Nummer 403 - Januar 2008 | Sachbuch

Die Revolution ist ein Buch

Ein eindrucksvoller Bildband mit Plakaten des befreiten Nicaragua

Brigitte Hauschild

Großformatig und schwer kommt es daher. Und was schon das Äußere verspricht, hält auch der Inhalt. Die Revolution ist ein Buch und ein freier Mensch ist etwas Besonderes. Die umfangreiche Sammlung von Plakaten, Postern und Bildern aus dem revolutionären Nicaragua kann beides: Erinnerungen wecken bei ZeitzeugInnen, aber auch Geschichten für jüngere Menschen erzählen. Komplettiert werden die vielfältigen Bilder durch Textbeiträge. Diese wurden von NicaraguanerInnen, die selbst ProtagonistInnen der Revolution waren, oder von Deutschen, die diese Revolution unterstützt und begleitet haben, verfasst.
Besonders die Beiträge der NicaraguanerInnen sind eine Fundgrube der historischen Analyse und regen zum Nachdenken über das heutige Nicaragua an. Die Beiträge der deutschen AutorInnen hingegen rufen jenen Enthusiasmus in Erinnerung, mit dem in den 1980er Jahren Hunderttausende in vielen Ländern der Erde diese Revolution begleitet und solidarisch unterstützt haben. Die Solidaritätsgruppen in Deutschland haben nicht nur den Traum von einer besseren Welt mit geträumt, sondern waren auch bereit, aktiv mitzuarbeiten, um ihn Realität werden zu lassen. Dieser„brennenden Leidenschaft“ haben sie in den Plakaten und Postern Ausdruck verliehen, mit denen dieses Buch ein Wiedersehen erlaubt.
Die Plakate sind sehr kraftvoll in ihren Aussagen. Es ist ein Kunstgenuss und faszinierend zu sehen, welch künstlerische Inspiration diese Revolution freigesetzt hat. Sie lassen die Aufbruchstimmung noch einmal aufleben, die nach dem Sturz der Somoza-Diktatur 1979 in der Bevölkerung Nicaraguas herrschte. Sie war der Motor, die Menschen waren bewegt von der Vision gerechterer Gesellschaftsverhältnisse. Dafür waren viele Menschen bereit, ihr Leben einzusetzen. Denn die nicaraguanische Revolution, auch dies zeigen viele Plakate, konnte sich nicht ungestört und im Frieden entwickeln. Die US-Regierung unter Ronald Reagan betrachtete die mittelamerikanischen Staaten als ihren Hinterhof und wollten ein zweites Kuba um jeden Preis verhindern.
All dies belebt das Buch noch einmal. Die unbeschreibliche Kraft, Phantasie, Einsatz- und Opferbereitschaft der Bevölkerung. Aber auch den tiefen Optimismus und die Einsatzbereitschaft derer, die wir diese Revolution begleitet oder in Nicaragua unterstützt haben. Gemeinsam setzten wir uns ein für ein menschenwürdiges Leben aller in Nicaragua. Das Recht für alle auf Gesundheit und Bildung, das Recht auf Arbeitsplätze, die Durchsetzung von Gleichheit zwischen den Geschlechtern. Alles schien möglich, weil die Bereitschaft dafür zu kämpfen in der Bevölkerung so tief verankert war.
Die Textbeiträge der NicaraguanerInnen vermitteln aber auch Einsichten, die die Solidaritätsbewegung damals teilweise nicht wahrhaben wollte. Dies gilt besonders für Sofía Montenegros Betrachtungen über die Plakate der Frauenbewegung und die sandinistische Frauenorganisation AMNLAE. Der Beitrag führt deutlich vor Augen, wie sehr die Frauen schon unter der damaligen Regierung von Daniel Ortega darum kämpfen mussten, Frauenrechte einzufordern und durchzusetzen. Und sich nicht lediglich für berechtigte Ziele der Revolution, wie zum Beispiel die Alphabetisierung, instrumentalisieren zu lassen. Sofía Montenegros Betrachtungen beleuchten vor allem, dass die Emanzipation der Frauen und die Würdigung als Personen mit eigenen Rechten während der sandinistischen Regierung von 1979 bis 1990 nicht wirklich unterstützt wurde.
Die Frauen haben in der weiterhin patriarchalen Gesellschaft mit denselben machistischen Machtverhältnissen wichtige politische Bildungsarbeit geleistet zu den Themen Sexualität, sexuelle Gewalt, Abtreibung, Hausarbeit, Ungleichheit und Diskriminierung, die in der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN Tabu waren. Sofía ist ihren feministischen Vorstellungen treu und bleibt weiterhin eine unbestechliche Kämpferin für die Selbstbestimmungsrechte der Frauen. Im Kampf um die Wiedereinführung des therapeutischen Schwangerschaftsabbruchs in Nicaragua steht sie in vorderster Reihe.
So lässt das Buch die Zeiten des Aufbruchs in Nicaragua aufleben und gleichzeitig auch Fragen hinsichtlich der heutigen Situation des mittelamerikanischen Landes aufkommen. Was hat die FSLN von heute noch gemeinsam mit dem sandinistischen Projekt der Revolution? Und wie konnte der heutige Präsident und damalige Revolutionsführer Daniel Ortega zu dem werden, der er heute ist? Zwar gibt das Buch auf diese und viele andere Fragen keine Antwort. Aber es gelingt dem Buch, eben nicht „nur“ eine historische Darstellung zu liefern. Es regt auch zum Nachdenken über das heutige Nicaragua an.

Otker Bujard, Ulrich Wirper (Hg.) // Die Revolution ist ein Buch und ein freier Mensch – Die politischen Plakate des befreiten Nicaragua // PapyRossa // Köln 2007 // 384 Seiten // circa 500 farbige Abbildungen // 36 Euro

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