„Die Gemeinden profitieren nicht von touristischen Projekten“
Interview Mit dem Aktivisten Wilmar Matarrita über die Versuche, in Costa Rica alternative Entwicklungsmodelle zu fördern
Guanacaste gehört zu den meistbesuchten Provinzen des Landes. Millionen von US-Dollar sind in den vergangenen Jahren in das Tourismusgeschäft in der Region geflossen. Wie erklärt es sich, dass die Provinz trotzdem weiterhin zu den ärmsten des Landes gehört?
Die Ursachen für die fehlenden sozialen Fortschritte in Guanacaste sind im von den verschiedenen costaricanischen Regierungen geförderten Entwicklungsmodell zu suchen. Dieses gründet auf touristischen und agroindustriellen Großprojekten. Dabei gibt es keine Verknüpfung zwischen den immensen Gewinnen aus den Hotelkomplexen an der Küste und der Entwicklung der lokalen Gemeinden. Ständig steigende Bodenpreise und Grundstückspekulationen haben stattdessen zum Aufkauf der besten Böden durch zumeist ausländische Investoren und zur zunehmenden Vertreibung der lokalen Bevölkerung geführt.
Inwiefern fehlt eine Verknüpfung zwischen dem Investitionsboom und der Entwicklung der lokalen Gemeinden?
Das Problem bei dieser Art von touristischer Entwicklung ist, dass ein bedeutender Teil des Geldes oftmals gar nicht im Land ausgegeben wird. Die Besucher aus Nordamerika und Europa bezahlen für ihre Ferien in der Regel einen Pauschalpreis in ihren Herkunftsländern, wovon in erster Linie die Reiseanbieter profitieren. Der Rest des Geldes fließt fast ausschließlich in die lokalen Hotelkomplexe der Luxusklasse. Letztere beziehen ihre Ausstattungen zumeist bei Großverteilern in der Hauptstadt San José oder im Ausland. Auch Nahrungsmittel wie Gemüse, Früchte und Fleisch werden oftmals aus San José hergebracht. Mit anderen Worten: Die lokalen Produzenten profitieren nicht von der Ansiedlung der touristischen Megaprojekte.
Welche aktuellen Entwicklungen lassen sich beobachten?
Trotz globaler Finanz- und Wirtschaftskrise werden weiterhin Millionen in überdimensionierte Hotelkomplexe investiert. In der nördlichen Grenzregion zu Nicaragua entwickelt die nicaraguanische Unternehmerfamilie Pellas ein touristisches Megaprojekt. Weiter im Süden haben wir das Luxushotel Melia Playa Conchal, welches sich sehr stark entwickelt und seine Ländereien beträchtlich ausgedehnt hat. Der ganze Hotelkomplex nimmt inzwischen eine Fläche von 5.000 Hektar ein. Hinzu kommen zahllose Privatvillen, welche an Investoren oder Rentner aus Europa und den USA verkauft oder vermietet werden. Das Angebot vieler touristischer Großkomplexe umfasst außerdem oftmals Golfplätze, künstliche Seen oder Schwimmbäder, was einen sehr hohen Wasserverbrauch und entsprechende Umweltbelastungen zur Folge hat.
Welche Rolle spielen die Zentralregierung und die jeweiligen Lokalregierungen bei der Umsetzung des dominierenden Entwicklungsmodells?
Die Wirtschaftspolitik, die in Guanacaste angewandt wird, wurde von der Zentralregierung in San José entwickelt. Mit Sondergesetzen und Dekreten werden großkapitalistische Tourismus- und Agrarprojekte gefördert. Dabei kommt es auch immer wieder zur Verfilzung von Interessen oder sogar zu Korruptionsfällen. Die Gemeinden spielen eigentlich eine untergeordnete Rolle bei dieser Entwicklung. Allerdings erteilen diese oftmals die notwendigen Baubewilligungen, weshalb sie die Tendenz zu touristischen Megaprojekten letztlich mitfördern. Außerdem sind die Kontrollen der Gemeinden oft ungenügend. Teilweise erfahren diese erst von einem Bauvorhaben, wenn bereits die Bagger auffahren oder wenn die Hotelkomplexe ihr Grundwasser anzapfen.
Wie reagiert die lokale Bevölkerung auf diese Tendenzen?
Mit Widerstand. Etwa in Sardinal im Kanton Carrillo, wo sich Unternehmer an der lokalen Wasserquelle bedienen wollten, um ihr touristisches Megaprojekt mit Trinkwasser zu versorgen. Oder im gleichen Kanton weiter im Süden, wo die transnationale Hotelkette Riu ein 5-Sterne-Hotel baut. Dessen Bau hat massive Umweltzerstörungen zur Folge. Inzwischen sind mehrere Klagen von lokalen Bewohnern gegen das Projekt eingereicht. Oder auch im Zusammenhang mit dem Tourismuskomplex Papagayo, einem der größten des Landes. Um dessen Entwicklung zu fördern, hat der ehemalige Präsident Oscar Arias einen Monat vor Ende seiner Amtszeit per Dekret die Grundstücksteuer auf einen US-Dollar pro Quadratmeter beschränkt – ein lächerlicher Preis für einige der höchstbewerteten Ländereien Costa Ricas. Inzwischen probt die Bevölkerung auch dort den Widerstand.
Auch auf nationaler politischer Ebene formiert sich Widerstand. Unter der Federführung FEDEAGUAS hat eine Gruppe von 64 Gemeinden aus den Provinzen Guanacaste, Puntarenas und Limón einen Gesetzesvorschlag zur Neuregulierung der Küstengebiete Costa Ricas eingereicht. Worin besteht die Vorlage?
Die bestehende nationale Gesetzgebung reguliert die Nutzung der Küstengebiete. Die äußersten 50 Meter sind unantastbar, diese dürfen grundsätzlich nicht genutzt werden. Die inneren 150 Meter hingegen können in Konzession vergeben werden. Die touristische Entwicklung Guanacastes basiert vor allem auf diesem 150 Meter breiten, inneren Küstenstreifen. Viele dieser Ländereien wurden in den vergangenen Jahren im Rahmen von touristischen Projekten an in- und ausländische Großinvestoren konzessioniert und als Folge die lokale Bevölkerung vertrieben. Unser Gesetzesvorschlag will dieser Entwicklung entgegentreten. Die entsprechenden Küstengebiete sollen künftig an die dortigen Bewohner, aber nicht mehr für touristische Großprojekte vergeben werden können. Die Ländereien sollen unter anderem während 70 Jahren an Familienmitglieder weitervererbt und deren Besitzer von allen Grundstücksteuern befreit werden. Diese sollen außerdem Subventionen für Wohnungsbau beantragen können und einfacher zu Krediten kommen. Zu deren Rechten würde auch der Aufbau kleinerer touristischer Infrastrukturen gehören. Und schließlich sieht die Initiative auch Mechanismen zur gemeindlichen Selbstverwaltung vor.
In welcher Phase befindet sich der Gesetzesvorschlag?
Die Umweltkommission des nationalen Parlaments hat die Vorlage vergangenes Jahr einstimmig verabschiedet. Dank einer Motion (besondere parlamentarische Initiative, Anm. d. Red.) ist das Projekt inzwischen von der Position 99 auf Position 4 der Parlamentsordnung vorgerückt. Wir hoffen, dass die Vorlage dank intensiver Mobilisierungs- und Lobbyarbeit noch in der aktuellen, bis Ende April laufenden Session, behandelt wird.
Ermutigende Entwicklungen gibt es nicht nur im Zusammenhang mit dem Gesetzesvorschlag zur Regulierung der Küstengebiete, sondern auch bezüglich der Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Was können Sie uns hierüber erzählen?
Von FEDEAGUA fördern wir unter anderem die Bildung sogenannter ökologischer Gemeinden eine Art Label, das auch von den Gemeinden anerkannt und in ihre Entwicklungspläne miteinbezogen wird. Inzwischen gibt es sogar zwei Gemeinden, die für dieses Projekt Gelder zur Verfügung stellen. Gerade gegen eine finanzielle Beteiligung haben sich in der Vergangenheit die meisten Gemeinden immer wieder gesträubt. Sie haben sich dabei auf den Standpunkt gestellt, dass ihre Hauptaufgaben Infrastrukturarbeiten wie Abfallentsorgung oder den Unterhalt der Straßen beträfen.
Worin besteht dieses Projekt?
Es geht um die Förderung nachhaltiger Bewirtschaftungssysteme in verschiedenen kleinbäuerlichen Gemeinden. Wir hoffen nun, dass die Haltung der beiden Gemeinden, welche das Projekt unterstützen, einen Widerhall bei anderen Gemeinden findet. Insbesondere auch bei denjenigen, die an den Küsten liegen. Letztlich soll damit zu einem alternativen Denken und Handeln beigetragen werden, das in der gesamten Provinz konkrete Verbesserungen für die lokale Bevölkerung schafft.
Kasten: Wilmar Matarrita
ist Koordinator des Ökumenischen Forums zur alternativen Entwicklung Guanacastes (FEDEAGUA) in Costa Rica und ehemaliger Parlamentskandidat der Linkspartei Frente Amplio. Der Anwalt und Aktivist setzt sich für eine nachhaltige Entwicklung und Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in der vom Massentourismus erschlossenen Pazifikküste Costa Ricas ein.