Nummer 417 - März 2009 | Sachbuch

Die „kontrollierte Evolution“

Bernd Wulffens Kubabuch liefert differenzierte Beschreibungen

Edgar Göll

Die Amtsübernahme von Raúl Castro in Kuba hat unterschiedlichste Erwartungen geweckt, vom radikalen Systemwandel bis hin zur Weiterführung und Erneuerung des sozialistischen Systems. Bernd Wulffen, von 2001 bis 2005 deutscher Botschafter in Kuba, versucht in seinem neuen Buch Kuba im Umbruch. Von Fidel zu Raúl Castro für die derzeitige Lage und mögliche Entwicklungen Kubas „Erklärungsansätze zu liefern.“
Eingangs widmet sich der Autor ausführlich dem neuen Staatsoberhaupt Raúl Castro und dessen Beziehung zu seinem Bruder Fidel Castro, was insofern wertvoll ist, da über Raúl bisher keine umfassende Biografie vorliegt. Der Autor skizziert Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den ungleichen Brüdern und geht vor allem auf die größere Reformoffenheit und Pragmatik Raúls ein.
Es folgt ein Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung Kubas. Hier spricht Wulffen von einer Dauerkrise, analysiert verschiedene Wirtschaftssektoren, vor allem die Landwirtschaft und ihre Defizite, sowie die große Rolle des Militärs in der Wirtschaft.
Ein Abschnitt zur Innenpolitik wird eingeführt mit Kurzbeschreibungen oberster, in westlichen Medien kaum wahrgenommener Führungspersönlichkeiten wie Ramón Machado Ventura und Carlos Lage Dávila. Ein Schwerpunkt ist dann der Darstellung oppositioneller Strömungen gewidmet. Wulffen verweist auf Entwicklungen in der Zivilgesellschaft, die Rolle von Bloggs, das einflussreiche kubanische Exil in den USA sowie auf oppositionelle Kräfte innerhalb der Kommunistischen Partei. Abschließend thematisiert er die „Wiederkehr der Religion“ und die Rolle der katholischen Kirche, die sich seit dem viel beachteten Besuch von Papst Johannes Paul II im Jahr 1998 positiv gewandelt habe.
Im letzten Teil zur Außenpolitik Kubas werden nach einem historischen Rückblick die vielschichtigen Beziehungen Kubas zu den USA, zu Lateinamerika, zur „Dritten Welt“ (Vietnam, Afrika) und zu Europa erläutert. Zu China gibt es hingegen kein Kapitel. Drei Landkarten und 46 Schwarz-Weiß-Fotos runden das Buch ab.
Resümierend verzeichnet Wulffen eine „Aufbruchstimmung“ in der Bevölkerung und ein Erstarken der „unsichtbare[n] Opposition in Partei und Streitkräften, die radikale Veränderungen anstrebt“. Allerdings erwartet er keinen Systembruch. Er beschreibt Raúl als „Realist und Pragmatiker“ und den von ihm „eingeleiteten Umbruch als ‚kontrollierte Evolution‘“.
Das Buch zeichnet sich durch Fundiertheit, Differenziertheit und einen nüchternen Stil aus. Besonders die Abschnitte über Raúl Castro, die Passagen über Strömungen in Partei- und Staatsapparat, führende Persönlichkeiten, die katholische Kirche und das Strafrecht sind Aspekte, die über bisherige Kubabeschreibungen hinausgehen und diese ergänzen.
Gleichwohl artikuliert Wulffen das unreflektierte Credo west-nordatlantischer Politik: Das kubanische Gesellschaftssystem sei obsolet, geradezu eine Fehlkonstruktion, das sich radikal ändern müsse. Eine fragwürdige Haltung angesichts eines westlichen Modells, das selbst Systemfehler und Probleme aufweist. Und so dürfte der Schlussabsatz keineswegs nur für Kuba gelten: „Die Jugend wird kein Geisterhaus dulden, in dem sie sich um ihre Perspektiven betrogen fühlt. Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem sie ihre Forderungen immer lauter stellen wird. Sie wird, wenn die Alten ihr nicht zuhören, auf die Straße gehen und Unterstützung erhalten von den Angehörigen der politischen Häftlinge, von der Opposition und von allen Menschen, die endlich mehr Freiheit wollen.“

//Edgar Göll

Bernd Wulffen // Kuba im Umbruch. Von Fidel zu Raúl Castro // Ch. Links Verlag // Berlin 2008 // 271 Seiten // 16,90 Euro


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