Brasilien | Nummer 491 - Mai 2015

Die Hintertüren der Konzerne

Brasilien und Mosambik unterzeichnen Vertrag über Zusammenarbeit und Förderung von Investitionen

Brasilien und Mosambik unterzeichneten in Maputo einen bilateralen Investitionsschutzvertrag und bezeichnen den Vertrag als „neues Modell“, da die klassischen Inhalte bilateraler Investitionsverträge wie Streitschlichtungsmechanismen vor internationalen Schiedstribunalen neu und anders formuliert seien. Aber es gibt Kritik.

Christian Russau

Am 30. März haben Brasilien und Mosambik in der Hauptstadt des ostafrikanischen Landes Maputo den Vertrag über Zusammenarbeit und Förderung von Investitionen unterzeichnet (ACFI). Dieser wurde laut Mitteilung des brasilianischen Außenministeriums Itamaratys „in Abstimmung mit dem Privatsektor“ erarbeitet und ist vor allem vor dem Hintergrund von brasilianischen Auslandsinvestitionen in Mosambik in Höhe von 9,5 Milliarden US-Dollar zu sehen. Brasilien stellt somit in Mosambik einen erheblichen Anteil der ausländischen Direktinvestitionen: Laut Weltbankdaten hat sich dieser Zufluss in den Jahren von 2010 bis 2013 von 1,2 Milliarden US-Dollar auf 6,7 Milliarden US-Dollar mehr als verfünffacht.
Brasilianische Konzerne sind in Mosambik vor allem im Bereich der Energie, Bauwirtschaft, Infrastruktur und Kohleförderung tätig. Brasiliens Bergbauriese Vale fördert in den Minen von Moatize seit 2011 Kohle und sieht das Potential der dortigen Mine bei 18-22 Millionen Tonnen Kohle jährlich. Damit ist Moatize eine der größten Kohleminen weltweit. Die brasilianischen Baufirmen Camargo Corrêa und Odebrecht bauen an mosambikanischen Staudämmen, Straßen und dem Ausbau des Zugnetzes mit.
Aber auch die Landwirtschaft Mosambiks steht im Fokus brasilianischer Investitionen. So haben Brasilien und Japan mit Mosambik eine sogenannte trilaterale Kooperation unter dem Namen ProSavana gegründet (siehe LN 466), die die Landwirtschaft im Norden Mosambiks „wettbewerbsfähig und nachhaltig“ machen soll. Vorbild ist dabei die Agrarindustrie in der brasilianischen Trockensavanne Cerrado, eine klimatisch vergleichbare Region. Dazu soll auch die brasilianische Privatwirtschaft, also die Farmer*innen der industrialisierten Landwirtschaft von Brasiliens Mittleren Westen, nach Mosambik gelockt werden – auch für diese ist der neue Investitionsschutzvertrag zwischen Brasilien und Mosambik gedacht.
Der Vertrag selbst will, laut Artikel 1, „die Kooperation zwischen den Vertragsparteien erleichtern und dadurch die gegenseitigen Investitionen fördern“. Doch wie es in den bilateralen Investitionsschutzverträgen (BIT) Deutschlands mit seinen weit über 100 BITs historisch schon immer der Fall war, gehen solche „gegenseitigen“ Verträge oft an der Realität vorbei. So wie Deutschland seine ausländischen Direktinvestitionen im Ausland durch BITs schützen will, während die anderen Vertragsparteien selbst meist so gut wie keine Investitionen „zum Schützen“ in Deutschland haben, so hat auch Mosambik derzeit kaum Investitionen in Brasilien, die es zu schützen gelte.
Was aber ist neu und anders an dem Vertrag zwischen Brasilien und Mosambik? Zentraler Punkt des jüngst zwischen den beiden Ländern geschlossenen BITs sind zwei Dinge: Erstens die weitreichenden Entscheidungsbefugnisse des Gemeinsamen Komitees (Comitê Conjunto) und zweitens die besondere Art des internationalen Streitschlichtungsmechanismus. Alle gegenseitige Investitionen betreffenden Sachverhalte, die von den einzurichtenden Ombudsstellen nicht geklärt werden können, werden in dem Comitê Conjunto besprochen und alle eventuellen Konflikte um Investitionen werden ausschließlich dort verhandelt. Erst wenn dieses Gremium zu keiner Einigung gelangt, greifen sogenannte internationale Schiedsgremien. Und hier liegt das „Neue“ an dem „Neuen Modell von Investitionsschutzverträgen“ – oder, wie die brasilianische Wirtschaftszeitung Valor Econômico es umschrieb: das „Light Modell“.
Denn Artikel 15 des Vertrags zur Streitschlichtung sieht unter Punkt 6 vor: „Falls es nicht möglich ist, den Streit zu schlichten, können die Vertragspartner auf Streitschlichtungstribunale zwischen Staaten zurückgreifen“. Aber diese Tribunale können nur solche sein, „die von dem Gemeinsamen Komitee selbst eingesetzt und von allen Vertragsparteien akzeptiert wurden“. Damit bleiben die Internationalen Streitschlichtungstribunale wie die Weltbanktochter ICSID, der London Court of International Arbitration oder die International Chamber of Commerce in Paris außen vor – und auch deren Intransparenz und nahezu ausschließlich auf Wirtschaftsschutz bedachten Regularien und Grundsätze zum Wohle der transnationalen Konzerne und deren „Rechtsschutz“. Stattdessen sieht der Vertrag zwischen Mosambik und Brasilien eben nicht eine „Investor-to-State“-Klagemöglichkeit, sondern – wie bei den WTO-Streitschlichtungsmechanismen – einen internationalen Streitschlichtungsmechanismus vor, der von und zwischen den Staaten geschaffen werde. Die klagende Vertragspartei, also der Staat, dessen Investor sich diskriminiert fühlt, ergreift dessen Partei und führt für diesen gegen den host-state Klage. Der Investor kann also anders als bei den „klassischen“ BITs nicht autonom klagen, sondern muss erst seine Regierung überzeugen. Brasiliens Außenministerium, das dieses „neue“ Light-Modell im Auftrag der brasilianischen Regierung erarbeitet hat, preist es deshalb als eine neue Generation von internationalen Investitionsschutzverträgen an. Brasilien verhandelt seit geraumer Zeit mit einer Reihe von Staaten seine „neue Generation“ von internationalen Investitionsschutzverträgen. Einen Tag nach der Unterzeichnung in Maputo reisten die Brasilianer*innen nach Luanda, um auch mit Angola solch ein Abkommen zu schliessen. Derzeit verhandelt Brasilien noch mit Südafrika, Algerien, Malawi, Marokko und Tunesien.
Mit dem am 30. März 2015 in Maputo geschlossenen Vertrag mit Mosambik hat Brasilien den ersten Investitionsfragen betreffenden internationalen Vertrag seit 20 Jahren unterzeichnet. Mosambik hingegen hat damit seinen zwei Dutzend BITs ein weiteres hinzugefügt. Brasilien seinerseits bildet einen der wenigen Sonderfälle weltweit: Denn der Staat ist eines der wenigen Länder, dass noch keines seiner BITs ratifiziert hat. In den Jahren von 1994 bis 1999 hatte die Regierung von Fernando Henrique Cardoso 14 BITs unterzeichnet, aber der Kongress keines davon ratifiziert.
Der Grund: Für die damals noch in der Opposition befindliche Arbeiterpartei PT war klar, dass ein BIT gegen Artikel 1 der brasilianischen Verfassung verstoße, der die Souveränität des Landes definiere. Zweitens verstoße es mit seinen Bestimmungen über ausländische Schiedsgerichte gegen das Gleichheitsgebot, da diese nur den ausländischen Investor*innen, aber nicht den inländischen zur Verfügung stünden, inländische Investor*innen also benachteilige. Letztlich, so die PT damals, bestünde durch diese BITs die Gefahr einer Aushöhlung der Demokratie, wenn im Ausland gelegene Schiedsgerichte über inländische Politikmaßnahmen zu Gericht sitzen würden. Der PT gelang es Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre mehrmals, im Kongress die Mehrheiten für die Ratifizierung dieser 14 BITs zu unterbinden. Nun aber sieht Brasiliens Regierung, deren Präsidentin mit Dilma Rousseff von der PT gestellt wird, die Sache offenbar anders: Schließlich müssen ja die Investitionen der brasilianischen Konzerne in Mosambik geschützt werden. Da sich Rousseff und das Außenministerium dieser Kritik an den klassischen BITs durchaus bewusst sind, hatte das Itamaraty in langjähriger Arbeit nun dieses sogenannte „Light Modell“ der bilateralen Investitionsschutzabkommen erarbeitet, denn noch Alt-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte ein „neues Modell“ von Investitionsschutzabkommen angekündigt.
Das Abkommen wirft aber dennoch Fragen auf: Vor dem Hintergrund der anhaltenden Proteste von mosambikanischen Anwohner*innen gegen den brasilianischen Multi Vale, dessen Kohleabbau ihnen ihre Lebensgrundlage vor Ort entzieht (siehe LN 431), oder vor dem Hintergrund der Befürchtung mosambikanischer Kleinbäuer*innen, durch das ProSavana-Projekt verlören sie ihr Land, bleiben erhebliche Zweifel bestehen, ob nicht doch wieder die Investor*innenrechte als höherwertig angesehen werden als die Rechte der lokalen Anwohner*innen. „Der brasilianische Staat wird durch diesen Vertrag die Unternehmerinteressen als gleichsam nationale Interessen vertreten“, kritisiert die Dozentin für Sozial- und Politikwissenschaft an der Ländlichen Bundesuniversität Rio de Janeiro (UFRRJ) und Mitarbeiterin der Nichtregierungsorganisation PACS, Ana Saggioro Garcia. „So versuchen die Konzerne, den Staat vor ihren Karren zu spannen – und der demokratische Entscheidungsspielraum bleibt auf der Strecke“, so Garcia.
Zudem haben international agierende Konzerne immer noch eine Hintertür. Dies erhellt ein Blick auf Bolivien und das Jahr 2006. Der bolivianische Präsident Evo Morales verabschiedete damals das Dekret 29122, das dem Staatskonzern Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos die Monopolstellung garantierte. Dies übte Druck auf den brasilianischen Erdölriesen Petrobras und Brasiliens Regierung aus (siehe LN 384). Bolivien kündigte an, die Petrobras-Liegenschaften in Bolivien aufzukaufen, während der Ölmulti drohte, sich gegen die gefühlte Enteignung durch einen zu niedrigen Kaufpreis zur Wehr zu setzen. Brasiliens damaliger Präsident Lula vermittelte – Bolivien und Petrobras einigten sich letztlich auf einen etwas höheren Kaufpreis, da Lula im Gegenzug dafür einen etwas höheren Preis für das Gas akzeptierte, das Brasilien von Bolivien importierte. Aber Petrobras hatte bei dem Ganzen einen Trumpf in der Hand, der sowohl Morales als auch Lula durchaus bewusst war: Wäre es zu einer „diskriminierenden“ Enteignung oder Teilenteignung von Petrobras in Bolivien gekommen, hätte der Ölkonzern den bolivianischen Staat vor ein internationales Schiedstribunal wie das ICSID zerren können. Zwar hat Brasilien selbst eben keinen bilateralen Investitionsschutzvertrag ratifiziert, Bolivien aber schon, unter anderem mit den Niederlanden. Und Petrobras hatte ihre bolivianischen Niederlassungen schon vor Jahren einer ihrer eigenen Tochtergesellschaften überschrieben, die ihren Sitz eben in den Niederlanden hat.
Auch Mosambik hat wie Bolivien bilaterale Investitionsschutzverträge ratifiziert, darunter sind auch wieder die Niederlande mit von der Partie. Sowohl Vale als auch Camargo Corrêa und Odebrecht besitzen Tochtergesellschaften in den Niederlanden, die zudem mit niedrigen Steuersätzen locken. Es bleibt abzuwarten, wann die ersten brasilianischen Farmgesellschaften die landwirtschaftlichen Flächen in Mosambik über ihre beispielsweise niederländischen Tochtergesellschaften registrieren lassen, wenn ProSavana dann so richtig losgeht.

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