Argentinien | Nummer 375/376 - Sept./Okt. 2005

Die Schöne für das Biest

Der Parlamentswahlkampf spaltet die peronistische Partei

Argentiniens Parteienlandschaft verändert sich. Im Vorfeld der Parlamentswahlen am 23. Oktober haben sich die Peronisten gespalten. Präsident Kirchner macht Wahlkampf, als ginge es um seine Wiederwahl. Mit der eigens gegründeten Frente para la Victoria soll der alte Klientelismus der peronistischen Partei überwunden werden.

Jürgen Vogt

Die Mutter aller Schlachten findet in der Provinz Buenos Aires statt, schreibt die Tageszeitung Clarin. Hier lebt knapp die Hälfte der 35 Millionen ArgentinierInnen. Wer diese Provinz beherrscht kürt in Argentinien Präsidenten. Und hier tritt die gegenwärtige First Lady gegen die ehemalige First Lady an: Frau Fernández de Kirchner gegen Frau Duhalde.
Am 23. Oktober 2005 sind in Argentinien Parlamentswahlen. Alle zwei Jahre werden ein Drittel der Senatorenposten und die Hälfte der Abgeordnetenmandate neu vergeben. Noch vor einigen Monaten bezeichnete Präsident Kirchner die Wahlen als eine Abstimmung über seine Regierungspolitik. Das Wort Plebiszit machte die Runde. Der Hintergrund: Kirchner war 2003 ohne Mehrheit ins Präsidentenamt gekommen. Trotz Unterstützung durch Duhalde wurde er im ersten Wahlgang mit knapp 20 Prozent nur Zweiter hinter Ex-Präsident Carlos Menem. Dieser verzichtete jedoch angesichts einer drohenden Niederlage auf den zweiten und entscheidenden Wahlgang, Kirchner wurde ohne Stichwahl Präsident. Von diesem Makel versucht er sich seither zu befreien.
Der Präsident macht Wahlkampf, als ginge es nicht um eine Parlaments-, sondern um seine Wiederwahl. Seit Wochen ist er jeden dritten Tag auf einer Wahlveranstaltung. Vom Plebiszit ist jedoch längst keine Rede mehr, denn unterm Strich werden seine KandidatInnen keine 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen.

Opposition ohne Gewicht

Die Opposition zerfällt derweil in kleine Gruppierungen und Fraktionen. Allen voran die ehemals regierende Mitte-Links-Partei der Radikalen Bürgerunion UCR. Faktisch noch immer die zweitstärkste politische Kraft, ist sie seit dem Sturz de la Rúas innerparteilich zerrüttet und hat sich bis heute davon nicht erholt. Alle übrigen Parteien fallen parlamentarisch nicht ins Gewicht.
Anders die regierenden Peronisten. Die PJ (Partido Justicialista) stellt im Senat und im Abgeordnetenhaus die Mehrheit. Hier sitzt die derzeit einzige bedeutende oppositionelle Kraft gegen die Regierung Kirchner: das Lager um den früheren Staatschef Eduardo Duhalde. Und die Provinz Buenos Aires ist noch immer Duhaldes Hochburg.
Kirchner hat zwar nach wie vor hohe Sympathiewerte in den Umfragen. Aber Sympathie ersetzt nicht die Macht des peronistischen Parteiapparats. In der Provinz Buenos Aires tritt deshalb Cristina Fernández de Kirchner an. Sie ist nicht nur die Frau des Präsidenten, sondern auch Senatorin in Santa Cruz, der südlichen Heimatprovinz der Kirchners. Die studierte Rechtsanwältin kommt bei der Bevölkerung gut an. Spöttisch wird angesichts der äußeren Erscheinung ihres Mannes von der Schönen und dem Biest gesprochen.
Cristina Kirchner sollte für das Senatorenamt der Provinz Buenos Aires auf Listenplatz Eins der PJ kandidieren. Diesen Platz wollte auch Hilda „Chiche“ Duhalde, die Ehefrau von Ex-Präsident Duhalde, und sie hat ihn bekommen. Trotz langwieriger Verhandlungen konnten sich die beiden nicht auf eine gemeinsame Liste einigen. Am Ende kam es zum Bruch. „Chiche“ Duhalde steht auf Platz Eins der Liste der PJ in der Provinz Buenos Aires. Cristina Kirchner kandidiert auf der Liste der neu gegründeten Partei Front für den Sieg (Frente para la Victoria, FV). Sie liegt in den Umfragen klar vor „Chiche“.

Spaltung der Peronisten

Das Beispiel machte landesweit Schule: Wo keine innerparteiliche Einigung möglich war, stellen sich AnhängerInnen von Kirchner auf der Liste der Frente para la Victoria oder ähnlich klingenden Parteineugründungen zur Wahl. Die ohnehin kaum überschaubare Parteienlandschaft Argentiniens ist noch unübersichtlicher geworden. Zur Parlamentswahl haben sich knapp 500 Parteien angemeldet.
Mit den neuen Fronten für den Sieg ist der gesamte Wahlkampf auf den Präsidenten und die Erfolge seiner Regierung zugeschnitten. Mangels einer parteipolitischen Opposition geht es fast ausschließlich gegen das Duhaldelager: Duhalde, das Symbol der klientelistischen Politik der Vergangenheit, gegen den Präsiden, der eine neue seriöse Politik für ganz Argentinien verkörpere, lautet die Botschaft.
Die Spaltung der Peronisten wird die nicht-peronistische Opposition im Parlament noch bedeutungsloser machen. Kritiker befürchten, dass die Peronisten demnächst Regierung und Opposition stellen werden. Denn während die Partei mit den meisten Stimmen zwei Senatoren stellt, bekommt der Zweitplatzierte den dritten zu vergebenden Posten. Dank dieser Regelung werden Cristina Fernández de Kirchner und Hilda „Chiche“ Duhalde allen Umfragen zufolge auf getrennten Listen in den Senat einziehen. Ähnliches wird sich in anderen Provinzen und bei der Wahl der Abgeordneten ereignen.
Die neuen Fronten für den Sieg erforderten eine erhebliche Zahl von neuen KandidatInnen. Neben seiner Frau steht Kirchners halbes Regierungskabinett auf den Wahllisten. Alicia Kirchner, Sozialministerin und Schwester des Präsidenten, kandidiert beispielsweise für die Nachfolge von Cristina Kirchner in der Heimatprovinz Santa Cruz. Verteidigungsminister Pampuro steht hinter der Frau des Präsidenten auf Platz zwei in der Provinz Buenos Aires, und Außenminister Bielsa stellt sich im Hauptstadtbezirk zur Wahl. Wer regiert hier eigentlich noch, fragte die argentinische Presse und erhielt von Spöttern die Antwort: Bei diesem Präsidenten kommt es auf die Minister ohnehin nicht an. In der Tat, bei allen Erfolgen der Regierungspolitik, gibt der Präsident nichts von der Regierungsgewalt ab. Kabinettssitzungen finden so gut wie nie statt und die wenigen Pressekonferenzen sind zu präsidialen Vorlesungen verkommen.

Mit stoischer Ruhe

Einer hält sich konsequent aus allem Getöse heraus: Roberto Lavagna. Bereits unter Ex-Präsident Duhalde zum Wirtschaftminister ernannt, führt er die Amtsgeschäfte auch unter Kirchner mit stoischer Ruhe weiter. Lavagna genießt das Vertrauen der Wirtschaft und hält die Industriellenverbände bei der Stange. Dabei gibt es bei der Verteilung der seit Monaten reichlich in die Staatskasse fließenden Steuern aus den Exporterlösen durchaus Differenzen zwischen Kirchner und Lavagna. Während ersterer scheinbar mehr auf Ausgaben im sozialen Bereich drängt, setzt Lavagna auf die Förderung der industriellen Entwicklung.
Gegenwärtig verzichten die großen Unternehmen und Versorgungsdienstleister auf Tariferhöhungen bei Strom, Gas und Wasser. Die Schlachthäuser und großen Supermärkte haben bis Ende Oktober Preisstabilität versprochen. Die regierungsnahen Piqueteroorgansisationen und Gewerkschaften halten sich von jeglichen Straßenblockaden, Demonstrationen und Streiks fern.
Aber am Wahltag ist Zahltag: Die Preise werden steigen, die sozialen Basisorganisationen werden ihren Stillhalte- und Unterstützerlohn einfordern, und die Neu-Kirchneristen in allen Provinzen und Kommunen wollen finanziell mit Sozialprogrammen bedacht werden. Die Löhne sind zwar nach offiziellen Angaben seit Oktober 2001 um 25 Prozent gestiegen, jedoch ist die Kaufkraft durch die stetige Inflation um 22 Prozent gesunken. Das Durchschnittseinkommen liegt heute in Argentinien bei gut 720 Pesos (knapp über 200 Euro), mit Inflationsausgleich müsste es bei 927 Pesos liegen.
Das Gerangel um Lavagnas Haushaltsüberschuss wird noch am Wahlabend losgehen. Kirchner ist sich des Sprengstoffs zwar durchaus bewusst. Gegenwärtig kündigt er bei seinen Wahlkampfauftritten in den Provinzen aber großzügige öffentliche Bauvorhaben an. Und in dem gerade unterzeichneten Haushaltsentwurf hat er vorsorglich eine Erhöhung der Sozialpläne um 400 Millionen Peso (rund 110 Mio. Euro) eingefügt. Doch Kirchner hält die Zügel fest in der Hand. Arbeitsprogramme über 15.000 Pesos werden von seiner Regierung verwaltet, alles darunter dürfen die Provinzen vergeben. Wie bereits bei anderen Programmen werden die Finanzmittel nicht wie bisher üblich an Provinzfürsten oder Kommunalpolitiker zur freien Verfügung weitergereicht, sondern von der nationalen Ebene aus verwaltet. Unterstützer des Präsidenten sehen darin seinen Willen, das alte klientelistische System auszuhebeln. KritikerInnen befürchten eine weitere Konzentration der Macht.

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