen Behörden hat dieser Betrag ein Viertel des Gesamthaushalts gedeckt.
Die wichtigste KundInnen haben die Antillen schon vor einigen Jahren verloren. 1987 haben die USA das Steuergesetz mit den Antillen nicht verlängert. Dieser Vertrag legte fest, daß im Vertragsland vollzogene Transaktionen nicht noch einmal im Heimatland besteuert werden. Günstig war das vor allem für in bezug auf europäischen Wertpapiere, die sogenannten “Eurobonds”, die durch das US-amerikanische Finanzministerium mit 30 Prozent besteuert werden, aber bei einer Tochterfirma auf den Antillen steuerfrei sind. Der Steuervertrag mit den Antillen wurde abgelehnt, weil die USA die Steuergelder nicht entbehren wollen.
Der Rückzug US-amerikanischer Unternehmen brachte den Antillen einen Einnahme-Verlust von mehr als 100 Millionen Gulden pro Jahr. Die halbe Milliarde Gulden, die 1985 noch gutgeschrieben werden konnte, war 1991 auf knapp zweihundert Millionen geschrumpft. Hans van Weeren, geschäftsführender Direktor des Ministeriums für Niederländisch-Antillianische und Arubanische Angelegenheiten (Kabna) sagt dazu: “Ich kann es dir sagen: Ein Verlust der Einnahmen in solcher Größenordnung bei einem Gesamthaushalt von zwei Milliarden Gulden ist ein erheblich größerer Rückschlag, als wir in den Niederlanden gewohnt sind.”
Der Einnahmenverlust wird immer größer werden, wenn die Inseln mit den Maßnahmen gegen die Drogengelder konfrontiert werden: Die Niederlande und die USA haben den Austausch von Steuer-Informationen vereinbart. Außerdem haben sie beschlossen, die Steuerpraktiken der Individuen als auch der Firmen zu untersuchen. Die Frage ist, ob die niederländischen Überseegebiete auch in das Abkommen miteinbezogen werden. Die USA wollen eigentlich nur Einblick in die “Insel-Geschäfte” ihrer BürgerInnen bekommen. Die EinwohnerInnen der Antillen sehen dem Abkommen mit Zittern und Zagen entgegen. Der vorher erwähnte Greg Elias: “Wenn der Vertrag verabschiedet wird, sind wir verloren.”

Das Jugendproblem

Offshore und Öl haben die Inseln zu dem wirtschaftlichen Wunder der Gegend gemacht. Beide haben aber viele Verluste erlitten. Vor allem der Verlust der Ölindustrie bedeutete einen harten Schlag für die Mittelklasse auf den Inseln. Bei einer Volkszählung Ende 1992 stellte sich heraus, daß die Hälfte der Erwachsenen auf Curaçao unter dem Existenzminimum leben. Die Kluft zwischen der verarmten einheimischen Bevölkerung und der augenscheinliche Reichtum der Steuer-Flüchtlinge ist gewaltig. Vor allem die Jugend hat jede Zukunftsperspektive verloren. Ein amtlicher Arbeitsausschuß bekannte im Dezember 1992: “Wir müssen leider zugeben, daß die gesamte Jugend gefährdet ist” Und: “Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß Probleme wie Drogenabhängigkeit, Teenager-Schwangerschaft, Kriminalität, Drop-Outs, Aids usw. eine große Bedrohung darstellen und schwer zu lösen sind.” Kurze Zeit nach der Veröffentlichung des Berichtes entstanden die Gerüchte von den “Problemjugendlichen”, die mit Unterstützung der lokalen Behörden zum Mutterland transportiert werden. Ob es die Wahrheit ist oder nicht, das Problem bleibt ebenso wie die Machtlosigkeit der Behörden etwas dagegen zu tun. Ein “One Way Ticket” zur Haupstadt Amsterdam ist zweifellos billiger als ein Betreuungsprogramm. Und wenn die antillianischen Behörden das Flugticket nicht selber finanzieren, dann gibt es auch noch Mittelklässler, die gerne etwas Geld übrig haben, um einem lästigen “Choller” (Obdachloser, Drogensüchtiger) zu einem Flugticket nach Amsterdam zu verhelfen. Wozu die reichen AusländerInnen natürlich beifällig zuschauen, weil ein/e “RuheständlerIn” keine Lust auf ein Rotlicht Viertel um die Ecke hat.
Eine Briefkastenfirma kann vielleicht schlafen oder inaktiv sein, aber der Chef muß ab und zu mal vorbei kommen. Curaçao hat deswegen auch einige Stellen, wo sich die niederländischen Geschäftsleute begegnen. Die Atmosphäre in dem Avila Beach Hotel ist leicht mit der im zehntausend Kilometer weit entfernten “barretje Hilton” an der Herbergierenstraat in Amsterdam zu vergleichen. Albert Heyn (Supermarkt Gigant), die Königsfamilie Van Oranje Nassau: sie übernachten alle im Avila Beach und wie im Amsterdamer Hilton mischen sich die ehrwürdigen Eliten problemlos mit wohlhabenden Leuten von zwielichtiger Gestalt.

Die vorteilhaften steuerlichen und finanziellen Konditionen, die Nähe zur USA, Lateinamerika und natürlich die Beziehung zu Europa haben auch zwielichtige Firmen angezogen. Der französische Journalist, Fabrizio Calvi, veröffentlichte im vorigen Jahr das Buch “Das Europa der Paten”, worin er einige Passagen der Präsenz der italienischen Mafia widmet. “Die Inseln sind schon völlig von der Mafia übernommen worden”, schreibt Calvi. “Sie lagern Drogen und verschicken sie wieder. Sie investieren ihr schmutziges Geld und waschen es weiß. Sie besitzen Kasinos, Hotels und Betriebe und da ist niemand da der “Nein” sagen kann. Sie haben die Inseln zu ihrem eigenen Territorium gemacht, auf ähnliche Weise wie Palermo das ist.(…) Jede/r profitiert davon, jede/r hat mehr oder wenig damit zu tun und wie auf Sizilien redet niemand darüber.
Die italienischen Zeitung “Corriera della Sera” nannte Aruba, den ersten Staat, der von den Bossen der “Cosa Nostra” (italienischer Mafia-Clan) aufgekauft worden sei. Der Zeitung zufolge sind sechzig Prozent der Insel in den Händen der italienischen Familien Cuntrera und Caruana, mit dem Beinamen “Die Rothschilds des Drogengeschäfts”. Auch sollen die Familien die Wahl von Premier Nelson Oduber sicher gestellt haben.
Einiges wird beschrieben im Buch “Schuldenboemerang” (Schuldenbumerang). Die niederländischen Autoren Joost Oorthuizen und Tom Blickman zitieren den nordamerikanischen Anwalt Jack.C.Blum, der für den US-amerikanischen Senat die “Geldwäschereien” von Panamas Manuel Noriega erforscht hat: “Die Niederländer sollten der Tatsache mehr Aufmerksamkeit widmen, daß ihre Übersee-Inseln zu Freihäfen für international operierende Gangster geworden sind. Wenn man Aruba zum Beispiel nimmt, sieht mensch, daß diese Insel vom Medellín-Kartell und der sizilianischen Mafia überschwemmt wurde: sie bringen mehr Geld auf dem Insel als die ganze Tourismusindustrie. Ein Land kann solche finanziellen Transaktionen nicht unter der Bezeichnung Freihandel weiterwuchern lassen.
Den Autoren gemäß sind die Konstruktionen von Steuerhinterziehung und das Weißwaschen von “Dinero Caliente” (durch zweifelhafte Geschäfte verdientes Geld) identisch. Die renommierten Banken, die ihre Filialen auf den Inseln errichtet haben, um Philips und Albert Heyn bei ihren Geschäften zu unterstützen, haben jetzt auch mehrere lateinamerikanischen KundInnen. Oorthuizen und Blickman: “Bei Verhören vor der Kommission des US-amerikanischen Senats erklärte eine vormalige Mitarbeiterin von Noriega, daß die niederländische ABN-Bank einer der favorisierten Banken des panamesischen Diktators war”. Das sind ernsthafte Anklagen. Bei dem Centralen Recherche Inlichtingendienst, CRI (Auskünftedienst) wollte Pressesprecherin Irma Vogel “keine Mitteilungen” dazu geben. Auch die einfache Frage, ob eine Untersuchung zu diesen merkwürdigen Geschäften eingestellt wurde, wollte der CRI nicht beantworten.

Friendly Island

Auf der kleineren und übersichtlicheren Insel Sint Maarten ist es schon schief gelaufen. Auf dem ausgewachsen Atoll verzehnfachte sich die EinwohnerInnenzahl in einigen Jahrzehnten. Die Tourismusindustrie, die von den täglich in Philipsburg anlegenden Kreuzfahrtschiffen profitiert, ist die Triebfeder in der Inselwirtschaft. Aber mit diesen TouristenInnendollars kam die Korruption und damit war die Hölle los. Wer Sint Maarten sagt, denkt an Korruption. Albert Claudius (Claude) Wathey (67) ist der ungekrönte König von Sint Maarten. Mit seiner Demokratischen Partei Sint Maarten hat er schon viele Jahrzehnte “the friendly island” mit Kleptokratie regiert.
Ursprünglich arbeitete er in dem Betrieb seiner Familie, in der Schiffahrt, Luftfahrt, Versicherungen und Tourismus. Diese Interessen wußte er ohne Probleme mit seiner Mitgliedschaft im Inselrat und als Mitglied in der Inselföderation zu verbinden In den letzten Jahren sind verschiedene dubiose Geschäfte in der niederländischen Presse veröffentlicht worden und immer wieder wird dabei der Name von Wathey erwähnt. Der alte Boß ist guter Freund mit den ItalienerInnen, die ein Einkaufszentrum, Kasino oder Hotel nach dem anderen auf dem Felsenboden errichten. Nur wenig Leute zweifeln daran, daß die benötigten Millionen “caliente” sind und ein Teil davon erhält der Wathey-Clan. In der niederländischen Zeitschrift, Vrij Nederland, hat der Publizist Thomas Ross geschrieben, daß Wathey und seine Freunde 250 Millionen Gulden pro Jahr an dem Kasino-Tourismus verdienen. Ein Betrag, der die 10 Millionen niederländische Entwicklungshilfe bei weitem übersteigt.
Jahrelang ließ Wathey sich von niemanden beirren. Die Niederlande hatte damit keine Probleme. “They come to wine and dine” sagen die InselbewohnerInnen spöttisch über die niederländischen PolitikerInnen, die die letzten Jahrzehnten zur Kontrolle kamen. Ein Essen hier, eine Fahrt mit einem Schiff dort, ein Glückspiel im Kasino und die niederländischen PolitikerInnen gehen wieder zufrieden nach Hause: verabschiedet von ihren antillianischen FreundInnen, die sich gleich wieder ihren italienischen oder kolumbianischen GeschäftspartnerInnen fügen.
Die Bestürzung war groß, als der Justizminister Hirsch-Ballin sich als ein steifer, konservativer “Macamba” entpuppte, der nicht an der Genußsucht der “Merengue-Gesellschaft” interessiert war. “Professor Hip Hop” oder “King Tiptoe” wird der Minister wegen seines hüpfenden Schrittes genannt. Professor Hiphop hat kein Gras über die Sache wachsen lassen. Seit Juli 1992 werden die Inseln ganz gut beobachtet. Jede Ausgabe über 25 Tausend Gulden muß von dem Gouverneur in Willemstadt bewilligt werden. Im Februar dieses Jahres wurde der Aufsichtstatus durch den Status von Kuratele ersetzt. Durch diesen wurde ein spezieller Aufsichtsführer beauftragt auf den Inseln nach dem Rechten zu sehen. Damit hat der Hirsch-Ballin übrigens ein beträchtlichen Fehler gemacht. Sein Aufsichtsführer Russel Voges hatte bei Ankunft auf Sint Maarten fast gleich eine Beziehung mit der Anwältin von Claude Wathey. Zufall oder nicht, seitdem hat die Bevölkerung dem Aufsichtsführer keine Aufmerksamkeit mehr geboten.
Wathey hat sich in Februar 1993, beleidigt wegen des Mißtrauens aus Den Haag, aus der Öffentlichkeit der Insel zurückgezogen. Niemand zweifelt daran, daß der “Ölmann” alle Fäden immer noch fest in der Hand hat.
Die Nähe der italienischen Mafia oder der kolumbianischen Kokainbarone bedeutet für das internationale Geschäftsleben kein Hinderungsgrund, sich auf den Inseln niederzulassen. Für nordamerikanische Betriebe ist die große Anziehungskraft der Insel überwiegend verschwunden, aber für die niederländischen Betriebe lohnt die Antillen-Konstruktion immer noch. Auf den Antillen niedergelassene Betriebe brauchen keine oder nur sehr wenig Steuern auf Einnahmen, die sie außerhalb des Insels erzielen, zu bezahlen.
Die niederländische Behörden versuchen eilig das Loch in der Steuergesetzgebung der Inseln zu stopfen. Zur Zeit zirkuliert ein Vorentwurf eines Gesetzes unter Sachverständigen und BeamtInnen, mit der Absicht in Zukunft einen “Fair Share”(gerechten Anteil) des Steuergewinns zu erhalten. Vor allem der Umzug einer Firma in ein anderes Land versucht die niederländische Regierung zu erschweren. Das bedeutet ein neuer Schlag für die antillianische Offshore-Industrie. Für den einfachen Millionär oder den/die “geschätzte BürgerIn” gibt es dann immer noch die “Ruhestands-Regelung”.
Um in deren Genuß zu kommen, darf mensch fünf Jahre vor Inkrafttreten der Regelung nicht auf den Inseln gelebt haben, muß auf den Antillen ein Haus im Wert von mindestens 225 000 Gulden (1 Gulden ca. 0.95 DM) besitzen, muß eine nicht-antillianische Pension beziehen und muß eine/n AntillianerIn für mindestens dreißig Stunden pro Woche zum Beispiel als HaushälterIn anstellen.
Ein Mindestalter gibt es nicht. Es gibt auf den Antillen RentnerInnen, die um die zwanzig Jahre alt sind.
Wenn mensch den Bedingungen entspricht, ist der/die “RentnerIn” in der Karibik herzlich willkommen und bezahlt er oder sie nicht mehr als 5 Prozent Einkommenssteuer mit einem Maximum von 66 000 Gulden (erreicht bei einem Einkommen von mehr als 1,32 Millionen). Wenn überhaupt Steuern bezahlt werden. Bis heute sind 350 000 Steuerveranlagungen noch nicht eingetrieben.

Die Niederländischen Antillen (NA), bis 1947 Niederländisch- Westindien genannt, bestehen aus sechs Inseln und liegen mitten in der Karibik: Fünf wurden als Föderation mit innerer Selbstver¬waltung in das ndl. Königreich integriert, Aruba erhielt 1986 einen Sonderstatus (Status Aparte). Curaçao, Aruba und Bonaire gehören zu den “Inseln unter dem Wind” (Benedenwindse Antillen), Saba, Sint Eustatius und Sint Maarten zu den “Inseln über dem Wind” (Bovenwindse Antillen). Haupstadt der NA-Föderation ist Willemstad auf Curaçao.
Die wirtschaftliche Bedeutung der NA hat sich mehrmals geändert. Zuckerplantagen auf Curaçao und Aruba wurden Ende des 19. Jahrhunderts durch den Anbau von Phosphat abgelöst. Nach dem 1. Weltkrieg brachte die Erschließung der Erdölvorkommen in Venezuela und der anschließende Aufbau von Großraffinerien auf den NA einen grundlegenden Wandel der Wirtschaftsstruktur und Lebensverhältnisse. Die beiden Inseln wurden zu “Ölinseln”. In den 70er und frühen 80er Jahren wurde die Krise der Ölindustrie durch eine Scheinblüte der finanziellen Dienstleistungen überla¬gert, bei der sich die NA als Steuerparadies für internationale Briefkastenfirmen anboten. Aber diese Geschäfte sind rückläufig, seitdem die USA und die Niederlande ihre Steuergesetze geändert haben. Durch Ansiedlung von arbeitsintensiven Fertigungsbetrieben in Freihäfen auf Curaçao und Aruba und durch Förderung des Tourismus versuchte die Regierung zu reagieren. Der florierende Tourismus, hat zusammen mit den undurchsichtigen Offshore-Finanzgeschäften zum Ausgleich der Zahlungsbilanz beigetragen. Die NA haben im lateinamerikanischen und karibischen Vergleich ein sehr hohes Pro-Kopf-Einkommen erreicht. Die Löhne und die Preise liegen sogar auf oder über dem niederländischen Niveau. Nur Saba und Sint Eustatius sind auf die beträchtliche Entwick¬lungshilfe der Niederlande angewiesen. Zusammen erhalten die NA und Aruba rund 5 Prozent der gesamten ndl. Entwicklungshilfe, etwa 300 Mio. Gulden pro Jahr oder etwa 1100 Gulden pro Kopf.
Das politische Leben der selbstverwalteten Föderation wird seit 1954 von einem Patronagesystem geprägt. Lokale Patrone kontrollieren das politische Geschehen und pflegen einen ausgeprägten Inselpartikularismus. Seit den Wahlen von 1990 regiert eine Koalition aus der von Korruption ge¬prägten konservativen Nationalen Volkspartei von Maria Liberia Peters und der Neuen Antillen¬bewegung, der von Don Martina geführten “Partei der reinen Hände” gegen Patronage und Kor¬ruption. Mit der Koalition dieser zwei unterschiedlichen Parteien hat die Neue Antillenbewegung leider ihre reinen Hände verloren und Korruption bleibt immer noch ein Alltagsproblem.
Quelle: Nohlen/Nuschler, Handbuch der Dritten Welt, Bd. 3, 1992.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren